Der Stresstest
Götter, Pandas und die Prinzessin von Wales/Miniserie Kafka/ Gefühlskino/ Rezepte zu Newroz
Kriege, Attentate, Katastrophen – in diesen Tagen erfüllt die britische Monarchie eine ihrer wesentlichen Aufgaben, nämlich Gespräche wieder in übersichtliche Gefilde zu lenken. Die Gesichter hellen sich auf, wenn man die Vornamen des walisischen Prinzenpaares nennt und bis Freitag hatten alle eine private Theorie zum Geschehen. An Kate hat mich immer fasziniert, wie die konservative Presse, vor allem die Daily Mail, täglich versucht, die Prinzessin zu einem Liebling der Massen zu stilisieren, weitgehend vergeblich. Sie ist auch das Sujet eines bemerkenswerten Essays von Hilary Mantel zum Thema Frauen in der Monarchie (Abre numa nova janela). Dort verglich Mantel die Royals - superteuer, nutzlos und unmodern - mit Pandas: “But aren’t they interesting? Aren’t they nice to look at? Some people find them endearing; some pity them for their precarious situation; everybody stares at them, and however airy the enclosure they inhabit, it’s still a cage.”
In diesen Tagen sind sie vor allem ein eigenes Medium. Man leichten Herzens über die Sorgen und Möglichkeiten der königlichen Familie reden, denn hier kennen sich alle aus. Es gibt bei diesem Thema kein Geheimwissen, keine wissenschaftliche Expertise und keinen Jargon. Jede und jeder, so sie nicht im Koma liegen, kann sich zum britischen Königshaus äußern.
So muss das in der Antike mit ihren so nahbaren Göttinnen und Göttern gewesen sein: Manchmal bauten sie Mist, manchmal gelang ihnen etwas – wichtig war, dass das Publikum der griechischen Stadtstaaten sich darüber verständigte, wichtig war der Diskurs über Wesen und Unwesen der göttlichen Nachbarn als Schule einer bürgerlichen Moral.
In diesem Fall des Verschwindens der Prinzessin konnte man Ruhm und Niedertracht der digitalen Öffentlichkeit studieren: Einerseits wurde die Lüge des falschen Fotos schnell und überzeugend enttarnt. Andererseits entstand eine ganze Industrie der spontanen Theoriebildung und zur Produktion abseitiger Narrative. Nach denen war sie getürmt, schon verstorben oder ins Ausland abgetaucht. Ich selbst dachte an eine Art Bilderstreik nach Ehekrach.
Es ist viel schlimmer als zu Dianas Zeiten. Und nun, nach der Aufklärung der Umstände durch die Prinzessin, gibt es einen Moment der Selbstreflexion und Reue. Man hatte das Schlimmste angenommen, nun bedauert man das. Das war aber kein Zufall oder mieser Charakterzug, vielmehr beruht die digitale Kommunikation darauf, dass die Akteure im Netz jeweils das Schlimmste voneinander annehmen - auf der nicht kooperativen Spieltheorie nämlich. Frank Schirrmacher hat es in seinem Buch Ego (Abre numa nova janela) dargelegt und bis heute ist nichts davon veraltet. Oder verbessert.
Reden über die Royals ist immer ein Test. Weniger über ihre Qualitäten als über die Fähigkeit der öffentlichen Meinung, wahr und falsch zu unterscheiden und Mitgefühl zu zeigen. Royals ziehen alle Blicke auf sich, aber sie blicken auch zurück.
Thomas Mann und Marcel Proust sind die Grandhotels unter den Schriftstellern: Von Ferne schon gut zu sehen, für jeden zu besichtigen und in jeder Hinsicht opulent. Geeignet für die Familienfeier, das Meeting oder den Absacker an der Bar. Alles kann, nichts muss. Man kann sie lieben, ignorieren, zitieren und immer wieder verfilmen. Sie sind einigermaßen unverwüstlich und polyvalent.
Bei Kafka ist das anders. Diese Lektüre ist eine intime Angelegenheit.Wir sind zu zweit und blicken uns in die Augen. Seine Texte geben vor, eben erst entstanden zu sein – und zwar für mich allein. Kafkas Sprache ist immer Gegenwart, seine Themen sind zeitlos und den Reim muss man sich schon selbst machen. Die Moral seiner Geschichten? Gute Frage.
Darum gehen alle Kafka-Verfilmungen schief. Auch bei dieser Serie hatte ich ungute Vorahnungen. Der Trailer steigerte meine Skepsis. Weil jede und jeder seinen ganz persönlichen Kafka besucht, spaziert so eine Adaption immer haarscharf an der Majestätsbeleidigung vorbei. Aber es kam anders. Wer mit der ersten Folge beginnt, wird die Miniserie ungeduldig bis zur letzten Folge durchsuchten. Es ist eine einfallsreiche und meisterliche Arbeit, die weder den Humor noch die Verzweiflung unterschlägt. Und man lernt auch noch dazu. Comedy ist es nicht, aber man muss lachen. Die Liebe triumphiert nicht, aber sie schlägt sich auch nicht schlecht. Wie sagt Kafka in der ersten Folge: “Aber natürlich gibt es Hoffnung, sehr viel sogar. Nur nicht für uns!”
https://www.ardmediathek.de/serie/kafka/staffel-1/Y3JpZDovL25kci5kZS80OTg3/1 (Abre numa nova janela)Als ich neulich meine Bibliothek ordnete, musste ich viele Probleme lösen. Was mache ich mit Büchern, die gut sind, deren AutorInnen ich aber nicht mehr ertrage? Was mache ich umgekehrt mit Büchern von tollen Menschen, die mich aber inhaltlich nicht mehr interessieren?
Diese Fragen stellen sich bei Valentin nicht. Seine Dissertation Ökonomie ohne Haus war eines der ersten Sachbücher, die ich für die Zeitung besprochen habe. Und auch zum eben erschienenen Gefühlskino fällt mir viel ein. Ein ganzes Regalbrett nimmt sein Werk mittlerweile ein, kein Buch ist wie das andere. Und wir sind seit vielen Jahrzehnten stabil befreundet, sind Brothers in Arms, Besties und BFF.
In diesem Werk geht es um den politischen Gefühlshaushalt der autonomen Linken der achtziger Jahre und wie es ist, die Texte von damals nochmal zu lesen. Siehe da: Es war immer schon zu spät. Eine Studie in politischer Nostalgie, die trotz des seit 1979 nahenden Endes der Welt den Mut zur Heiterkeit aufbringt.
Am letzten Dienstag startete unser neuer Podcast, Was bisher geschah (Abre numa nova janela). Es ist, wie soll ich es ausdrücken, ein überwältigender Erfolg. Gleich sehr hohe Platzierungen in allen relevanten Charts, niemand hätte das zu prognostizieren gewagt. An den folgenden Tagen nahmen wir weiter auf, um auch genügend Stoff für die Zukunft vorzuhalten. Am Donnerstag starteten wir besonders früh mit den Aufnahmen in Berlin, denn mein Co-Host Joachim Telgenbüscher musste zeitig retour ins heimische Hamburg. Am Abend war er zu einer Feier des persischen Neujahrsfestes Newroz eingeladen, worum ich ihn hemmungslos beneidete: Kaum eine Küche ist interessanter. Aber es gibt ja Mittel und Wege, sich selbst zu behelfen:
https://www.theguardian.com/food/2024/feb/24/yotam-ottolenghi-persian-recipes-chicken-celery-stew-aubergine-kuku (Abre numa nova janela)Kopf hoch,
Ihr
Nils Minkmar
PS: Kurz nach Acht und dann unablässig kamen am vergangenen Sonntag die Korrekturen zum Newsletter: Selbstverständlich heißt der einstige Regierungssprecher von Angela Merkel Ulrich oder Uli Wilhelm und nicht, wie ich geschrieben hatte, Uwe. Pardon.
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