Ich Ich Ich: Schreiben über sich selbst
Autobiografisch schreiben: Wie? Und warum?
Das Bumble Profil meines Ex enthielt ein paar Informationen, bei denen ich normalerweise renne, so schnell ich kann. Politische Ausrichtung: konservativ stand da zum Beispiel. Auf einem Foto hatte er einen Anzug an, UND Gel in den Haaren UND Air Pods in den Ohren. Wenn ich so einen Typen auf der Straße sehe, rolle ich innerlich die Augen und denke mir: Berlin ist over.
Aber er hatte auch einen entzückenden schiefen Schneidezahn (ein Detail, das mich bei Männern aus nicht nachvollziehbaren Gründen schwach macht), er war ein Fan von Esther Perel (war also möglicherweise therapiert!) und in der Rubrik Was meine Freunde über mich sagen schrieb er: I overshare. Also wischte ich ihn nach rechts—es war ein Match!—und ich schrieb: I overshare too. So ging das los, was dann schnell eine große Lovestory wurde, mit dem Bekenntnis zweier Oversharer.
Oversharing ist eine Angewohnheit, die verpönt ist, aber ein Makel, den ich persönlich leicht verzeihe. Ich habe wenig Interesse an der Förmlichkeit und dem Smalltalk, den man am anderen Ende des Spektrums kriegt. Vielleicht liegt das daran, dass ich Skorpion bin und die Abgründe der Menschen mich anziehen, vielleicht liegt es an meiner linkspolitischen Sozialisierung (In der linken Weltsicht ist das Private politisch), oder vielleicht auch daran, dass ich nie für jemanden gearbeitet habe, den ich siezen musste — was es auch immer ist, ich fühle mich einfach wohler, wenn die Menschen so miteinander reden, als ob sie sich schon kennen.
Natürlich können ungefragte Bekenntnisse auch nerven—als Barkeeperin und als professionelle Wahrsagerin habe ich hunderte Stories gehört, die ich lieber nicht gehört hätte. Und natürlich kann sowas schnell in eine ungewollte und unbezahlte Therapiestunde kippen. (Erste Regel, wenn man Leuten von seinem Trauma erzählt: Man sollte sich um die Therapierung dieses Traumas bereits selbst gekümmert haben.)
Aber alles in allem bin ich erleichtert, wenn Leute schnell die unhandlichen Themen auspacken. Ich weiß ja sowieso, dass sie da sind. Wenn ich merke, dass jemand eloquent über Tod, Trennung, Trauer oder Therapie (oder all die anderen schlimmen Sachen mit T) reden kann, dann weiß ich, dass die Person ihren Shit kennt und lernen will, damit umzugehen. Das stiftet Vertrauen und ich kann mich entspannen.
Außerdem liebe ich autobiografische Geschichten. Die funktionieren ohne Oversharing ja nicht.
Ich habe die autobiografische Erzählform schon immer geliebt.
Als ich 12 oder 13 war, las ich die Kolumnen von Sibylle Berg in den Lifestyle-Magazinen meiner Mutter, weil ich nichts interessanter fand als die Geschichten einer exzentrischen Frau.
Mein Lieblingsbuch mit 14 war Cool Girl, ein Roman, der sich komplett wie ein Tagebuch anfühlte, in seiner Sprache, seiner Tonalität, seiner Unmittelbarkeit.
Mit ungefähr 16 oder 17 habe ich auf dem Flohmarkt die Tagebücher von Anais Nin gefunden und sie komplett verschlungen und Jahre in Faszination darüber verbracht, wie jemand mit solcher Konsequenz und Furchtlosigkeit sein Leben und sein Selbst gleichzeitig sezieren und romantisieren kann.
Und natürlich habe ich als Teenager die sogenannten Popliterat:innen gelesen, die zwar nicht alle explizit autobiografisch arbeiteten, aber ganz offensichtlich das Leben beschrieben, das sie kannten, dass sie lebten, weil es ganz offensichtlich das war, was ihr Publikum interessierte.
Und selbst war ich sowieso schon immer schon eine besessene Tagebuchschreiberin. Ich habe mit 11 damit angefangen und nie wieder aufgehört. Während heute gilt Es ist nicht passiert, wenn du es nicht auf Instagram stellst, galt für mich immer schon: Es ist nicht passiert, wenn du es nicht in dein Tagebuch schreibst. In den Nuller Jahren, als Blogs populär wurden, hatte ich natürlich sofort ein Blog, in dem ich flamboyante, ungefilterte Berichte aus meinem Leben als Barkeeperin in einem besetzten Kunsthaus veröffentlichte, ohne damit zu rechnen, dass sie wirklich jemand las (abgesehen von meinem Freund Philipp aus Bochum, den ich in einem Grufti-Forum kennengelernt hatte) — bis mein Onkel dann eines Tages eine Lesung in Leipzig organisierte, wo wir aus unseren Tagebüchern vorlasen und wo tatsächlich eine ganze Menge Leute kamen.
Ich fand die Realität immer schon relevanter als irgendetwas, was ich mir ausdenken könnte. Für mich war Literatur immer am besten, wenn ich durch sie das Leben fühlen konnte.
Sich Geschichten über das Leben auszudenken, anstatt das Leben direkt zu beschreiben, leuchtete mir nicht ein. Es sah für mich immer wie ein Umweg aus.
Ich werde immer mal wieder gefragt, wie ich so viel von mir preisgeben kann. Ob ich mich nicht angreifbar fühle. Ob ich nicht Angst habe, dass Leute zu viel über mich wissen. Wie ich mich schütze.
Als Pamela Andersons Sex Tape, das sie mit ihrem Mann aufgenommen hatte, aus ihrem Haus geklaut und illegal verkauft worden war, fragten die Leute, warum sie sich eigentlich so aufrege, sie habe sich doch schließlich freiwillig für den Playboy ausgezogen, es sei doch ihr Job, ihren Körper und ihre Sexualität zu vermarkten. Das war 1996. Die Leute wollten nicht verstehen, dass es einen Unterschied macht, ob ein Mensch die Kontrolle hat und etwas willentlich und bewusst macht, oder ob ein anderer es sich einfach gewaltsam nimmt.
Ich glaube, oft ist die Frage nicht: Woher nimmst du den Mut, das zu sagen? Die eigentliche Frage ist: Warum schämst du dich nicht?
Als Lena Dunham GIRLS schrieb und eine der Hauptrollen spielte, die permanent nackt war und sehr unretuschierten Sex hatte, bekam sie eine Frage immer wieder: Wie zur Hölle sie den Mut aufbringen konnte, ihren unperfekten Körper zu zeigen. Wieder ist hier die eigentliche Frage: Warum schämst du dich nicht? Sie antwortete: Ich brauche keinen Mut, meinen Körper zu zeigen, weil ich keine Angst davor habe.
Die Themen, die wir aus Scham verstecken, sind für uns alle mehr oder weniger dieselben. Es sind weit verbreitete, universelle Themen: Abhängigkeit, psychische Krankheit, Altern, Einsamkeit, zu viel oder zu wenig Geld, zu viel oder zu wenig Sex.
Ich habe mich nie für meinen Sex geschämt, immer nur für meine Liebe. Deswegen macht es überhaupt nichts mir mir, wenn ich im Playboy schreibe, dass ich mit 55 (plusminus) Leuten geschlafen habe. Viel seltener wirst du lesen, wie ich über die wenigen auspacke, die ich wirklich geliebt habe. (Alter Verschleierungstrick: Wenn man über das eine Thema viel sagt, fällt nicht so auf, dass man über andere Themen wenig sagt.)
Scham ist ein soziales Kontrollinstrument. Es ist nicht angeboren, sondern gelernt. Adam und Eva essen vom Baum der Erkenntnis, beginnen sich zu schämen, und das ist das Ende des Paradieses und der Anfang der Selbstbestimmung. Wenn man jemanden schamlos nennt, ist das selten als Kompliment gemeint. Deswegen kann es wehtun. Aber schamlos zu sein bedeutet auch: frei zu sein. Frei von der sozialen Kontrolle durch andere.
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