Wenn man mal drin ist, geht’s!
#EuropaTour - Zypern
Eine Woche Strandurlaub inklusive Tages-Bustour mit anderen deutschen Pauschaltouristen - dass mich das mal zu Begeisterungsstürmen hinreißen würde, hätte ich auch nicht gedacht. Aber hey, es sind halt besondere Zeiten.
(Reisevorbereitung gewohnt professionell: Einmal kurz ins dünne Büchlein schauen)
Von vorne: Ich wollte mal wieder raus. Auch wenn ich nicht der größte Fan von Flugreisen bin: Nach zwei Jahren Pandemie und jeder Menge „Wie sind die Inzidenzzahlen? Was sind nochmal die aktuellen Regeln? Darf ich auftreten? Gott, wenn ich noch EINMAL den Precht bei Lanz sehen muss …“-Frust wollte ich einfach nur Sonne, Meer und Natur, ich wollte gut essen und trinken und mich um möglichst wenig kümmern. Und ich wollte möglichst wenig Flugzeit bei gleichzeitig maximal angenehmen Apriltemperaturen. Und bei diesen Anforderungen hat eben Zypern, dieser manchmal ein bisschen vergessene EU-Mitglieds-Inselstaat im östlichsten Zipfel des Mittelmeers, schüchtern die Hand gehoben und gesagt: „Na, das bin dann ja wohl ich!“
Apropos östlich: Vielleicht erstmal eine kleine Einordnung für alle, die von Geografie genauso wenig Ahnung haben wie ich und Zypern - ebenfalls wie ich - „irgendwo da bei Griechenland“ einordnen würden (und denen eventuell auch mal ein „Das gehört doch zu Griechenland, oder?“ rausrutscht. Na, erwischt?). Gut 2700 Kilometer ist die Insel Luftlinie von Köln entfernt, das bedeutet rund vier Stunden Flugzeit und einen sehr kurzen Abend: Momentan macht der Himmel da gegen sechs das Licht aus. Die Insel liegt östlicher als Kairo, ist auf einem Längengrad mit der Krim und näher an Damaskus, als an Athen. Soviel also zu „irgendwo bei Griechenland“.
(Gebucht war "seitlicher Meerblick". Den "frontalen Parkplatzblick" ignoriere ich einfach)
Wir hatten ein Hotel in Ayia Napa, was Zypernkennern vermutlich ein mitleidiges Lächeln ins Gesicht zaubern wird, eventuell gepaart mit gleichzeitiger Stirn-in-Furchen-Legung. Der Ort ist eigentlich gar kein richtiger Ort (das „Zentrum“ mit einer Schule und einem ehemaligen Kloster hat man in großzügig geschätzten drei Minuten durchschritten), sondern so ne Art Touristen-Phantasialand mit Hotels, jeder Menge Themen-Restaurants (besonders beliebt: Dschungel-, Dinosaurier- und Fred Feuerstein-Kneipen. Der Beruf des Pappmachéfiguren-Herstellers ist auf jeden Fall einer der zukunftsträchtigsten in Zypern), einem Ganzjahres-Rummelplatz und Sportkneipen, in denen jedes Fußballspiel der Welt gezeigt wird.
Meistens aber britische Fußballspiele, denn vor allem die Engländer und Schotten überrennen jedes Jahr zu Abertausenden Ayia Napa und beweisen aufs Eindringlichste, dass nicht nur Deutsche herum-ballermannen können. Die Reisebüro-Angestellte meines Vertrauens hatte mir aber versichert, dass das erst im Frühsommer passiert und ganz sicher nicht im April und blieb auch dabei, als ich mein ernstestes Gesicht aufsetzte und sagte: „Wenn das nicht stimmt und ich da ne Woche in Britisch Bumshausen hocke, beschmiere ich sie mit Marmite und rolle Sie in Salt and Vinegar-Chips!“
Ich mach’s kurz: Sie hatte recht, es war alles sehr entspannt.
(Der Hafen von Ayia Napa. Wenigstens die Boote hier sind nicht aus Pappmaché)
Der Vorteil von Ayia Napa: Es hat wunderbare Strände (im April ist das Wasser natürlich noch ein bisschen frisch, der meistgehörte Satz in dieser Woche war auf jeden Fall: „Wenn man mal drin ist, geht’s!“), sehr gute Restaurants und Hotels auch jenseits des Rummels. Es ist außerdem nicht weit vom Flughafen in Larnaka entfernt und bestens ans zypriotische Busnetz angeschlossen. Meinen Plan einen Mietwagen zu nehmen, haben wir dementsprechend ganz schnell wieder vergessen. Der Linksverkehr und ich, wir werden in diesem Leben sowieso keine Freunde mehr. Übrigens: Mal ne clevere Idee aus dem zypriotischen Straßenverkehr: Einheimische haben dort weiße Nummernschilder, Touristen bekommen rote. Quasi ein Hanky Code für die andere Art von Verkehr und Rot bedeutet eben: „Vorsicht, ich kenn mich nicht aus und lenke garantiert früher oder später mal auf die falsche Straßenseite - Bitte fahr mich trotzdem nicht an!“
Von Ayia Napa aus kommt man mit dem Bus sehr problemlos nach Nikosia, Limassol, Famagusta oder auch zu den Meereshöhlen beim Kap Greco. Tipp: Von dort bis Konnos Beach wandern - nix als Natur, Meer, Wellen und windzerzauste Frisuren - wenn man sowas hat.
(Die Sea Caves am Kap Greco. In Deutschland wäre da vermutlich aus Sicherheitsgründen schon 20 Meter vorher ein Absperrgitter)
Wir haben zwar mehrere Ausflüge gemacht, blieben aber im Süden der Insel und haben nicht mal Nikosia besichtigt. Daran ist allerdings die Abgesandte unseres Reiseveranstalters schuld: Die hatte uns zwar beim Willkommensgespräch dringend empfohlen in die geteilte Hauptstadt (die letzte der Welt!) zu fahren, dabei aber, als Werbung für den Ausflug quasi, ein Bild von einer vollkommen überlaufenen Einkaufsstraße unter die Nase gehalten. Na ja, und da dachte der Herr Barth eben: „Herzlichen Dank, Schildergasse hab ich daheim, brauch ich nicht im Urlaub“.
Apropos geteilte Hauptstadt: So freundlich, hilfsbereit und zuvorkommend die Zyprioten sind, sobald das Gespräch auf den türkisch besetzten Nordteil und alles, was mit der Invasion von 1974 zu tun hat, zu sprechen kommt, wird die Stimmung kühler als das Meer im April. Vor allem im Moment, vor dem Hintergrund der russischen Invasion in der Ukraine und der verhältnismäßig entschlossenen Reaktion der Internationalen Staatengemeinschaft, können sich viele Zyprioten ein resigniertes „Tja, schade, dass bei uns damals ein NATO-Mitglied einmarschiert ist“ nicht verkneifen. Ich bin in Geschichte zu wenig bewandert um da qualifiziert mitreden zu können und habe auch im Urlaub seltenst Lust auf politische Diskussionen, kann aber auf jeden Fall empfehlen, nach einem launigen Abend mit Wein und leckerem Essen keinen „türkischen Kaffee“ zu bestellen. Es heißt „Cyprus Coffee“! Zumindest, wenn man möchte, dass der Abend launig bleibt.
("Das grüne Herz der Insel", mitten im Nichts. Übrigens überall bester LTE-Empfang. Deutschland, wie wär's?)
Zu einem Tagesausflug haben wir uns dann doch überreden lassen: Ins Troodos-Gebirge samt Kykkos-Kloster, Weinprobe und Bergdorf-Besichtigung. Alles wunderbar und sehenswert, vor allem die Kirche im Kloster. Wer katholische Barockkirchen schon für überladen hält, sollte sich in orthodoxen Kirchen auf ne kleine Synapsen-Explosion einstellen.
(Das Kykkos-Kloster. Wer will, kann hier umsonst ne Woche wohnen und sich von Mönchen Eheberatung geben lassen. Ja. Äh. Wie gesagt: "Wer will")
Ich habe nur mal wieder gemerkt: Ich bin nicht geschaffen für Gruppenreisen. Wenn man beim zypriotischen Olivenbauern steht und der Helmut aus Sprockhövel dem Chef des Hauses (Ja, dem Olivenbauern!!) in Fantasie-Englisch die Unterschiede zwischen den einzelnen zypriotischen Olivensorten erklärt - muss da nur ich ein bisschen angestrengt auf meinen Zahnstocher beißen? Da kann man in der Klosterkirche schon mal ein „Dank sei Dir, Oh Herr, für Noise-Cancelling-Kopfhörer!“ zum Himmel schicken.
Noch eine wichtige, wenn auch nicht neue Erkenntnis: Pauschalurteile aus Reiseführern sollte man einfach überlesen. In meinem zum Beispiel stand, dass „ohne Fleisch in Zypern gar nichts geht“. Ja, äh … nee. Das klingt natürlich peppig, ist aber totaler Unsinn. In jedem zypriotischen Restaurant, selbst in den ältesten Tavernen findet man irgend eine Pasta mit Gemüse, in den Städten gibt es immer ein paar vegetarische und oft sogar vegane Gerichte. Ich kann alle beruhigen: Niemand wird hier zum Souvlaki-Essen gezwungen oder mit dem Kopf in den Lammeintopf getunkt!
(Fisch-Mezze. Hier dachte ich noch, wir wären gleich fertig mit dem Ding.)
Wer allerdings zumindest Fisch isst und sich was gönnen will, sollte unbedingt mal in eine einigermaßen originale Taverne gehen und die Fisch-Mezze bestellen. Erst kommen da jede Menge Dips und Oliven auf den Tisch (Ich kenne ja jetzt zum Glück die Unterschiede zwischen allen zypriotischen Olivensorten. Seufz.) Dann gibt’s ein paar Meeresfrüchte und als wir die geschafft hatten, haben wir zufrieden Besteck und Serviette auf unsere Teller gelegt.
Haha, was waren wir naiv!
Insgesamt mussten wir noch viermal die Serviette vom Teller nehmen, es kamen einfach immer mehr Töpfe und Schalen und Teller mit immer mehr Gemüse, Fisch und Meeresfrüchten und erst als wir dann auch noch einen riesigen Teller mit frittierten Sardinen und Kartoffeln bezwungen hatten, akzeptierte der Kellner unsere Kapitulation und hat uns gnädig vom Geschirr befreit. Nicht ohne uns direkt danach noch eine Nachspeise anzubieten, versteht sich.
Ich habe nach Luft japsend höflichst abgewunken. „But one Cyprus Coffee, please!“ Soll ja für alle Beteiligten ein schöner Abend bleiben.
(Ja, so nennt man mich hier. Zypern, ich komme wieder!)