Die positive Leiterzählung
Ich glaube mittlerweile, dass rechtspopulistische Parteien, Magazine und Sender mit ihren ewigen Hasstiraden vor allem deshalb so erfolgreich sind, weil alle anderen Parteien und wir als Gesellschaft leider fürchterlich schlecht darin sind, irgendwas Positives dagegen zu setzen.
Das Problem ist: Menschen lieben negativen Shit. Das sieht man an den Klickzahlen von AfD und Co bei TikTok, Insta und Facebook. Und natürlich auch daran, dass jeder noch so abgehalfterte Journalisten Darsteller einfach ein düsteres Märchenportal aufziehen kann und damit ernsthaft Menschen (und Politiker) erreicht. Andere beschimpfen und beleidigen, irgendwem die Schuld in die Schuhe schieben und gruselige Weltbilder an die Wand zu malen ist super catchy (und wird deswegen von Social Media Konzernen auch noch gefördert). Aber es ist halt auch wahnsinnig einfach, billig und nutzlos. Und ich bin sicher, das alles wäre wesentlich weniger erfolgreich, wenn es etwas gäbe, wohinter sich der Rest der Gesellschaft, nennen wir ihn einfach den denkenden und fühlenden Teil, versammeln könnte. Etwas, was es einem möglich machen würde zu sagen: „Jaja, versprüht Ihr mal schön euren gehässigen Rotz, aber macht’s bitte leise, wir arbeiten hier an was Größerem.“
Ich nenn’s mal (und ja ich weiß, dass das super schwülstig ist, aber mir fällt gerade nichts besseres ein) eine „positive Leiterzählung“ (also Leit-Erzählung. Nicht Leiter-Zählung. Letzteres ist eher was für Gerüstbauer) Etwas, das für die meisten erstrebenswert klingt und worauf sich alle demokratischen Parteien (und nein, die AfD gehört nicht dazu, egal wie oft mir ihre Fans noch ein „Buhuu, aber sie sind doch demokratisch gewählt!“ in die Kommentarspalten heulen) trotz aller Meinungsverschiedenheiten einigen können.
Es ist doch so: Wir sind heute eigentlich den ganzen Tag damit beschäftigt, GEGEN etwas zu kämpfen. Wir demonstrieren gegen die AfD, wir verbieten rechtsextreme Organisationen und Zeitschriften, wir schreiben entrüstete Posts darüber, wie menschenverachtend dies oder jenes Zitat von diesem oder jenem Rechtspopulisten wieder war und Politik wird vielerorts auch nur noch mit dem Ziel gemacht, Leute davon abzuhalten die AfD zu wählen. Das hat alles seine Berechtigung (außer das Reposten von gehässigen AfD-Zitaten. Das ist einfach komplett nutzloser Likes-Sammel-Mist. Von mir aus gerne aufhören damit!) und manches kommt erschreckend spät (Jesus, wie lange muss man Faschisten eigentlich dabei zuschauen, wie sie Faschisten-Dinge tun, bevor man sie mal verbietet?), das kann aber nicht alles sein. Ziel einer Gesellschaft kann doch nicht sein, einfach immer nur das Schlimmste zu verhindern. Das reicht einfach nicht.
Populisten werden uns immer einen Schritt voraus sein. In der Zeit, in der wir eines ihrer Videos verbieten, veröffentlichen sie zehn andere. Wenn wir ihre Lügen in Sommerinterviews offenlegen, haben sie schon ihre schönsten Zitate daraus bei TikTok verbreitet. Wenn wir eines ihrer Bücher auf den Index setzen, schreiben sie zehn neue. Und wenn wir eine ihrer Organisationen verbieten, treffen sie sich heute abend und lassen sich nen neuen Namen für dieselbe Gruppe einfallen.
Das einzige, was meiner Ansicht nach helfen würde, auch wenn es tausendmal anstrengender ist: Etwas dagegen setzen, das ihnen die Grundlage und die Unterstützung für ihren Hass entzieht. Eben eine positive Leiterzählung. Aber genau die fehlt den meisten demokratischen Parteien heute. Die SPD hatte sich mal „Respekt“ und „Gerechtigkeit“ auf die Fahnen geschrieben, aber mittlerweile reicht es ihnen offensichtlich, den Kanzler zu stellen. Die Grünen hatten jede Menge Ziele, heute trauen sie sich aber entweder nicht mehr, irgendeines davon zu verfolgen, oder sie sind zu beschäftigt damit, allen anderen zu beweisen, dass sie nicht der Beelzebub sind. Die FDP hatte mal so verrückte Themen wie „Bürgerrechte“ im Programm, hat sich dann aber aus irgendwelchen Gründen entschieden, zur „Schuldenbremse! Juhuuu! We love Schuldenbremse! Und keine Steuern für Reiche!“-Partei zu werden. Und CDU/CSU? Na ja, denen reicht’s halt einfach gegen die Ampel zu sein, alles andere ist ja auch anstrengend.
Übrigens: Rechtspopulisten haben oftmals solche Leiterzählungen, nur halt in dusselig: „Make America Great again“ ist natürlich ein Eins A Vollidiotenspruch, weil er weder besagt, wann America mal „great“ war, noch für wen, noch was „Greatness“ eigentlich ausmacht. Aber wenn man ihn oft genug penetriert (und das macht Trump weiß Gott), dann glauben viele eben dran, weil sie sich vielleicht an ihre Jugend erinnern und denken: „Ah ja, das war great, das hätt ich gerne zurück!“ Ähnlich dumm aber effektiv: Das „Deutschland, aber normal“ der AfD. Auch hier könnte man fragen, was denn „normal“
sein soll (offensichtlich wünschen sich da viele das Deutschland zurück, in dem als allererstes mal die eigene Parteichefin aufgrund ihrer sexuellen Orientierung mit Berufsverbot belegt würde), das ist den Leuten aber egal, weil sie einfach nur denken: „Oh ja, normal, das möchte ich wieder sein können, ohne all die Herausforderungen der modernen Welt, die machen nämlich Kopf-Aua!“
Jetzt stellt euch mal vor, man würde für den (deutlich größeren) Rest der Gesellschaft auch so eine positive Vision finden! Ich bin sicher, es gäbe tausende Themen, auf die sich sehr viele Menschen einigen könnte, wenn man sich die Mühe machen würde, sie wirklich dafür zu begeistern. Ich bin das ganze Jahr in Deutschland unterwegs, ich weiß, dass es viel mehr Nicht-Vollidioten als Vollidioten gibt. Und wenn man die davon überzeugen könnte, dass, was weiß ich…
… Demokratie vielleicht anstrengend, aber immer noch die sinnvollste bekannte Staatsform ist.
… es geil und profitabel für alle sein kann, zusammen an einer Gesellschaft zu arbeiten, in der jeder, der zu ihr gehört, eine Stimme hat und mitwirken kann - egal welches Geschlecht, welche Hautfarbe, welche sexuelle Orientierung oder Religion
… es sinnvoll ist, wenn man die natürlichen Grundlagen erhält, damit auch die nächste Generation noch irgendwo leben kann
… man aktiv Kriege verhindert, wenn Europa weiter zusammenwächst
… „dass wir als Gesellschaft gemeinsam mehr bewegen können und nicht, wenn jeder sein eigenes Süppchen kocht. Gemeinsam ist man stärker“ (Ha! Ein Nationaltrainerzitat! Von mir! So krass sind die Zeiten schon!!)
… dann würden sehr viele das auch verstehen und wahrscheinlich sogar mal kurz das Handy mit dem neuesten Storchentrixie-Gülle-Auswurf-Video weglegen.
Vermutlich steht einiges davon sogar in dem ein oder anderen Parteiprogramm. Es wird aber einfach nicht selbsbewusst und leidenschaftlich genug kommuniziert. Viele trauen sich offenbar nicht mehr, ein positives Ziel oder eine Vision zu haben. Genau das wäre aber nötig. Denn so lang wir nur auf alles schauen was nicht funktioniert, nur auf Themen reagieren, die die Rechtspopulisten vorgeben und es uns im Zweifel immer noch ein bisschen wichtiger ist, dass der Nachbar auf keinen Fall mehr Bürgergeld kassieren darf als ich, da werden wir für immer und ewig nur traurig und außer Atem auf die Rücklichter der Rechtspopulisten starren.