LLLL – Lernen, Leben, Lindern, Lesen
Lernen
Zurzeit scheine ich in mich selbst in gefährliche Gewässer der Kreativität manövriert zu haben, wobei das Problem nicht die Projekte an sich sind, sondern vielmehr die amorphe Masse an Ideen und Projekten, die sich vor meinem inneren Auge aufbäumt.
Ein Versuch, die rund 20 verschiedenen Themenbereiche in sieben verschiedenen Kanäle zu publizieren bereitet mir nicht Kopfschmerzen, sondern blockiert mich komplett, sodass ich zwei Tage mit Planung beschäftigt war, anstatt zu schreiben, zu kreieren, zu machen.
Planung ist für mich die Flucht in die Pseudoaktivität, es ist ein wichtiger Schritt vor der Durchführung, aber für mich persönlich oft eine Vermeidungsstrategie: Durch das Planen bekomme ich ein proaktives Gefühl, aber ohne wirklich mich mit den Unannehmlichkeiten der Umsetzung und den damit ggf. (neu) aufgetretenen Problemen zu beschäftigen. Leider muss ich zugeben, dass ich ein Großteil meines bisherigen Lebens planend verbracht habe und damit ist das Planen einer Methode, die mich zum Zuschauer meines Lebens machen und nicht zum Akteur.
Die gute Nachricht: Ich schreibe diesen zweiten Newsletter und setze damit das Zeichen, den Planungsprozess beendet zu haben und aktiv zu sein/zu werden/zu wollen/zu können – es fühlt sich gut an.
Leben
Gerade habe ich mich mit der jüngsten Vergangenheit meines Lebens auseinandergesetzt, vor allem in Bezug auf Fotos und Aktivität der letzten 3 Jahre. Gerne möchte ich davon erzählen, allerdings nicht hier an dieser Stelle im Textformat, sondern lieber die Bilder sprechen lassen. (Link folgt später)
Um nicht durchschnittlich zu sein und das Leben zu leben, gehört es für mich auch dazu mich zu verstehen und da gibt es unterschiedliche Aspekte, auf die ich im Verlauf der nächsten Ausgaben eingehen werde. Heute möchte ich das Thema Prokrastination behandeln, eine negative Gewohnheit, die ich leider perfektionierte. Das passierte, als ich mich für zweimal auf ein Examen vorbereitete, ohne das Datum zu kennen. Beim ersten Mal wartete ich 6 Monate und wurde dann binnen zwei Wochen gebeten mich zur Prüfung vorzustellen, das zweite Mal waren es im Anschluss fast 13 Monate, bis ich den Brief bekam, mich in 14 Tagen dem Examen zu stellen. Diese Zeit von fast zwei Jahren war motivationsraubend, ernüchternd und teilweise gefährlich für meine mentale Gesundheit. Ich habe viel über mich selbst gelernt und meine schon vorhandene Vorliebe zur Prokrastination nochmal gesteigert.
Kurze Erklärung: Prokrastination ist als das ‘Aufschieben’ bekannt und wird mit Bravour von Tim Urban in seinem TED-Talk (Abre numa nova janela) erklärt. Auf der einen Seite hat es emotionale Komponenten wie Vermeidung, Schuldgefühle und zeigt laut manchen Autoren einen geringen Selbstwert, da man sich die Arbeit unterbewusst nicht zutraue. Auf der anderen Seite gibt es äußerliche Faktoren, die dieses Verhalten begünstigen, wie z. B. ungenaue Aufgabenstellung, große Aufgaben mit fernen Abgabeterminen oder aber auch eine ausgeprägte Bedeutung der Arbeit für die Person. Wichtig ist hier zu unterscheiden zwischen Prokrastination mit fixen, externen Deadlines wie im Arbeitsumfeld oder im Studium auf der einen Seite und persönliche Projekte auf der anderen Seite. Gerade die persönlichen Projekte beinhalten viel Herzblut, werden aber immer wieder vor sich hergeschoben und man irgendwann verbittert das eigene Versagen zugeben muss.
Ich bin ein Prokrastinator, wie schon letzte Woche erwähnt und in der nächsten Ausgabe erkläre ich noch, was ein Scanner ist.
Lindern
Sex ist ein wichtiges Thema, auch für die Gesundheit und dennoch wird es von Ärzten abseits der Gynäkologie und Urologie wenig bis gar nicht thematisiert. Es ist für viele Personen weiterhin ein schambehaftetes Thema und in den wenigen Minuten beim Arzt entsteht meistens nicht ein solches Vertrauensverhältnis, dass Sex angesprochen wird.
Bei einer ausführlichen Schilderung eines Mannes nach einer kompletten Entfernung seiner Prostata aufgrund eines Prostatakarzinoms wurde Sex angesprochen. Eine gesunde Prostata ist quasi der Hals der Blase und hilf bei der Kontinenz und daher musste der Patient mithilfe einer elektrischen Analsonde erst wieder Muskelmasse aufbauen, um seine Kontinenz einigermaßen wiederzuerlangen. Weil es aber eine so große OP war, wurde ihm auch seine Potenz genommen. „Ich habe Kinder und mit meiner Frau ist da seit Jahren nicht mehr viel los“, sagte er, „aber der Möglichkeit beraubt zu sein, dass es einfach nicht mehr geht … das macht etwas mit einem.“
Der schlagartige Verlust der eigenen Potenz als Mann, nicht die langsame Abnahme der Potenz, stelle ich mir nicht einfach vor. Es gibt Möglichkeiten dieser Potenzlosigkeit chirurgisch Abhilfe zu schaffen, wie beispielsweise durch mechanische Schwellkörper, aber das hängt von der Priorität des Patienten ab.
Der zweite Fall von heute handelt auch von Scham, allerdings nicht sexueller Natur:
Bei fortgeschrittenem Lungenleiden ist manchmal eine Sauerstofftherapie nötig. D. h. die zusätzliche Sauerstoffgabe, meist durch einen Konzentrator der Umgebungsluft und nicht durch extra Sauerstoffflaschen, ist laut Studienlage hauptsächlich symptomatisch, bedarf 16 Stunden Nutzungsdauer pro Tag und ist nicht lebensverlängernd. Viele dieser Personen sind auf den Sauerstoff in einer Form angewiesen, dass sie ihr ganzes Leben danach ausrichten. Das geht mit einem Teufelskreis einher von Luftknappheit bei Anstrengung, dementsprechende Meidung jeglicher Belastung, was wiederum die Luftknappheit verstärkt – schwierig diesen Teufelskreis zu durchbrechen.
Die noch relativ junge Patientin mit Sauerstoff berichtete mir von ihrem Sauerstoffbedarf, aber sie benutze das schwere portable Sauerstoffgerät nicht. Auf meine Frage, woran das liege, antwortete sie: „Das ist doch peinlich, mit so einem Gerät durch die Gegend zu laufen.“ Der Grund des Gewichtes war ein unwichtiger zweiter Grund.
Während der eine Patient von sich aus über seine Sexualität spricht, möchte die andere Patientin partout nicht als krank erkannt werden; während ich mich frage, was die Scham mit mir als Arzt macht.
Lesen
Ein wichtiges Buch war für mich im Nachhinein „House of Gods“ von Samuel Shem, ein groteskes und brutales Abbild der Medizin, gleichzeitig aber auch lustig, makaber und in so vielen Schilderungen habe ich Teile meiner Ausbildung wiedererkannt. Es war wichtig für mich, um viele der Gefühle nochmal zu erleben, aber am Ende wieder als Mensch herausgekommen zu sein – nicht als einer der Monster, die in diesem Buch beschrieben sind.
Ein großer Teil meiner Ausbildung steht mir noch bevor und sicherlich werde ich von den Gesetzen des „House of Gods“ Gebrauch machen. So beispielsweise Gesetz III „Ertaste bei Herzstillstand erst deinen eigenen Puls“ oder Gesetz IV „Der Patient/die Patientin ist die Person mit der Krankheit“.
Aus dem Kontext gegriffen, scheint es bizarr zu klingen und für Viele ist diese Lektüre wahrscheinlich nicht die richtige, aber diese teilweise kathartischen Momente haben mir gefallen und geholfen, daher empfehle ich es weiter.
Eine zweite Woche geschafft, allerdings wird es ab jetzt nur noch alle 14-Tage erscheinen!
In diesem Sinne seid umarmt und bis zum nächsten Mal