Gender und Glaube
CN: Nennung von Gewalt, Rassismus, Genoz*d, Sexismus, Transfeindlichkeit. Teils explizit erwähnt, auf Details wurde verzichtet, bitte achte beim Lesen auf dich!
Bild: “herz” (Linguri © 2023)
„Wieso heißt du Marco?”
Weil ich mir Markorias als Namen ausgesucht habe, um mit meiner griechisch-orthodoxen Oma den gleichen Namenstag beizubehalten.
Aber das will ja niemand hören.
Was gemeint war ist: Weil ich ein Mann bin. Immer wieder habe ich diese Frage gestellt bekommen, als ich mich vorgestellt habe:
„Ich bin Marco“.
„Oh, aber das ist doch ein Männername. Wieso heißt du so?“
Heute blicken mich Menschen mit Unverständnis an, wenn ich das erzähle.
„Das kann ja gar nicht sein, dass Menschen nicht gesehen haben, dass du ein Mann bist!“
Wirklich? Denn bevor ich regelmäßig Testosteron-Spritzen bekommen habe, hat mich so gut wie niemand als Mann gelesen. Das war schon fast aus Kulanzgründen mal ein er/ihn-Pronomen. Dabei war ich immer der gleiche Mann.
Aber seit ich die Spritzen bekomme, werde ich mit Computerproblemen und Technikfragen und Fußball belagert.
Na ja, ist ein okayer Preis dafür, dass man im Gegenzug nachts spazieren gehen kann und direkt als kompetent wahrgenommen wird.
Nicht erst, wenn der Kollege es wiederholt.
Ich sag es kurz und plakativ: Kompetenzen sind keine Geschlechterrolle und wir können von außen nur den Testosteron-Gehalt einer Person sehen, nicht aber deren Geschlecht.
Deshalb ist auch die Lieblingsaussage vieler in solchen Zusammenhängen kein Kompliment für mich, sondern schon wieder am Thema vorbei:
„Das sieht man dir ja gar nicht an!“
„Das sieht man dir ja gar nicht an!“
Was genau? Dass ich in Frankfurt geboren wurde?
Dass mein Vater aus der Türkei kommt?
Dass meine Familie das Land verlassen musste und alhamdulillah und dhoksto theo lebendig und halbwegs ihr Hab und Gut mitnehmen konnte?
Ja, so sieht für dich kein Türke aus, aber das liegt daran, dass du nicht weißt, dass es auf dem Staatsgebiet der Türkei auch andere Menschen als muslimische, ethnisch-türkische Personen aus Mittelanatolien in durch stereotypisierter Optik gibt. Aramäisch oder armenisch oder kurdisch, Zaza, Jesidisch oder Siriani, Georgisch oder die jüdischen Minoritäten oder die pontische, nur um ein paar zu nennen. Und ich, ich bin ein Rhomäer. Rhomäer*innen: Das sind die griechisch-sprachigen Menschen, die in Ostthrakien und Istanbul lebten. Und ganz wenige von uns leben noch. Ich zum Beispiel.
„Wenn Sie Griechisch sprechen, dann sind Sie auch griechisch-orthodox, oder?“
Sagte mein Endokrinologe zu mir, während ich eigentlich gerne mit ihm gesprochen hätte, welche Dosis Testosteron für meinen Körper passt.
„Nein“, sage ich, „ich bin Muslim“ und denke das alhamdulillah leise, was ich mich in Deutschland nie traue auszusprechen.
Und meine Sprache heißt Rhomäisch. Ja, ich verstehe Griechenland-Griechisch mit meiner Omasprache, aber so etwas wie ich heißt dort liebevoll Turkosporo. Das Spermium aus der Türkei.
„Puh, aber lassen Sie Ihre Religion mal lieber weg!“
Sagte mir ein Psychotherapeut als es um mein Gutachten für meine notwendige Operation an der Brust ging. „Das macht Ihre Transsexualität unglaubwürdig“, weil er so gerne noch das Wort benutzt, was mehr Diagnose als Beschreibung ist, statt ein Mal in seinem Leben kurz das respektvollere „Transidentität“ auswendig zu lernen. Sollen wir ihm applaudieren, dass er wenigstens nicht Transsexualismus gesagt hat?
Ne, ich soll das lieber weglassen, weil: Er findet nämlich, dass Muslim*innen nicht trans sein können. Weil er als weißer, cisgeschlechtlicher, reicher Mann das bestimmen darf, was geht und was nicht geht.
Ich hätte auch gerne die Diagnose Cissexualismus.
Wo finde ich das in der International Classification of Diseases?
Gibt es dafür auch einen Code für die Krankenkasse?
Ich ging in die Kapelle.
Als ich die Brust-OP hinter mir hatte, ging ich in die Krankenhauskapelle.
Denn es gibt einen mit dem ich dann reden wollte.
Ich stellte meinen Stuhl Richtung Mekka. Fing an und rezitierte im Dunkeln.
Und dann lachte ich sehr laut und musste mein Gebet neu beginnen. Denn ich merkte nicht, wie ich zufällig Sure 94 rezitierte, die mit den Worten „und habe ich dir nicht die Brust geöffnet“ beginnt. Ich startete mein Gebet neu. Und ich sagte nicht Gott vergib mir, denn er ist es, der den Humor erschaffen hat. Und sein Humor tröstete mich an diesem schlimmen Tag voller Angst und Blut und Schmerzen.
Er stellt mir solche Fragen nicht.
Für ihn, war ich immer der Gleiche.
Ich habe ihn in meiner Kindheit gespürt und ich spüre ihn heute.
Und ich wusste immer, dass es da draußen dieses warme Licht gibt, das mich beschützt und mich liebt. Egal, was ich tue und wer ich bin.
Das habe ich vom meiner griechisch-orthodoxen Oma gelernt.
Eine Frau, deren Liebe verpönt war, weil sie einen katholischen Mann, der 3 Jahre jünger war als sie heiraten wollte. Und sie hat es in den 1930er Jahren in Istanbul getan. Denn zum Schluss hat sich doch ein Priester gefunden.
90 Jahre später...
„Ich habe ihn aus dem Hinterzimmer gezogen als sie ihn zur Schahada zwingen wollten“
sagte die Braut vor ihrer Eheschließung zu mir. Und ich dachte an meine Großeltern und sagte ihr: „Macht euch keine Sorgen, ich verheirate euch, denn im Koran steht, dass Allah zwischen Menschen die Liebe erschaffen hat. Ich glaube fest daran, dass er nicht unterscheidet, welche Liebe davon besser oder schlechter ist oder welches Geschlecht die muslimische Person in der Ehe hat.“
Liebe.
Das ist auch das, was mein verstorbener Vater mir uneingeschränkt gab. Immer. Baba hatte Angst, wie Menschen zu mir sein werden, als ich mich geoutet habe. Er wollte mich beschützen. „Du bist doch immer noch meine Tochter… äh mein Sohn… und ich lieb dich genauso wie du bist“, sagte er. Und das war das liebevollste, was ich mir vorstellen konnte. Bestimmt hat er sich auch noch geschämt, dass er mich falsch angesprochen hat. Aber ein anderes Mal schaute er mich an und sagte „Ach, du weißt doch, dass ich nur ein älterer cis Mann bin und das noch lernen muss.“ - und das ist meine Definition von einem trans-Verbündeten, einem trans Ally. (übrigens trans klein geschrieben, weil Adjektiv, danke!)
Er, rhomäischer, ethnisch-christlicher Türke, über 70 und seine Freunde, mit denen er Tavli gespielt hat, cis Männer of Color: Kurden, Siriani, Zaza.
Sie wussten wie ich bin, wer ich bin. Aber wisst ihr, was unter echten Männern wirklich zählt?
Ob man Tavli spielen kann und nicht, ob man XY oder XX-Chromosomen hat.
Und doch ist die erste Frage, die ich von weißen Journalist*innen und auch Privatpersonen höre – mit großer und vielleicht eher gespielter Besorgnis: „Hat dein Vater sehr schlimm reagiert?“
Worauf?
Dass ich zu Gott wie er Allah sage, aber wir unterschiedliche Religionshüllen dafür haben?
Dass ich trans bin?
Manchmal würde ich gerne fragen, ob sie mir das mal beschreiben können, wie sie sich das vorstellen.
Aber das würde ich gerne auch wissen wollen bei, wo ich wirklich, wirklich, wirklich, wirklich herkomme.
Da halte ich es wie meine gute Freundin, die auf die Frage, wie Brot in ihrer Sprache heißt, einfach keine Miene verzog, die Person anblickte und sprach: „Brot.“
Entgegen all diesen antimuslimischen und innertürkischen Rassismus, Transfeindlichkeit, Cissexismus, usw.:
Ich bin. Ich bin rhomäisch-türkischer Frankfurter. Ich bin ein trans Mann of Color.
Ein echter Mann, der sich weigert die weibliche Sozialisation abzulegen und weiterhin auch offen sagt, dass er vor etwas Angst hat.
Und ein echter Muslim, so richtig ungemäßigt, total radikal gläubig.
Und seit zwei Wochen stolzer Taufzeuge einer kleinen katholischen Cousine, mit der er ganz liebevoll und stolz umgeht - egal, ob dem Kellner im Restaurant der Bart dafür zu groß und dunkel ist, dass ich Quietsche-Entchen und Kuck-kuck mit einem kleinen weißen Säugling spiele.
Was ich hier mit vielen Worten zeigen statt direkt sagen wollte:
Antimuslimischer Rassismus, Transfeindlichkeit und cisheteronormative Geschlechterrollen sind einfach Quatsch und menschengemacht.
Wir sind alle gleich vor ihm.
Und alle mit mehr oder weniger Privilegien – vielleicht als Prüfungen, sodass wir die Aufgabe haben, dagegen anzukämpfen, uns nicht besser zu fühlen.
Aber für ihn sind wir alle gleich, denn: Allahu akbar, Gott ist größer als all diese menschengemachten Vorwände, um sich über andere zu stellen und sich selbst zu erhöhen.
Und dann gibt es diese Konzepte und Theorien.
Menschen können großartig beschreiben, warum Menschen zu mir böse sind. Aber oft fühle ich mich wie ein Forschungsgegenstand.
Klar, diese Forschung ist wichtig und ich gehöre ja auch zu diesen genderwahnsinnigen Elfenbeinturm Theoretiker*innen.
Aber: Gender ist etwas, dass wir alle haben. Wir fühlen es. Und ich glaube fest daran, dass Allah uns dieses Gender-Programm auf unsere Gehirn-Festplatten gespielt hat, bevor wir geboren wurden.
Aber was ich auch glaube, ist, dass er uns nie diese Normen dazu gegeben hat und Ideen, warum jemand mit zwei X-Chromosomen weniger Wert sein soll oder warum Menschen sich wie kleine Kinder vor Rosenkohl weigern, zu einer Person mit XY-Chromosomen „sie“ zu sagen, wenn sie doch eine Frau ist und Allah sie auch als Frau erschaffen hat.
Wer sie sieht und es trotzdem nicht schafft, mehr Mensch als nur seine Vorurteile zu sehen… Astaghfirullah.
Ich glaube, dass es so wichtig wäre, dass wir beginnen in Herzenssprache über das Thema zu sprechen.
Wenn alle Herzen verstehen würden, müssten wir Gehirnen nichts mehr erklären.
Wieso versteht ein Herz nicht, dass es eine Gräueltat gegen die Schöpfung ist, dass wir jedes Jahr am Transgender Day of Remembrance stundenlang Listen von Namen vorlesen müssen, von trans Personen, die im vergangenen Jahr gewaltvoll aus dieser Welt genommen wurden?
Was versteht das Herz nicht daran?
Wieso versteht ein Herz nicht, dass es falsch ist, einer Person zu sagen, welchen Beruf sie ausüben darf, welchen Namen sie führen darf, welche Pronomen, welche Religion sie haben darf?
Wie groß muss die Eisschicht sein, dass man lieber in Kauf nimmt, einem Menschen weh zu tun als die eigenen Normen zu überdenken?
Natürlich, wir könnten uns jetzt über Kommata und Worte in theologischen Texten unterhalten – oder wie transexkludierende Feminist*innen das gerne tun auch in Biologiebüchern oder sogar in feministischen Texten –
Wer ein hasserfülltes Herz hat, wird überall Gründe finden, um zu beweisen, dass Menschen so wie Allah sie gemacht hat falsch sind –
oder deutlicher gesagt: Weniger Wert sind. Also, minderwertigen im Vergleich zu ihnen selbst.
Wenn ich eines von meiner griechisch-orthodox-katholisch-muslimischen Familie gelernt habe, dann ist es, dass Liebe und Barmherzigkeit das Wichtigste sind.
Sie haben es geschafft, in Menschen, die geschwiegen haben als Schlägertrupps durch die Straßen Istanbuls zogen, um uns zu töten, dass sie diese schweigenden Zuschauer*innen nicht gehasst oder pauschalisiert haben.
Sie haben stattdessen von dem ethnischen Türken erzählt, der sich mutig vor ihre Tür gestellt hat und der Grund ist, warum ich heute hier stehe. Warum ich überhaupt geboren wurde.
Und dann erzählen mir Menschen, dass sie es nicht schaffen, ein Pronomen korrekt zu sagen oder sich auf die Straße zu stellen, um zu sagen, dass antimuslimischer Rassismus gegen alles geht, woran sie in ihrem Herzen glauben?
In einer Demokratie kostet das noch nicht einmal viel Mut!
Das Problem scheint mir oft zu sein, dass viele den Menschen nicht im Menschen sehen, wenn ein Muslim vor ihnen steht oder eine intergeschlechtliche Person oder eine trans Frau oder eine cis Frau oder eine Jüdin oder ein Sintu oder eine nicht-binäre Person oder oder oder – wir sind doch bei all diesen Schubladen doch in erster Linie Mensch.
Aber für manche wohl nicht.
Und warum sage ich das hier?
Ich sage es, weil das Teil der Theologie ist, an die ich fest glaube.
Ich glaube, dass ich exakt genau gleich viel wert bin wie jeder von euch und jeder andere Mensch auf dem Planeten.
Ich glaube, dass diese Systeme der Unterdrückung, die wir Menschen erschaffen haben, gegen meine Religion sind.
Und dann kommen wieder welche und sagen: Du hast doch sicher ganz viel Gewalt von Muslim*innen erfahren, oder? Ehrlich gesagt: Nein.
Der weiße, reiche Chirurg, der meine Brust nur so formen wollte, wie sie für ihn männlich ist – was identisch ist mit weiß, der war schlimmer.
Der Islamkritiker, der mir erklärt hat, dass der Islam eine gewalttätige Religion ist und zur Verdeutlichung meinen Kopf gegen eine Wand schlug. Der war schlimmer.
Jetzt will er uns sagen, dass Muslim*innen bessere Menschen sind, oder was?
Nein, ich will sagen, dass alle konstruierten Menschengruppen gleich viele Menschen haben, die hasserfüllt sind.
Der Grund ist aber nicht, dass sie zu der Gruppe gehören sondern der Grund ist der Hass.
Wenn die AfD davon spricht, dass sie die Schutzmacht für Schwule und Lesben in Deutschland sind – vor uns Muslim*innen, dann hat das einen Grund und zwar: Mehr Rassismus erschaffen und nicht mehr Rechte und Schutz für queere Menschen.
Klar, AfD wählt ja niemand offiziell – so wie niemand BILD liest, aber es stinkt mir dann doch zu sehr nach genau diesem Satz, wenn du mich extra fragst, ob Mustafa im Schulworkshop zu Queerfeindlichkeit auch schön brav war, weil der ja… „Ach Sie wissen schon“ ist.
Und gleichzeitig finde ich es oft lustig, wie verwirrt Menschen davon sind, dass ich zu mehreren Gruppen gehöre, die sich für SIE widersprechen. Und so bin ich alles und nichts gleichzeitig.
Also außer ein richtiger Deutscher und außer ein richtiger Mann, das wird dann im Notfall bei mir noch beschrieben mit Mann* und mit Migrationshintergrund und Deutschtürke und aber doch eigentlich Grieche, Italiener oder Marsmensch.
Deswegen lasst es mich zusammenfassen:
Ich war weiblich gelesen gleich kompetent, wie männlich gelesen.
Es wollte nur niemand glauben.
Ich bin genauso sehr Türke und Deutscher und Frankfurter und Rhomäer wie alle anderen.
Es wollte nur niemand glauben.
Ich bin genauso viel Mann wie jeder cis Mann.
Es wollte nur niemand glauben.
Ich bin genauso trans mit Hormonen und OPs wie ohne und mit hoher Stimme.
Es wollte nur niemand glauben.
Und ich bin exakt genauso Teil von Gottes Schöpfung wie jeder einzelne Mensch, der jemals gelebt hat oder leben wird. Will das bitte jemand glauben?
Insofern ist für mich Gender auch eine Glaubensfrage und zwar nicht die, ob du mir,
der Biologie, den Gesetzen, den Menschenrechten oder auch dem unglaublich großen historischen queeren Erbe in islamischen, jüdischen oder christlichen Traditionen glaubst –
sondern: Glaubst du daran, dass du nicht mehr und nicht weniger wert bist als jeder andere Mensch und diese Frage beantwortest du mir durch dein Handeln und dein Sprechhandeln, wie du mit Frauen und queeren Personen und Muslim*innen umgehst.