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Getrocknete Tinte

CN: Trauer/Vermissen

Ich hab deine Uhr gefunden. Ich sehe sie noch ganz klar vor mir an deinem Handgelenk. Bei mir ist sie ein ganz kleines Bisschen zu groß. So wie alles. Deine Pullover, deine Schuhe, deine Abwesenheit. Nur deine Handschuhe passen mir, weil unsere Hände genau gleich groß waren.

Ich frag mich, wieso du deine Uhr nicht mehr brauchst. Sie liegt hier. Als hättest du sie vergessen. Oder als hättest du sie extra für mich hinterlegt. Da ist sie einfach. Ich wüsste nicht, wie ich sie dir dahin bringen soll, wo du jetzt bist.

Ich frag mich ganz oft, wo du jetzt bist. Meinst du, du könntest mir mal eine Postkarte schicken? Oder vielleicht mal in meinem Traum zu mir kommen? Vergessen hast du mich bestimmt nicht, das weiß ich.

Und es war mein Geburtstag ohne dich und es war dein Geburtstag ohne dich. Und alle Feste. Ein neues Jahr hat begonnen und du warst nicht da.

Ich hab deinen Ring gefunden. Gold und schmal. Und als ich ihn angezogen habe, habe ich Schmerzen in der Hand bekommen. Als wäre all der Schmerz, den du erlebt hast, in diesem Ring gespeichert. Ich hab das Datum gelesen, was in den Ring graviert ist, und habe überlegt, was alles danach kam. Du hast den Ring immer getragen. Jetzt liegt er hier. Brauchst du ihn denn nicht mehr?

Ich hab keine Tränen mehr gefunden. Der Mensch besteht aus so viel Wasser und doch kam nicht eine einzige mehr. Als hätte jemand im Keller des Gebäudes den Haupthahn zugedreht und was auch immer du machst, da kommt kein Wasser zum Kochen und keines zum Trinken und keines zum Duschen.

Ich hab deinen Lieblingspullover gefunden. Ganz kuschelig. Ich erinnere mich, wie er mich umarmt hat. Eigentlich ganz lustig, dass wir in den seltensten Fällen einen Menschen umarmen, eigentlich umarmen wir unsere Kleidung, die dann die Kleidung des anderen umarmt und die wiederum den anderen. Ich weiß auch gar nicht mehr, wie du dabei gerochen hast. Dein Pullover riecht nach der Schublade, in der ich in gefunden habe. Nicht nach dir.

Und Herbst sieht so sehr nach dir aus. Nach den Blättern, die blühten und strahlten und jetzt so bunt zu Boden fallen. Bald ist gar nichts mehr da. Bald ist das letzte Blatt zerfallen oder weggeräumt. Alles wird zu Erde. Alles kehrt zurück, wo es herkam. Und es ist weg. Keine Spur mehr von Frühling oder Sommer. Niemand kann die Farben mehr erahnen. Rosa im Frühling, tiefes grün im Sommer und orange-rot durch den Herbst. Doch November vergisst und Dezember erinnert sich nicht mehr. Dezember sieht die Farben nicht. Er wird sie nie sehen.

Ich hab einen Brief gefunden. In deiner Handschrift, die ich immer so schwierig zu lesen fand und gleichzeitig irgendwie schön. Die Handschrift vor der ich mich erschrecke, wenn ich sie aus Versehen selbst habe.

Eines Tages verlieren wir alle unsere Farbe und werden grau und Staub. Unsere Lieblingskleidung, unsere Arbeit, alles, was wir geliebt haben. Alles, was wir gehasst haben. Alles, was wir vermisst haben. Alles, was wir befürchtet haben. Alles, was wir waren.

Alles zerfällt, alles wird mit den Kontinenten im Wasser untergehen. In einer Supernova aufgehen. In einem schwarzen Loch versinken. Vielleicht noch darin detonieren. Und dann ist es Dunkel. Kein Licht, nicht ein Photon mehr in einem leeren unendlich Universum.

Doch alles kehrt zurück, was es herkam. Von dort kommen wir und dort kehren wir zurück. Und vielleicht wird dann wieder ein Urknall passieren und neue Zeit und neuen Raum erschaffen. Vielleicht auch mehr Dimensionen. Vielleicht auch weniger.

Und nach der Zeit, wenn der Ruf kommt, sind wir alle wieder zusammen. Und vielleicht schaffe ich es ja, die Uhr und den Pullover und den Ring und vielleicht auch ein rotes Herbstblatt mitzubringen, um dich zu erinnern, wie alles war.

Und vielleicht kann ich dich dort wieder umarmen. Umarmen sich dort Menschen direkt? Und vielleicht kann ich dort deine Handschrift wieder sehen, wenn die Tinte noch verschmiert. Ich hoffe, wir werden dort schreiben dürfen. Und vielleicht höre ich deine Stimme. Nicht nur aus der Aufnahme. Und vielleicht bist du dort kein Foto mehr.

An einem Ort, der nirgendwo ist und zu einer Zeit, die niemals ist.
Dort werden wir uns sehen.

Tópico Gedichte & Kreatives

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