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Kapitel 1: Von der Lesung zur Leiche.

Für einen Vortrag zur Hardcover Version dieses Buches verschlug es mich auch in den Norden. In Rendsburg, Schleswig-Holstein, hielt ich Ende Oktober in der Buchhandlung Liesegang einen Vortrag. Dabei kam ich selbstverständlich auch auf die Fundsituationen nach sehr langen Liegezeiten zu sprechen, bei denen Nachbarn und Hausverwaltung gar nicht gemerkt hatten, dass ein Mieter oder Nachbar gestorben war. Im Institut für Rechtsmedizin wundern wir uns erst, wenn die Liegezeiten mehrere Jahre erreichen. Wochen und Monate sind für uns völlig normal. Manchmal wird ein Sterbefall auch vorsätzlich nicht gemeldet, um weiterhin die Bezüge Verstorbener zu kassieren.

In den meisten Fällen handelt es sich um alleinlebende, ältere Personen. Gerade im Herbst, wenn die Temperaturen noch schwanken, kommt es zu Funden, deren Liegezeiten mehrere Wochen erreichen. Im Sommer werden Leichen für gewöhnlich schneller gefunden, weil das Stadium der aktiven Zersetzung relativ zügig einsetzt und dementsprechend mehr Geruchsstoffe und Flüssigkeiten produziert. Zudem begünstigen wärmere Temperaturen eine andere, wesentlich schnellere Form der Verwesung und Fäulnis, weil die Bakterien dabei zu Höchstformen auflaufen.

Im Herbst allerdings, wenn die ersten Heizkörper hochgedreht werden, aber in einigen Räumen der Wohnung noch eine kühlere Temperatur gewünscht ist, beispielsweise im Bad, stehen gleichzeitig Fenster offen. Dies führt häufig zu einer aktiven Fliegenbesiedlung bei einer verlangsamten Verwesung und Fäulnis, verglichen mit den Sommermonaten. In vielen Fällen findet man die Verstorbenen auf der Couch liegend. Daneben steht meist ein Eimer falls man sich erbrechen muss und auf dem Couchtisch liegen Medikamente. Eine andere typische Fundsituation sind Badewannenleichen, die im Sterbeprozesses in die volle, manchmal auch leere, Badewanne gestürzt sind. Manchmal liegen die Toten auch vor der Toilette und sind beim Toilettengang verstorben. Bei herbstlichen Temperaturen finden Fliegen im Innenraum von Wohnungen dann hervorragende Besiedlungsbedingungen vor.

Nach der Lesung kam eine Mitarbeiterin des Buchladens auf mich zu und wollte mir eine Handyvideo zeigen. Noch während sie es auf ihrem Handy suchte, erzählte sie mir, dass das Fenster zur Wohnung ihres Nachbarn gehöre. Die Jalousien des Fensters waren heruntergelassen. Am Fenster wimmelte es vor Fliegen. Dutzende größere, dunkle Schmeißfliegen klebten an der Scheibe. Ich sagte ihr daraufhin, dass ihr Nachbar tot sei. Sofort trat Stille in der Buchhandlung ein. Einige Gäste standen noch in der Schlange hinter ihr und warteten auf eine Signatur im Buch. Ich erklärte ihr ohne Umschweife, was ich von dem kurzen Video hielt. Sie fragte nach, ob es auch Nahrungsreste sein könnten, die die Fliegen angelockt haben. Allerdings war meine Gegenüberlegung, wer fährt denn in den Urlaub und lässt verderbliche Nahrungsmittel zurück, gerade solche, die Schmeißfliegen anlockt? Sie meinte daraufhin, sie und auch eine andere Nachbarin hätten die Hausverwaltung darauf aufmerksam gemacht, aber niemand hatte reagiert. Auch die Nachfrage zum Füllstand des Briefkastens bestätigte meinen Verdacht. Er war voll und quoll schon über. Auf die Frage, ob es denn nicht komisch rieche, antwortete sie, dass es seit einiger Zeit tatsächlich komisch im Eingangsbereich einen komischen Geruch gäbe.

Hier sei auf einen kleinen Tipp verwiesen, den mir Thomas Kundt, ein befreundeter Tatortreiniger, einmal gegeben hat. Wenn man eine derartige Situation in seinem Umfeld feststellt und nicht sofort die Polizei alarmieren möchte, kann man sich selbst überzeugen. Moderne Wohnungstüren sind für die Energieersparnis und um Zugluft zu vermeiden meistens sehr dicht schließend konstruiert, wie auch im oben geschilderten Fall. Man geht zu zweit an die Wohnungstür, während Person A den Fuß an die untere Türkante stemmt, schnuppert Person B am entstehenden, schmalen Spalt. Die Nase bringt dann die Auflösung: Verwesungsgeruch ist sehr eindringlich. Man erkennt ihn, auch wenn man ihn vorher noch nie gerochen hat.

Und so führte meine Bitte an die Mitarbeiterin des Buchlandens, noch am selben Abend die Polizei zu verständigen, zu einem Leichenfund, zwei Stunden nach der Lesung. Manchmal sollte man eben auf den Spürsinn unserer tierischen Helfer hören. Das Verhalten der Hausverwaltung ist in diesem Fall wirklich zu kritisieren. Überquellende Briefkästen sind in der Regel das erste untrügliche Zeichen, dass etwas nicht stimmt. Kommen dann noch Fliegen am Fenster hinzu, dann ist der Ausgang der Story fast schon klar. Dass Menschen allein in ihren Wohnungen sterben, ist nichts Ungewöhnliches, allerdings sollte keine unnötige Zeit verstreichen, und bei entsprechenden Hinweisen schnell reagiert werden. Man stelle sich vor, es hätte sich um ein Tötungsdelikt gehandelt. Wertvolle Zeit für die Ermittlungsarbeit wäre verstrichen und Spuren wären vernichtet worden.

In anderen Fällen fallen Maden von Decke. Dies passiert häufig in Wohnungen in Altbauten, die noch altes Parkett oder Dielenboden besitzen. Zudem handelt es sich meistens um abgehängte Decken. Was passiert? Ein Leichnam liegt längere Zeit in einer Wohnung und wird von Fliegenmaden besiedelt. Irgendwann wandern sie vom Leichnam weg und suchen sich, wie bereits in meinem Buch „Wenn Insekten über Leichen gehen“ beschrieben, einen geschützten Platz für die Verpuppung. Sie nutzen also die Ritzen im Holz und in der Kehrleiste und enden irgendwann in der Zwischendecke. Von hier aus ist der Weg nicht mehr weit zum Durchlass für die Stromkabel der darunterliegenden Wohnung.

Lektorat: Wencke Brauns

Tópico Kapitel Entomologie

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