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Noltes Weihnachts-Notizen | 23. Dezember 2021

Liebe KLup-Freund:innen,

am Tag vor Heiligabend schenken wir euch meinen weihnachtlichen Leitartikel - exklusiv schon einen Tag vor Veröffentlichung auf www.kirche-und-leben.de. Ich verbinde damit meinen herzlichen Dank für alle eure Unterstützung im vergangenen Jahr - und wünsche euch und euren Lieben ein gesegnetes Weihnachtsfest. Kommt gut und behütet ins neue Jahr, dazu Gottes Segen für Gesundheit und Frieden! Unseren nächsten Newsletter lest ihr am Mittwoch, dem 5. Januar.

Guet goahn!

Markus Nolte (Chefredakteur Online)

Erschöpfte Weihnacht

Es scheint, als kämen wir einfach nicht heraus aus dieser düsteren Zeit. Das geht an die Substanz, das raubt viel Kraft. Und doch hat diese Erschöpfung viel mit Weihnachten zu tun, wie ein Gemälde, ein Foto und eine Erfahrung im vorweihnachtlichen Münsterland zeigen. - Ein geistlicher Leitartikel von Markus Nolte, Chefredakteur online.

Caravaggio: Die Anbetung der Hirten (1609)

Lasse liebt das Licht. Lasse  ist zehn  Wochen alt. Und wenn er nach dem Stillen auf den Armen seiner Mutter gewiegt wird, schaut er schwankend zwischen Müdigkeit und Entdeckerlust aus großen blauen Augen auf die Strahler an der Decke, die Lampe in der Ecke, die flackernden Kerzen am Adventskranz. Lasse liebt das Licht. 

Es war faszinierend, ihm dabei zuzusehen bei einem kleinen, vertrauten Abendessen zum Geburtstag einer Freundin. Im engsten Kreis saßen wir da beisammen, ganz allein am Tisch eines großen, aber coronabedingt völlig leeren Gasthauses im Münsterland. Wir die einzigen Gäste in einem sonderbar stillen Festsaal, mit einer besonderen Premiere: Lasse.

So ziemlich alles, was er sieht, sieht er zum ersten Mal. Wolken, Häuser, Autos, die Freunde seiner Eltern. Und Gesichter mit Masken. Sein erstes Weihnachten sieht so aus: Außer Mama und Papa, Oma und Opa haben die Menschen nur halbe Gesichter. Der Rest – verborgen.

Corona ohne Ende

Für uns Große und Alte gehört zu Weihnachten, dass es ein Fest ist, das immer so war. Und sich anschickt, jetzt zum zweiten Mal ganz anders zu sein. Nicht wie sonst, nicht wie früher, nicht wie in Kinderzeiten. Nicht wie wir es mögen.

Zu diesem Weihnachten gehören einmal mehr Vorsicht, Vermissen – und vor allem und überall zu erleben: eine gewaltige Erschöpfung. Keine wohlig-wogende Müdigkeit in mütterlicher Geborgenheit, sondern eine schier unendliche, die in die Knochen geht. Eine Erschöpfung, die kein Ende sieht, das macht sie so schwer: Das so notwendige Impfen – ein zäher Prozess. Die penetrante Arroganz der Impfgegner – lähmt den Fortschritt aus der Pandemie und die Geduld aller Geimpften. Die fünfte Welle mit einer weiteren Virusvariante im Anmarsch, erneute Schutzmaßnahmen – enttäuschten brutal die Zuversicht, dass wir nach 20 Monaten endlich leichter durch diesen Winter kommen. 

Kirche ohne Wende

Aber auch dies kostete Kraft: die nicht enden wollende Skandalgeschichte um Missbrauch in unserer Kirche, um Vertuschen und verweigerte Übernahme persönlicher oder wenigstens struktureller Verantwortung; der Eindruck, dass – egal, was noch alles herauskommt – doch alles beim Alten bleibt. Es kos­tet Kraft, das zu erleben. 

Und auch dies erschöpft: Natürlich werden wir immer weniger, wen wundert‘s. Die Zahl der Katholikinnen und Katholiken schrumpft, die der Christen in unserer Gesellschaft, die der Geweihten und der Geistlichen schrumpft, die aller Seelsorgenden, die finanziellen und personellen Möglichkeiten schrumpfen. Das wahrzunehmen und sich gerade zu Weihnachten noch an ganz andere Zeiten zu erinnern, das deprimiert, zieht massiv Energie aus tiefen Seelenfalten, wie Schmerz und Trauer das eben tun. 

Zu sehen, wie Menschen in Scharen gehen. Wie die Kirche zusehends ihre Glaubwürdigkeit verspielt. Wie sie sich selbst aushöhlt. Darüber kann auch ein saisonales Weihnachts-Hoch in der Gottesdienst-Statistik nicht hinwegtäuschen.

Das macht unendlich müde. Woher noch Kraft nehmen für Reform und Protest, für Strukturprozesse, Synodale Wege, Weltsynoden? – Fürs Bleiben?

Lasses Erschöpfung ist natürlich eine gänzlich andere. Er weiß von all dem Schweren nichts. Und doch: Wie er da so ruhig liegt im Arm seiner Mutter, den Kraftakt der Geburt noch immer in den Knochen und die vielen neuen Eindrücke hinter den Lidern – diese erste große Erschöpfung des Lebens klingt mir an in der Ruhe von Weihnachten, in der Besinnlichkeit, die wir uns zum Fest wünschen, in der „stillen Nacht“, die wir besingen. „Still, still, weil‘s Kindlein schlafen will.“

Müde Mutter auf der Erde

Die Mutter kaum minder. Großartig lässt sich das bestaunen in einem gewaltigen Werk von Caravaggio, der „Anbetung der Hirten“. Ein monumentales Gemälde von drei Metern Höhe (siehe oben). Eine unsichtbare Diagonale drückt von oben rechts die weihnachtliche Himmelsbotschaft nach unten, lenkt den Blick von den Hirten und Josef hinab zu Maria mit dem neugeborenen Jesus. Wie hingeschüttet liegt die müde Mutter auf der Erde, einen Arm auf den hölzernen Futtertrog gestützt: Madonna und Christkind ganz unten. 

Maria mit dem Kind - Detail aus Caravaggio: Die Anbetung der Hirten (1609)

Keine Spur von ehrfürchtiger Anbetung einer tadellos hergerichteten, vielleicht etwas blassen, dafür umso frömmeren Gottesmutter und ihres strahlend segnenden Christkinds, keine Szene aus göttlichem Glanz und himmlischer Herrlichkeit. Nein, Caravaggio zeigt etwas ganz Natürliches, nichts Arrangiertes, sondern wie im Moment fotografiert: einfach eine erschöpfte Mutter, die so­eben noch ihr just geborenes Kind halten kann. 

Drumherum einfache Leute: Einer hält sich im Hintergrund, einer nähert sachte seine Hand – so sieht das Staunen vor dem Wunder der Geburt eben aus, überall. Ein einziger Hirte lässt mit gefalteten Händen ahnen, dass hier etwas von religiöser Bedeutung geschieht; die Heiligenscheine von Maria und Josef malte Caravaggio bestenfalls dezent. Er lässt den Kopf wie erschöpfte Lider sich senken – und dann bei der müden Madonna mit dem heruntergekommenen Gottessohn landen. Der aber würdigt den Betrachter keines Blickes, wendet sich seiner Mutter zu, berührt vertraut ihr Gesicht und weiß sich von ihren beiden Händen umfangen und geborgen.

Caravaggios Bild geht der Botschaft von Weihnachten buchstäblich auf den Grund: Der Schöpfer der Welt steigt hinab in seine erschöpfte Schöpfung, die sich müde „zum Abend senkte“, wie der 1000 Jahre alte Weihnachtshymnus „Conditor alme siderum“ singt.  

In eine verkrümmte Welt

Im Unterschied zu Lasse wusste Gott gewissermaßen, worauf er sich einließ, wofür er sich verausgabte, warum er sich „aufopferte“. Er kannte die Welt, in die hinein er Mensch werden wollte: diese Welt aus Krankheit und Erschöpfung, aus Gewalt und Macht­miss­­brauch, aus Krieg und Vertreibung, aus Ungerechtigkeit und populistischer Verführung, aus Schuld und Sünde, wie wir religiös sagen, aus Erlösungsbedürftigkeit und Sehnsucht nach Heilung. 

Eine Frau mit Kind im Rettungsflug mit einer Militärmaschine von Kabul nach Doha im August 2021. | Foto: Giorgos Moutafis / BILD

In diese gebeugte, in sich selbst verkrümmte, bis zum Rand erschöpfte Welt, zu der auch diese eine Frau aus Kabul gehört, die es im August mit ihrem Baby in einen der Flieger geschafft hat (Foto oben). Nach dem Versagen der westlichen Politik und der erneuten Macht­übernahme durch die Taliban flogen sie in die Freiheit. Wie sie da liegen im fahlen Licht des Flugzeugbauchs, erschöpft bis ins Mark, die Mutter bergend eine Hand auf ihrem Kind, eine andere beruhigend auf ihrer eigenen Stirn. 

Wir feiern erschöpfte Weihnacht. Damals wie heute, hier wie da. „Kommt, ihr Beladenen, ich will euch Ruhe verschaffen“, wird der kleine Jesus später sagen. Es wird dieselbe stille Geborgenheit sein, die Lasse trotz aller Müdigkeit mit Entdeckerlust ins Licht schauen und nie Gesehenes bestaunen lässt. 

Und wir? Wir haben nicht mehr als die alte Verheißung, dass ein erschöpftes Volk in aller Dunkelheit ein Licht sehen wird. Und dass ein Engel zwischen Schlafen und Wachen sagt: Fürchtet euch nicht.