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Weihnachts-Newsletter | 22. Dezember 2022

Liebe KLup-Freund:innen,

mit meinem weihnachtlichen Leitartikel, den ihr heute exklusiv schon zwei Tage vor seiner Veröffentlichung auf www.kirche-und-leben.de erhaltet, verbinde ich den Wunsch unseres ganzen Teams und von mir persönlich für ein gesegnetes Weihnachtsfest euch und euren Lieben. 

Guet goahn!

Euer
Markus Nolte (Chefredakteur Online)

Weihnachten – Fest der Zugehörigkeit in einer Zeit voller Fremdheit

Sandro Botticelli (Werkstatt), Madonna mit Kind und Johannesknaben (ca. 1490-1500, Detail), Städel-Museum, Frankfurt.

Kein Weihnachten ohne  Krippe, ohne Christkind, Maria und Josef. Und darüber ein Engelschor,  der vom Frieden in der Welt singt. Was hat das mit unserer Realität zu  tun? Sicher, wir könnten uns in diese Idylle flüchten und uns ein  Wohlgefühl gönnen in dieser schweren Zeit. Oder einfach wirklich  Weihnachten feiern. Ein geistlicher Leitartikel von Chefredakteur Markus  Nolte.

Letzten Endes war es ein fremdes Jahr. Was hatten wir gehofft, dieses  vermaledeite Virus hinter uns lassen zu können, all die  Abstandhalterei, die Grund­skepsis, die im anderen immer auch etwas  Bedrohliches fürchten muss. Gut, wir sehen uns wieder mehr ins Gesicht  und sehen wieder mehr vom Gesicht, wir sind wieder mehr beieinander,  geben uns die Hand und herzen uns. Das ist gut, wirklich gut.

Und doch bleibt Ansteckung in der Luft – jetzt dann Grippe wie lange  nicht, üble Erkältungen, heftige Infektionen mit dem RS-Virus, das vor  allem Kindern massiv zusetzt. Es ist, als würden wir einfach nicht  gesund. Wir leben ein fremdes Leben.

Die guten Jahre sind vorbei

Zu allem Übel brach Krieg aus, überfiel Russland die Ukraine, sterben  Menschen, leben in Angst, auf der Flucht, in fremden Ländern, versuchte  Putin Europa auseinanderzubringen, entstehen aus militärischen  Drohungen, Inflation, Energieverknappung, unterbrochenen Handelsketten  und taktischen Desinformationen Angstkulissen wie seit 77 Jahren nicht  mehr.

Zeitenwende ist das Wort des Jahres: Vieles ist nicht mehr, wie es  war, wird es womöglich nie wieder. Die guten Jahre sind vorbei, sagen  viele. Wir leben ein fremdes Leben.

Nicht mal an Weihnachten volle Kirchen

Und in der Kirche geht der Abbruch weiter. Die Austrittszahlen auf  Rekordniveau, kaum minder das Unverständnis vieler Engagierter darüber,  wie langsam – wenn überhaupt – es mit so notwendigen Reformen vorangeht,  wie unbeirrbar die Verantwortlichen in Rom den Anstoß für alle  Reformnotwendigkeit ignorieren: den tausendfachen Missbrauch von  Priestern an Kindern.

Und: Da dachte man, wenigstens an Weihnachten kämen die Leute noch  zum Gottesdienst, und sei es der heimeligen Atmosphäre wegen, der Kerzen  und Lieder, der Tradition und der Rituale. Nicht einmal mehr das. Zur  ersten Christmette ohne Lockdown zieht es gerade einmal 15 Prozent der  Bundesbürger. Wir leben ein fremdes Leben.

Der Gesang der Engel bleibt ein Sehnsuchtslied

Lange nicht war die Sehnsucht so groß, wen wundert's. Nach Vertrautem  und Vertrauen, Sorglosigkeit und Gesundheit, nach Frieden und Ruhe –  nach dem, was die Bibel so groß und großartig  und umfassend „Heil“  nennt. Und den, der es bringt, den „Heiland“ – herzlich besungen in  vielen Weihnachtsliedern.

Doch was bringt er denn wirklich? Es ist doch beileibe nicht so, dass  mit seiner Geburt im Stall vor den Toren von Betlehem der Weltfriede  ausgebrochen wäre. Im Gegenteil. Die Botschaft der Engelschöre „Friede  auf Erden!“ – dieser Gesang ist ein Sehnsuchtslied geblieben, das  älteste der Welt womöglich, steht längst im Ruf, die ewige Hitparade der  kitschigsten, naivsten Schlager alter Zeiten anzuführen.

Weihnachten ist kein Machtfest

Gleichwohl: Wer Weihnachten so versteht, macht es sich zu leicht.  Wollte und würde Gott eingreifen in all das Unheil dieser Welt, er hätte  wohl einen anderen Weg gewählt, einen „effektiveren“, wenn man so will.  Nein, Weihnachten ist kein Machtfest, da kommt kein Dreinschläger, kein  Haudegen, kein Führer, der mal ordentlich aufräumt – und dann wären  Ruhe und Frieden und so.

Gottes Machtwort: Er selber. Seine Machttat: Er entäußert sich all  seiner Gewalt. Gott gesellt sich zu uns und rührt damit an unsere größte  Sehnsucht – die nach Zugehörigkeit, nach Ansehen, nach Geborgenheit.  Sehnsucht aber sehnt nie nach etwas Unbekanntem, sondern nach etwas, das  wir erlebt, erfahren haben, das uns jedoch abhanden gekommen ist, das  wir verloren haben oder verlassen mussten.

Der Engel des Vergessens

Allem voran die Erfahrung einer unbedingten Liebe. Die großen  Weisheitstraditionen lehren, dass die Erinnerung an diese Grunderfahrung  mit unserer Geburt in Vergessenheit gerät; manche erzählen gar von  einem Engel, der gewissermaßen unter der Geburt herniederschwebt, uns  mit dem Finger auf den Mund schlägt (daher die Kerbe über der Oberlippe  ...), sodass diese tiefe Erinnerung unaussprechbar bleibt.

Das spüren wir als Sehnsucht, die uns von Anfang an bewegt, zumal  jede Geburt einer Vertreibung aus dem Paradies gleicht. So kommt der  Mensch zur Welt – ganz und gar angewiesen auf Begegnung, Zugehörigkeit,  Ansehen.

Dass Gott Kind wurde, ist nicht allein entscheidend

Ob uns darum das Kind in der Krippe so anrührt – der große Gott als  kleines Wesen, der Mächtige in völliger Ohnmacht, der Schöpfer der Welt  als wehrloses Geschöpf? – Doch eine solche Sicht auf Weihnachten und in  die Krippe bliebe immer noch zu sehr beim Offensichtlichen – und das  wäre zu wenig.

Das Entscheidende ist nicht allein, dass Gott Kind, Mensch wurde. Das  Entscheidende ist, dass er zu uns kommt, sich zu uns gesellt, in dieser  Welt, in dieser Zeit, auch und gerade in dieser fremden Zeit und Welt  und Kirche.

Das Christkind will nicht angebetet werden

„Gott naht sich mit neuer Huld“ – diesen Vers aus der zweiten Strophe  des wunderbaren Adventslieds „Kündet allen in der Not“ haben wir über  dieses Weihnachtsfest geschrieben. Das zeigt auch das Gemälde oben aus  der Werkstatt von Botticelli ganz grandios: Das Christkind will nicht  angebetet werden, nicht uns zu Demut verleiten, zum gebeugten Knie vor  aller Macht.

Gottes Menschwerdung verlangt von uns kein Gloria. Sie verlangt  überhaupt nichts. Sie will nichts. Erwartet nichts. Sie ist schon gar  nicht die dumpfe Aufforderung, es ihm gleichzutun und „einfach Mensch“  zu werden. Sie ist überhaupt keine Aufforderung.

Sandro Botticelli (Werkstatt), Madonna mit Kind und Johannesknaben (ca. 1490-1500), Städel-Museum, Frankfurt.

Das Kind berührt die Mutter

Sie ist nichts als Gabe. Auf dem Gemälde ist es denn auch weniger  Maria, die sich um ihren Neugeborenen kümmert – wenngleich dies  zugegebenermaßen kein Weihnachtsbild ist, sondern einen schon etwas  älteren Jesus (in Gänze mit Johannes dem Täufer, siehe Bild)  zeigt. Nicht Maria jedenfalls ist hier die, die schützt und umsorgt; es  ist vielmehr das Kind, das die Mutter berührt, sich ihr naht, sie  anschaut und ihr Ansehen schenkt.

Das ist das schlichte, große Zeichen von Weihnachten: dass Gott uns  nah ist, der Immanuel, Gott mit uns. Liebe. Ohne Macht. Nähe inmitten  alles Fremden, das uns in dieser Zeit umgibt: „Gott naht sich mit neuer  Huld. Ewig soll der Friede währen.“ An Weihnachten blitzt die uralte  Erinnerung an den Grund unserer Sehnsucht auf – wie ein Stern, dessen  Funkeln aus unerdenklicher Zeit kommt.

In der Ankunft Gottes in unserer Zeit nähert sich uns so gesehen  unsere eigene Herkunft. Und das Christkind in der Krippe, Immanuel,  „Gott mit uns“ ist unsere Zugehörigkeit.

Das muss reichen. Das ist alles.

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