Noltes Notizen | 2. September 2022
Liebe KLup-Freund:innen,
dieser Tag begann traurig.
Gleich drei Mal mussten wir den Tod eines Menschen auf der Startseite von "Kirche-und-Leben.de" thematisieren. Noch während wir live das Requiem für den am vergangenen Wochenende verstorbenen emeritierten Domkapitular Walter Böcker aus dem Münsteraner Dom übertrugen, haben wir vom Tod einer großen, beeindruckenden Frau berichten müssen: Elisabeth Bußmann.
Menschen wie sie gibt es nicht mehr viele. Sie hat sich über Jahrzehnte unermüdlich familien-, sozial- und kirchenpolitisch engagiert: als Präsidentin des Familienbunds, an verantwortlichen Stellen der Katholischen Arbeitnehmer Bewegung (KAB) auf Bundes-, Landes- und Bistumsebene, im Zentralkomitee der deutschen Katholiken, im Bistum Münster und nicht zuletzt als langjährige Leiterin der KAB-Heimvolkshochschule Könzgen-Haus in Haltern. Am Dienstag ist sie gestorben. Ich bin ihr mehrfach begegnet - nicht zuletzt beim "Gespräcshprozess", dem Vorgänger des Synodalen Wegs. Eine unglaublich wache, weite und zutiefst aus dem Glauben engagierte Frau (Bild unten / Foto: Archiv). Sie hat mich sehr nachhaltig beeindruckt.
Elisabeth Bußmann (+).
Ich habe gestern Abend schon durch eine - wie ich später erfuhr - Indiskretion auf Facebook von ihrem Tod erfahren. Dennoch haben wir nicht direkt berichtet. Warum nicht?
Die zweite Quelle
Gerade in solchen - nicht zuletzt für die Familie eines verstorbenen Menschen - sensiblen Momenten muss das Zwei-Quellen-Prinzip. Das heißt: Ich brauche eine andere, unabhängige Bestätigung der Nachricht. Das war gestern Abend nicht leicht. Ich habe ein knappes Dutzend Kontaktpersonen angefragt, zunächst ohne Erfolg. Dann konnte ich mit einer Person aus ihrem nahen Umfeld telefonieren und erfuhr Hintergründe, die mich aus Respekt vor der Familie zunächst davon Abstand nehmen ließen, die Nachricht zu veröffentlichen.
Heute Morgen habe ich mit weiteren Personen gesprochen - da war die Information in den Sozialen Netzwerken schon ziemlich weit gestreut; eine ganze Reihe deutschlandweit bekannter Persönlichkeiten hatten dort darauf so reagiert, dass die Nachricht immer weiter verbreitet wurde. Schließlich sind wir übereingekommen, dass wir nun tatsächlich auch offiziell die Meldung vom Tod Elisabeth Bußmanns (Abre numa nova janela)veröffentlichen sollten. Das haben wir eine gute halbe Stunde später getan. Und wiederum eine Stunde später konnten wir einen ausführlicheren, würdigenden Nachruf (Abre numa nova janela) bringen, den mein Kollege Johannes Bernard aktuell geschrieben hat. Auch er hat immer wieder mit ihr zu tun gehabt und konnte aus der Zeit auf gute Zitate und Kenntnis zurückgreifen.
Beim CSD 2022 vor dem Münsteraner Schloss. (Foto: Rüdiger Wölk/Imago)
Und dann kam der Tod zum dritten Mal zu uns.
Mittels einer WhatsApp-Nachricht eines Kölner Freundes - so kann das manchmal gehen. Er schrieb mir, wie entsetzt er darüber sei, was da in Münster passiert ist. Ich hatte zunächst geglaubt, dass er die fürchterliche Gewalttat gegen einen Trans*Mann am vergangenen Wochenende meinte, der am Rand des Christopher-Street-Days brutalst zusammengeschlagen und schwerst verletzt wurde und seitdem auf der Intensivstation lag. Doch die Nachricht des Freundes meinte etwas anderes: Dieser 25-jährige Mann ist heute Morgen seinen Verletzungen erlegen. Ein Blick in die Polizeimeldungen des Tages bestätigten, was Lokalmedien kurz zuvor berichtet hatten.
Das Entsetzen war schon am vergangenen Wochenende groß - über die Tat selber natürlich, aber ebenso darüber, dass sie in unserer friedlichen, immer wieder beglückend toleranten Stadt überhaupt möglich ist. Unser Oberbürgermeister Markus Lewe hatte klare Worte gefunden, gottdank auch unser Stadtdechant Jörg Hagemann. Ebenso die Queergemeinde, die in ihrem Gottesdienst für den verletzten Mann betete.
Und jetzt ist er tot.
Heute Abend soll es eine - schon seit Tagen geplante - Kundgebung gegen Gewalt an queeren Menschen geben. Mitten in Münster, auf dem Prinzipalmarkt. Auch die Queergemeinde in unserer Stadt hat zur Teilnahme aufgerufen. Sie wird auch ein Gedenken werden für den Getöteten. Ich war lange nicht mehr auf einer Demonstration. Heute Abend werde ich dabei sein.
Und ich bin sehr, sehr dankbar, dass sich heute sehr schnell auch unser Bischof zu Wort gemeldet (Abre numa nova janela)hat:
„Wir müssen laut unsere Stimme erheben gegen alle, die andere wegen ihrer sexuellen Orientierung, ihrer geschlechtlichen Identität, ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe oder ihrer Religionszugehörigkeit nicht tolerieren, beschimpfen, verbal oder tätlich angreifen. Intoleranz, Ausgrenzung und Hass dürfen in unserer Gesellschaft keinen Platz haben. Wir müssen und werden uns mit allen friedlichen Mitteln gegen diese Tendenzen zur Wehr setzen.“
Ich gebe offen zu: Ich hätte mir einen Satz mehr gewünscht. Einen Satz, der nicht verhehlt, sondern mit Scham und Schuldbewusstsein bekannt hätte, dass Intoleranz, Ausgrenzung und Hass gegen queere Menschen nicht zuletzt durch die katholische Kirche und ihre - nach wie vor bestehende - Lehre begründet wurden. In manchen Hirnen ist das bis heute so.
Dieser eine Satz mehr hätte die Äußerung von Bischof Genn für mich persönlich redlicher gemacht. Und doch bin ich wirklich dankbar, dass er sich äußert - und auch darüber, dass er sich so klar äußert. Ich nehme ihn gern beim Wort: "Wir müssen und werden uns mit allen friedlichen Mitteln gegen diese Tendenzen zur Wehr setzen" - das gilt eben auch für solche Tendenzen mitten in der Kirche.
Die Chance ab Donnerstag
Eine Möglichkeit dazu wird sich nächste Woche ergeben, wenn nämlich am 8. September für zwei Tage die nächste, die vierte Synodalversammlung in Frankfurt tagt. Einer der Themenbereiche, über die in zweiter Lesung und aller Voraussicht nach final abgestimmt wird, ist eben jener über queere Lebensformen und die katholische Sexualmoral. Bei der letzten Synodalversammlung hatte Bischof Genn ja überraschend pointiert gesagt (Abre numa nova janela), die Sexualmoral im Katechismus sei schlichtweg "peinlich". Darauf angesprochen, hat er mir jetzt vor kurzem im großen Sommerinterview (Abre numa nova janela) noch einmal bestätigt:
"Wenn ich sexuellen Missbrauch verhindern möchte, dann muss ich offener und qualifizierter über Sexualität sprechen können und muss weg von einer rigiden Sexualmoral. Hier muss auch das kirchliche Lehramt zu Neubewertungen kommen, die die Erkenntnisse der modernen Sexualforschung und Wissenschaft berücksichtigen."
Warum es spannend wird
Weitere große Themen, die in zweiter Lesung beraten und über die - vermutlich - abschließend abgestimmt wird, sind die nach der Lebensform der Priester und über einen "Synodalen Rat", der die Erfahrungen mit der Struktur des Synodalen Wegs verstetigen soll. Beides dürfte spannend werden. Nicht nur, weil es damit womöglich zu einer Positionierung gegen einen verpflichtenden Zölibat kommen könnte. Nicht nur, weil ein solcher "Synodaler Rat" auch intern durchaus nicht unumstritten ist - welche Rolle spielt dann künftig die kirchenrechtlich ohnehin recht schwachbrüstig ausgestattete Bischofskonferenz; welche Rolle spielt die Vollversammlung des ZdK, wenn die entscheidenden Dinge nur von 27 ZdK-Mitgliedern (so eine Möglichkeit) im ehrenwerten Synodalen Rat beschlossen werden?
Nein, nicht nur deshalb dürfte das richtig spannend werden, sondern vor allem wegen der Bischöfe. Sie müssen in ihrer Gruppe eine Zweidrittelmehrheit zustande bringen, damit der Synodale Weg überhaupt etwas beschließen kann. Ohne diese Zweidrittelmehrheit der Bischöfe hat ein Antrag keine Chance, ganz gleich was die Laien, Priester und Ordensleute in der Synodalversammlung wollen. Dazu muss man wissen, dass zwar die Positionierungen der meisten 27 Ortsbischöfe einigermaßen klar ist; ganz und gar nicht klar ist hingegen, wie die Weihbischöfe denken. Und die machen in sich schon mal zwei Drittel der Bischofskonferenz aus. Meines Erachtens ist da noch so gar nichts klar.
Was wir am Ende wissen werden
Erstmals allerdings wird jetzt transparent, wie die Bischöfe als Gruppe abgestimmt haben. Denn bei Anträgen, die in zweiter Lesung beraten und abgestimmt werden, muss das Wahlverhalten der Gruppe der Bischöfe ausgewiesen werden.
Anders gesagt: Am Ende dieser vierten Synodalversammlung wissen wir nicht nur, ob der Synodale Weg ein Erfolg wird. Wir werden auch wissen, wie ernst es den Bischöfen - Diözesan- und Weihbischöfen - mit Reformen in der Kirche ist. Und dann wird man auch sehen, wie ernst es ihnen 2019 in Lingen war, als sie einstimmig (!) diesen Synodalen Weg beschlossen haben - als Reaktion und Konsequenz auf die MHG-Missbrauchsstudie. Alle Hintergründe dazu hat mein Kollege Jens Joest übrigens gerade aktualisiert - in unserem Lexikon-Artikel hat er alles Wichtige über den Synodalen Weg zusammengetragen (Abre numa nova janela).
Weil es tatsächlich spannend werden kann, werde ich ab Donnerstag auch wieder live aus der Synodal-Aula in Frankfurt berichten. Damit garantieren wir unseren Leser:innen einmal mehr authentische und aktuelle Beobachtungen direkt aus dem Zentrum des Geschehens. Wenn alles so läuft wie geplant, kommt auch mein nächster Newsletter "Noltes Notizen" von meinem Schreibtisch dort im Pressepool. Dasselbe gilt für einen größeren Leitartikel am Ende der Synodalversammlung, der aller Wahscheinlichkeit nach am Samstagvormittag nächster Woche fertig sein wird.
An diesem Freitagnachmittag zwischen Trauer und Aufbruch wird einmal mehr klar: Die katholische Kirche steht mitten in einer gewaltigen Bewährung. Aber sie ist dem nicht einfach ausgeliefert. Schon gar nicht irgendwelchen ominösen Zeitgeistern. Sie hat jetzt diese Zeit als Kairos zu begreifen, als Zeichen der Zeit, in dem sie dringend mit dem Wehen des Heiligen Geistes rechnen kann.
Jetzt gilt es!
Darum den Ängstlichen Mut zur Weite!
Den Zaghaften Entschiedenheit zum großen Schritt!
Den Nachobenblickern die Sehnsucht der Untenstehenden!
Den Autoritären die Not der Schwachen!
Den Engen die Lust am Neuen!
Den Schüchternen die Bedürftigkeit der Zum-Schweigen-Gebrachten!
Den Festgelegten die Ungreifbarkeit Gottes!
Und allen Vertrauen in die beständig wirkende Geistkraft!
Euch allen ein gesegnetes, gutes, erholsames Wochenende!
Guet goahn
Markus Nolte (Chefredakteur Online)