Die Bank, auf der ich nicht schwanger sein wollte
Auf einer Bank am Winterfeldtplatz in Schöneberg habe ich mal die Pille danach genommen. Es ist schon ewig her, in einem anderen Leben, aber ich muss trotzdem jedes! einzelne! Mal daran denken, wenn ich da vorbeikomme. Es ist schon interessant, wie einfache Gegenstände, Orte, Gerüche manchmal Erinnerungen wieder lebendig werden lassen, selbst wenn sie lückenhaft sind.
Mittwochs und samstags ist auf dem Winterfeldtplatz immer Markt, da gibt´s dann an genau der Stelle, wo ich mit zittrigen Händen die Packung aufgerissen habe, Original Schweizer Käsefondue. Aber der Tag, an dem ich 25 Euro ausgegeben habe, um keinesfalls schwanger zu werden, war ein Montagmorgen, und es war keine Menschenseele auf dem Platz, nur ein paar Tauben pickten um die Dönerbude auf der gegenüberliegenden Seite herum.
Am Wochenende zuvor war ich mit meinem damaligen Freund in Dessau gewesen, “wegen Bauhaus”. Wir hatten uns eine ganz billige Unterkunft gemietet - gab es da schon Airbnb? Ich bin nicht sicher - irgendwie von privat, eine Einzimmerwohnung, schmaler Flur, kleines Bad, kleine Küche, mini Schlafzimmer, wo gerade mal ein Bett reinpasste und ein Stuhl, auf den man seine Kleider schmeißen konnte. Ideal für Frischverliebte also.
Dieses Bett haben wir praktisch nur zur Nahrungsaufnahme verlassen und, naja, um später zu Hause glaubhaft von unserer Tour durch die Meisterhäuser berichten zu können.
Nach angemessen ausschweifendem Ankunftssex blieben wir ermattet wie zwei Langstreckenläufer auf dem Rücken liegen und fingen an über Essen zu reden. Nachdem wir verschiedene Gemüsesorten (Magst Du Blumenkohl? Geht so. Rosenkohl? Örks. Rote Bete? Die sind die schlimmsten!) und Fleischgerichte durchdiskutiert hatten und uns schon vor Gier krümmten, war klar: Es hilft alles nichts. Raus aus dem Bett, rein in die Stadt, Essen suchen, hechelhechel.
Wir fanden das Nächstbeste: ein griechisches Restaurant, in dem “grad mexikanische Woche” war, wie man uns am Eingang mitteilte. Drinnen stießen die Kellner mit ihren entwürdigend Riesensombreros unentwegt an die IKEA-Lampen mit Schirmen aus Korbgeflecht, die über den Tischen hin und her schwangen. Es war ein bizarres Szenario. Dauerlachkrampf, Tränen salzten unsere Gyros-Enchiladas. Hach, waren wir verliebt.
Zurück in unserer Kemenate habe ich zum ersten Mal seit Jahren gekifft. Ich hatte von irgendeinem Bekannten was geschenkt bekommen und für uns mitgenommen, und der Flash war heftig, zuerst war mir schlecht, aber dann war der Sex extrem schön und intensiv, und schließlich musste ich die ganze Zeit lachen, weil ich mir high im Schummerlicht einbildete, ich könnte sein Gesicht in 35 Jahren sehen, das zerfurchte Gesicht eines alten Mannes, und ich war damals überzeugt, ich hätte einen Blick in die Zukunft geworfen, in der wir - selbstverständlich! - noch zusammen wären.
Erst später fiel uns auf, dass wir Verhütung vergessen hatten. Ich hatte gerade erst meine Tage gehabt, also bestimmt nicht so schlimm, beruhigte ich uns, jaja, locker bleiben.
Die Sprechstundenhilfen bei meiner Frauenärztin am Montag waren super entspannt und diskret. Keine Kommentare, keine Fragen, einfach nur: “Hier, bitte, Ihr Rezept.” Nachdem ich aus der Apotheke kam, stromerte ich ein wenig ziellos durch Schöneberg, auf der Suche nach einem möglichst unbeobachteten Ort (also ob sich in einem Kiez, wo sich ständig irgendeiner irgendwas injiziert, inhaliert oder einschmeißt, jemand dafür interessieren würde, was ich da treibe) und fand die Bank, an der es zwei Tage später wieder nasenbetäubend nach Fonduekäse riechen würde. Es war ein unspektakulärer Moment, trotzdem war da Angst (Hoffentlich ist es nicht zu spät), Unsicherheit (Will ich wirklich kein Kind mehr?) - und auch Wut darüber, mir wieder so eine Hormonkeule reinpfeifen zu müssen, da hätte ich auch gleich weiter die Pille nehmen können.
Ich hatte gerade runtergeschluckt, da kam eine SMS von ihm: “Nachdem ich ne Stunde Unkraut gejätet habe, hab ich mich ins Café geschlichen, dort stach mich ne Wespe in den Nacken...uuuh - die Bäckerin hat mir dann einen Kaffee geschenkt (und ne Zwiebel).”
Angst vor einer Schwangerschaft und ein Wespenstich. Ein Kaffee und ne Zwiebel und die Pille danach. Alles gleichzeitig, zur selben Zeit, in unterschiedlichen Lebensrealitäten.
Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob ich ihm davon erzählt habe (aber werde ich wohl), und ich bin mir auch nicht sicher, ob es wirklich genau dieselbe Bank war, an der ich jetzt immer vorbeikomme, denn irgendwann wurden am Winterfeldtplatz die abgerockten Holzbänke durch so hässliche metallene ersetzt. Aber ob das vorher oder nachher war, spielt im Grunde ohnehin keine Rolle.