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Gespensterbrief #33 - Happy Birthday, David Lynch.

Twin Peaks Theme - Angelo Badalamenti
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Mein liebes Gespenst,
wo beginnt der Donut und wo hört er auf?

Eigentlich wollte ich letzte Woche einen Gespensterbrief aus dem Entwürfeordner beenden und einen zum “Remember you die-Day” veröffentlichen (habe ich dir je erzählt, dass ich die meisten der Briefe zunächst an mich selbst über einen Messenger schreibe?). Dann starb David Lynch und meine Gedanken drifteten in unbeobachteten Momenten immer wieder dorthin ab.

Als ich zum ersten Mal Twin Peaks sah, war ich eine junge Studentin, die für ein Pflichtpraktikum in einer fremden Stadt in einem wackeligen Gästebett lag. Das Bett stand im Heizungsraum des Hauses, die Luft war immer zu trocken und das kleine Fenster ließ sich nicht richtig öffnen. Ich musste jeden Morgen um halb fünf aufstehen, damit ich die Bahn erwischen konnte, die mich zum Arbeitsplatz in der nächsten Stadt brachte. Vom Bahnhof aus musste ich noch eine halbe Stunde zu Fuß gehen. Immer war es dunkel, immer regnete es. Und mir war klar, ich würde nach dem Studium eh nicht in dem Job arbeiten.

Das einzige, was mich in dieser Zeit trösten konnte, war Twin Peaks. Wie es offenbar bei den meisten Fans der Fall ist, hat mich eine Person die ich bewundere, dazu gebracht, die Serie anzusehen. Liebenswerte Weirdos erkennen sich ja früher oder später immer gegenseitig. Ich war hooked. Die gespenstische Stimmung, das langsame Tempo, die fabelhaft aussehenden Menschen und ihr kollektiver Schmerz. Und die Musik! So unaufdringlich und doch so einprägsam. Oh, Angelo! Ich fühlte mich auf meinen Wegen weniger allein.

Dennoch hielt ich es nur zwei Wochen in Praktikum und Heizungsraum aus, aber Twin Peaks nahm ich mit. Dass dies ein Move von mir war, den David Lynch besonders gut nachvollziehen könnte, war mir da noch nicht klar.

Es war spät als ich Kyle MacLachlans Nachruf auf Instagram las. “David was…”
David war. Je älter ich werde, desto schneller erfasse ich die Marker für die Abwesenheit von Leben. In meinem DM-Fach warteten Nachrichten von Freundinnen; sie hätten sofort an mich denken müssen.

Ich weinte bis halb zwei, dann schlief ich ein.
Meme. Andy aus Twin Peaks in Uniform telefoniert. Er weint und sagt: Tell Harry I didn't cry. It's so horrible.
Credit: Lynch/Frost

Was gerade in meinen Timelines los ist, umfasst mein Herz ganz zart. Wie der Duft von verdammt gutem Kaffee ziehen wärmende Geschichten über Begegnungen, Einfluss, Inspiration, Kunst und Kreativität durch den Social Media-Flur.

Ich dachte, ich müsste mich schnell einreihen und etwas posten. Was, war beinahe nicht so wichtig. Hauptsache, ich äußere mich. Als Akademikerin, die über Lynch schrieb und zeitweise hyperproduktive Twin Peaks Meme-Generatorix ist das ja irgendwie Pflicht, oder?

Nein, gar nicht.
Ich schaltete einen Gang runter.

In seiner Master Class wiederholte Lynch nicht nur ausdauernd, dass man unbedingt stets ein Notizbuch und einen Stift dabei haben sollte, damit man wirklich auf gar keinen Fall eine Idee vergisst und sich in der Konsequenz damit künstlerisch selbst umbringt. Er betonte auch, wie wichtig es ist, sich Zeit zu lassen. Zeit, die man braucht, um Inspiration zu erhalten und Ideen zu fangen wie Fische. Und dabei ggf. auszusehen, als bräuchte man psychiatrische Hilfe.

David Lynch im Anzug an einem Schreibtisch. Untertitel: super important to write down your ideas.
Credit: David Lynch MasterClass

Lynch zu Ehren habe ich mir seinen Rat in den letzten Tagen sehr zu Herzen genommen, mir Zeit gelassen, gefühlt und nachgedacht.

Seine Arbeit war nie eingängig. Sie hat sich Themen gestellt, die es immer gab, aber die Bühne war dafür noch zu klein. David Lynch konnte Trauer und Schmerz in Kunst ausdrücken und hat dabei eine Sprache gewählt, die zu jenen sprach, die verstanden.

🔥 Laura Palmer, die ein MacGuffin hätte sein können, ist eine Figur, in der sich unzählige Frauen die Opfer von Missbrauch wurden, in ihrer Ambiguität endlich angemessen abgebildet sahen.

💝 Im Gegensatz zu Cross dressing war der Begriff Transgender einem großen Teil der Zuschauenden unbekannt, als Lynch/Frost in den 90ern die trans Frau Denise Bryan (David Duchovny) auftreten ließen.
Rund 25 Jahre später droppte Lynch in seiner Rolle als Gordon Cole im Gespräch mit Denise folgenden Satz: “When you became Denise, I told all of your colleagues, those clown comics, to fix their hearts or die.”
Denise war weder Sexobjekt, Witzfigur noch Kriminelle. Sie war eine Kollegin, die im Laufe der Jahre die Karriereleiter aufstieg.

🫂 In seinem Interview Project (Abre numa nova janela) wurden dutzende Menschen aus der US-amerikanischen Arbeiterklasse würdigend und offen interviewt. Darunter waren Menschen ohne festen Wohnsitz, versehrte, abhängige, kranke, verlassene, arme Menschen.

Wir leben in einer Welt, in der David Lynch nicht mehr an irgendeinem weirden Projekt arbeitet.

Es wird sehr deutlich, dass wir in dieser verunsichernden instabilen Zeit Künstler*innen brauchen, die sagen: Ich schreibe eine 25-minütige schneckenlahme Szene, die sich in die Gehirne der Menschen schraubt und sie in ihren Grundfesten so erschüttert, dass sie zwar nicht genau wissen, weshalb sie weinen müssen, aber danach werden sie Redebedarf haben und das ist doch was Schönes - Menschen, die miteinander reden.

Denn wenn er eines konnte, dann sich allen Erklärungen verweigern, weil er den Zuschauer*innen zutraute, es selbst zu packen.

Was wir nun tun können:
  • Brüh dir einen Kaffee auf.

  • Checke täglich das Wetter in deiner Nachbarschaft und verfasse einen eigenen kleinen Wetterbericht.

  • Bau dir deinen eigenen Smartphonehalter.

  • Aber schaue niemals Filme auf dem Smartphone.

  • Klatsche, wenn dir etwas gefällt.

  • Repariere deine Kleidung selbst.

  • Meditiere.

  • Angle in deinem Geist nach Fischen.

  • Erfinde die Art, Bingo zu spielen, neu.

  • Widme einen Teil deines Alltags der Suche nach der perfekten Hose und update dein Umfeld über neue Erkenntnisse.

  • Nenne deinen Unmut Trauer und widme dich ihrer Transformation.

  • Erkläre deine Arbeit nicht, wenn du es nicht willst.

  • Verbinde dich mit dem Mond.

  • Verfolge deine Ideen.

  • Sei kreativ.

  • Bleib freundlich.

Die Familie Lynch hat dazu eingeladen, heute um 21 Uhr (deutsche Zeit) David zu Ehren gemeinsam zu meditieren und ein wenig durch die inneren Räume zu wandeln.

Vielleicht sehen wir uns nachher um neun in unseren Träumen.
Jae

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