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Gespensterbrief #32 - Mit dem Grapefruitlöffel zurück ins Viertel

Mein liebes Gespenst,
warst du jemals arm?

In mir sitzt die Furcht vor der Armut wie ein Geburtsfehler.

Meine DNA gab mir haselnussgrüne Augen, lockiges Haar, eine Zahnlücke und den unerschütterlichen Willen, es aus meiner Klasse herauszuschaffen.

Du kriegst das Mädchen aus der Arbeiterklasse, aber die Arbeiterklasse nicht aus dem Mädchen. Darum dauert es auch immer ewig, bis ich ausreichend vorgesorgt habe, um einen Job zu verlassen. Ich muss erst meine Seele in warme Baumwolle schlagen. Also häkel ich an dreizehn Mustern gleichzeitig, jedes ein Netz, das mich auffängt, sollte das andere reißen.

Nun habe ich im Dezember gleich zwei davon zerstört.

Ich habe ein bisschen Angst. Doch die Angst ist eine altbekannte Freundin. Sie legt mir nachts Steine unter mein Kopfkissen, auf denen steht, es sei alles okay.

Mit anderen Autor*innen in ein Haus zu ziehen und parallel zwei Jobs zu kündigen ist vielleicht nicht die klügste Idee, aber es ist die beste für meine derzeitigen Bedürfnisse.

Hattest du jemals völlige Ruhe?

Mein Stipendienaufenthalt in den Künstler*innenhäusern Worpswede hat mich im Kern erschüttert. Zu sehen, dass es geht: so ruhig zu sein und mit mir selbst fein, war … erleuchtend?

Schon in den Jahren zuvor, aber besonders 2024 sagte ich folgenden Satz häufig schon nach dem Aufwachen zu mir selbst, zum Raum, zu dir. Immer ein Flüstern, um niemanden zu beunruhigen:

Ich kann nicht mehr.

Anfang letzter Woche saß ich früh morgens im Tippi - so nenne ich das Schreibzimmer unter dem Dach, das ich mir eingerichtet habe - und sah aus dem Fenster. Ich habe mir einen Traum erfüllt und ein Carrie Bradshaw-Setting aufgebaut: Schreibtisch direkt vor dem Fenster, Kaffeetasse, Lampe vom Flohmarkt, Bücher im Rücken, im Wind wehende Vorhänge, du siehst das Bild. Vor meinem Fenster nun ein neuer Ausblick: Ein alter Baum und dann Hochhäuser, Wald am Rande. Ich sehe zwischen den Bauten neue Geschichten wachsen.

Wir sind zurückgekehrt; dahin, wo wir in Teilen herkommen. Aufstieg ist selten damit verbunden, zurückzukehren. Oder gar in Gegenden zu ziehen, die deine ehemaligen Kommiliton*innen als “gefährlich” bezeichnen. Wir aber sind nun hier.

Und ich: Aber ich. Ich habe während meines Stipendienaufenthaltes etwas Altes gespürt. Mich. Haha. Ich meine, dass ich die Ruhe in mir wahrnahm, die tief in mir verborgen sitzt und sich selten entfalten kann, weil ansonsten zu viel Störfunk rauscht.

Die Epiphanie in der Schreibtischschublade.

Im Atelier musste ich nichts und niemand wollte etwas von mir. Das hatte ich lange nicht. Zu spüren, dass es noch geht, hat einen mächtigen Satz gelockert, von dem ich nicht wusste, dass er wahr ist.

Ich will nicht mehr.

Anfang letzter Woche saß ich früh morgens im Tippi und sprach zu mir, zum Raum, zur Welt, zu dir: Ich will nicht mehr und spürte die Energie, die davon ausging deutlich in meiner Brust. Während das bekannte Ich kann nicht mehr mir mit der Kraft einer hydraulischen Presse alle Aufgaben aufdrückte, öffnete das Ich will nicht mehr meinen Körper vom Nabel zur Stirn und spie der Welt meinen rigorosen Widerwillen entgegen.

Ein paar Tage später löste ich also zwei Arbeitsverträge auf, die mich schon zu lange vom Leben, Denken und Träumen abhielten; alles Voraussetzungen, um schreiben zu können.

Mein liebes Gespenst,
ich war schon öfter arm.

Es kann immer wieder passieren. Ich weiß, dass es einen manchmal kalt erwischt und dass es stets anders scheiße ist. Ich weiß, wie es ist, über lange Zeit jeden Monat nur 80€ für sich über zu haben und wie kräfteraubend es ist, tagelang darüber nachzudenken, ob man sich die fancy Socken für 10€ das Paar endlich mal gönnen darf oder ob Ende des Monats noch eine Nachzahlung drin sein muss. Jedes Mal, wenn solche Umbrüche geschehen, breche ich knackend auf wie ein Granatapfel und jede rubinrote Perle ist prall mit Erinnerung an diese Zeiten gefüllt.

Ich hatte mal einen Grapefruitlöffel, den habe ich verloren. Ich möchte den Erinnerungs-Granatapfel mit diesem Löffel öffnen und all die Perlen zerritzen. Die Armutserinnerungen will ich in den Erdboden laufen lassen und der Regen soll sie fortspülen.

Ich fürchte mich ein bisschen. Meine DNA gab mir Ohren, mit denen ich wackeln kann, schmale Hände, eine salzige Stimme und den hartnäckigen Willen, es trotzdem zu schaffen.

Gutes neues Jahr, liebes Gespenst.
2025 wird aufregend und anders.
Keine Angst
Deine Jae

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