Die Israelobsession der Linken
Ein Kommentar zur Partei, die Antifaschismus predigt – und antisemitische Narrative duldet
Von einem politischen Neuanfang war die Rede, als sich Die Linke im Herbst 2024 auf ihrem Parteitag in Halle neu aufstellen wollte. Was folgte, war kein Aufbruch, sondern ein Rückfall – in ideologische Verhärtung, Relativierung und eine fatale Verwechslung von Israelkritik mit vermeintlichem Antifaschismus. Der jüngst verabschiedete Beschluss zum Umgang mit der Jerusalem Declaration on Antisemitism (JDA) markiert dabei einen Tiefpunkt, der sich politisch, moralisch und historisch ausdrückt.
Dass sich ausgerechnet Die Linke auf die JDA beruft, überrascht nicht. Die Partei ringt seit Jahren mit antiisraelischen Reflexen – vom Posieren in der Kufiya im Bundestag bis zu Tweets mit Landkarten Israels in Hamas-Farben. Der neue Beschluss wirkt wie ein langersehnter Freibrief, denn er erlaubt antiisraelische Positionen und immunisiert zugleich gegen den Antisemitismusvorwurf. Die Partei sucht nicht die Auseinandersetzung mit Antisemitismus, sondern ihre Absolution – durch Rückgriff auf eine Definition, die das Problem verschleiert, statt es zu benennen. Legitime Kritik an israelischer Regierungspolitik ist selbstverständlich notwendig – doch Die Linke geht darüber hinaus. Sie verwechselt Kritik mit Feindschaft gegenüber dem jüdischen Staat. Letztere ist kein Ausdruck linker Solidarität, sondern eine Form des sekundären Antisemitismus, der in Deutschland längst gesellschaftsfähig geworden ist.
Die JDA wurde 2021 von einer Gruppe von Wissenschaftler:innen als Alternative zur Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) vorgelegt. Diese weltweit anerkannte Definition – unterstützt von über 40 Staaten, darunter Deutschland, Israel, Großbritannien und den USA – benennt ausdrücklich auch Israel-bezogenen Antisemitismus, etwa die Leugnung des Existenzrechts Israels oder doppelte Standards gegenüber dem jüdischen Staat.
Die JDA hingegen betont, man wolle „einen Raum für legitime Kritik an Israel“ schaffen. Was nach Differenzierung klingt, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als semantische Entkernung des Antisemitismusbegriffs. So heißt es etwa:
„Beispiele, die nicht als antisemitisch zu betrachten sind, beinhalten Kritik an oder Ablehnung des Zionismus als einer Form des Nationalismus oder das Eintreten für palästinensische Rechte, auch durch Formen des Widerstands.“
Damit wird der Zionismus – die nationale Selbstbestimmung des jüdischen Volkes – zur legitimen Zielscheibe erklärt. Wer Israel das Existenzrecht abspricht, darf das laut JDA tun, ohne als Antisemit zu gelten. Selbst gewaltsamer „Widerstand“ erhält einen Persilschein, solange er sich als Einsatz für „palästinensische Rechte“ deklariert. Gerade für eine Partei, die sich auf Antifaschismus beruft, ist das ein Offenbarungseid. Denn Antisemitismus ist keine Meinung, sondern eine Ideologie – verwoben mit der europäischen Vernichtungsgeschichte. Heute tritt er in neuen Formen auf, oft maskiert als Menschenrechtsrhetorik oder „Israelkritik“. Wer jüdische Selbstbestimmung leugnet, hat aus der Geschichte nichts gelernt – oder will bewusst nichts lernen.
Dass sich Teile der Partei mit Organisationen solidarisieren, die zur Vernichtung Israels aufrufen, ist kein Ausrutscher, sondern Ergebnis jahrzehntelanger ideologischer Fehlentwicklungen. Von der DDR-Solidarität mit Arafats PLO über die Relativierung islamistischer Gewalt bis hin zur heutigen Nähe zu Bewegungen, die Frauen unterdrücken, Homosexuelle ermorden und Antisemitismus zur Staatsräson erklären. Wer nach dem 7. Oktober – dem größten antisemitischen Massaker seit der Shoah – nicht eindeutig an Israels Seite steht, sondern „Differenzierungen“ fordert, hat sich disqualifiziert. Wer in der Kufiya eine identitätsstiftende Geste im Bundestag sieht, offenbart, wie tief der antiisraelische Affekt reicht. Und wer Israels Existenzrecht zur Debatte stellt, verlässt den demokratischen Grundkonsens.
Der Austritt von Andrej Hermlin, Sohn eines Holocaustüberlebenden, ist damit symptomatisch. Die Linke hat sich von jenen entfernt, die linke Politik als Bündnis aus sozialer Gerechtigkeit und historischer Verantwortung verstehen. Stattdessen nähert sie sich einem Milieu, in dem Israelhass als progressiv gilt und der Begriff „Antisemitismus“ als Waffe des Neoliberalismus diffamiert wird. Dabei stünde gerade die deutsche Linke in besonderer Verantwortung. Antifaschismus ohne Solidarität mit jüdischem Leben bleibt eine leere Hülse. Wer glaubt, sich durch postkoloniale Theorien aus dieser Verantwortung ziehen zu können, verrät nicht nur das Judentum – sondern auch die emanzipatorischen Grundlagen linker Politik. Die Linke hat sich, mit Ansage, damit noch weiter ins politische Abseits manövriert.
Wer glaubt, die Linke sei Bündnispartnerin für progressive, menschenrechtsorientierte Politik, sollte ihre jüngsten Beschlüsse genau lesen.
Sie sind kein Missverständnis. Sie sind ein Manifest.