„Bildung für ein gutes Leben” (Gastbeitrag Bob Blume)
Bildung ist bekanntlich das A und O. Und der erste, aber keineswegs einzige Ort für Bildung ist die Schule. Soeben ist das Sachbuch „Warum noch lernen? (Abre numa nova janela) Wie Schule in Zeiten von KI, Krisen und sozialer Ungerechtigkeit aussehen muss” erschienen, von keinem anderen als Bob „Netzlehrer (Abre numa nova janela)” Blume. Ihr kennt ihn bestimmt, z.B. aus den sozialen Medien (Abre numa nova janela) oder aus meinem Podcast (Abre numa nova janela) (auch immer hörenswert: Bobs Podcast (Abre numa nova janela)). In seinem Gastbeitrag gehts um die Frage, was Bildung mit einem guten Leben zu tun hat.
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Bildung für ein gutes Leben
Bildung hat mit Selbstermächtigung von Individuen und Gruppen zu tun. Die meisten der Geschichten über Bildung haben aber auch zur Ohnmacht anderer Gruppen geführt. Die in Kiew geborene Natalya Nepomnyashcha (Abre numa nova janela) erzählte mir in einem Gespräch von ihrem Bildungsaufstieg als Einwandererkind zur Unternehmensberaterin. Und das nicht wegen des Systems, sondern trotz dessen. Die Geschichten der Pädagogik und über das hiesige Bildungssystem beinhalten immer beide Seiten und führen immer zu der Frage, wie Chancengleichheit erzeugt werden kann.
Leider hat man das Gefühl, dass die beiden Aspekte Ohnmacht und Selbstermächtigung in der gegenwärtigen Diskussion über Bildungsversagen, Bildungsgerechtigkeit und Lernen verschwimmen. Die Ohnmacht, die mit einer Veränderung des Bildungssystems einhergeht, zeigt sich in der Ohnmacht, über dieses zu sprechen. Ein trauriger politischer Höhepunkt dieser Ohnmacht war der Bildungsgipfel im März 2023, zu dem die Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger geladen hatte und bei dem der Großteil der Kultusminister zu Hause blieb (14 von 16 Ministern) und die Anschlussdiskussion sich mehr mit der Art und Weise des Gipfels beschäftigte als mit einer so nötigen inhaltlichen Diskussion.
Damit verharrt eine solche in einem Zustand aus Widerwillen und Kleinstaktionen, in einem scheinbar nicht mehr auflösbaren Chaos aus Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten auf der einen und zahllos wiederholten Ideen und Impulsen auf der anderen Seite. Nicht zu vergessen die mächtigen Türhüter, die vor den Toren von Institutionen stehen, deren komplexe Vorgänge sie oftmals selbst nicht zu verstehen scheinen.
Die Ideen werden freundlich belächelt, aber meist tut sich: nichts! In dieser merkwürdigen Erstarrung sind diejenigen die Leidtragenden, die eigentlich die Profiteure sein müssten: die Kinder und Jugendlichen. Sie verharren viel zu oft vor dem Zugang aller Zugänge. Vor einem Bildungssystem also, das das wichtigste gesellschaftliche System darstellt, um die Berechtigung für weiteres Lernen zu erlangen. Es ist ein »Berechtigungswesen« im wahrsten Sinne des Wortes, um ein gutes, finanziellunabhängiges, kulturell reichhaltiges Leben zu führen und Mitglied der Gesellschaft zu sein. Das ist die individuelle Seite.
Die Berechtigung zum Weiterlernen, die in einem anspruchsvollen, erfüllenden Beruf mündet, ist damit auch das Nadelöhr für eine erfolgreiche Volkswirtschaft, die erst aus den gebildeten und ausgebildeten Fachkräften ihre Kraft zieht. Unabhängig von einer sinnstiftenden Bildung ist das Bildungssystem maßgeblich für eine funktionierende Volkswirtschaft. So trivial das ist, darf diese Funktion jedoch nicht der alleinige Anspruch an ein System sein, das sich unter einer rein an der Marktwirtschaft orientierten Logik selbst abschaffen würde.
Das Bildungssystem ist nämlich verantwortlich dafür, dass diejenigen, die es verlassen, unser Staatssystem weitertragen. Es sorgt im besten Fall für eine funktionierende Demokratie. Denn das hervorragende Leistungen im Schulsystem weder mit Selbstermächtigung noch mit demokratischer Teilhabe zu tun haben müssen, zeigt das chinesische Schulsystem überdeutlich.
Nun werden sowohl die Aspekte der Erziehung als auch der Bildung in den Schulgesetzen der Länder deutlich gemacht: »Die Schule hat den in der Landesverfassung verankerten Erziehungs- und Bildungsauftrag zu verwirklichen«, heißt es beispielsweise im Schulgesetz für Baden-Württemberg. Die dort dem Schulwesen zugewiesenen Aufgaben reichen über »die Vermittlung von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten« bis hin zu einer Erziehung »in Verantwortung vor Gott, im Geiste christlicher Nächstenliebe, zur Menschlichkeit und Friedensliebe, in der Liebe zu Volk und Heimat«.
Dazu kommen weitere große Worte, deren Wirksamkeit gar nicht feststellbar ist und deren unkritische Übernahme vor dem Hintergrund von Säkularisierung, Missbrauchsfällen in der Kirche und aufkommendem Nationalismus sich verbietet. Aber es stimmt: »Bildung ohne Erziehung und Sozialisation ist nicht denkbar.«
Selbst wenn man die in den Achtzigerjahren festgeschriebenen Aufgaben von Schule ernst nehmen würde, müsste man feststellen: In dem Maße, wie Schulen zu technischen Verwaltungen von etwas werden, dessen Bildungsverständnis, wenn überhaupt, nur gesetzmäßig angedeutet wird und im Konkreten nur über diverse Zertifikate eine Bedeutung erhält, in dem Maß entfremden sich die Lernenden vom System. Und die Lehrenden an ihrer Seite. Wenn ich also nur noch in die Schule gehe, weil ich das Zeugnis brauche, stellt sich die Frage, ob es nicht auch anders geht. Und in dem Maße wie sich eine Bildung für das gute Leben von der Schule abkoppelt, in dem Maße haben wir es mit einem Bildungsversagen zu tun, das konkrete Auswirkungen auf die jungen Leute hat. Sie finden nicht mehr, was sie suchen.
Eine bewusste Hinwendung zum Lernen
Wir haben also Entfremdung und Ohnmacht oftmals dort, wo wir Selbstwirksamkeit haben sollten. Woran liegt das? Und, viel wichtiger: Wie können wir das verändern?
Bildungsinstitutionen kranken daran, dass das Lernen und die damit einhergehende Förderung der unterschiedlichen jungen Menschen – seien sie nun behindert oder hochbegabt – ausgeklammert oder vorausgesetzt wird. Damit findet in ihnen nur ein schwacher Abglanz einer nicht näher definierten Bildung statt. Es bedarf somit einer Hinwendung zum Lernen, das einen allgemeinen Bildungsbegriff voraussetzt, aber vor allem das Überdenken unterrichtlicher Praxis bedeutet. Es wäre zu einfach, dem Einzelnen die Verantwortung für eine Veränderung zu geben, nach dem Motto: »Nimm diese Perspektive ein, und du wirst in der Lage sein, endlich so handeln zu können, wie wir uns das alle wünschen.«
Wenn die momentane Situation des Bildungssystems nicht das ist, was wir uns für unsere Kinder, unsere Jugendlichen und unser Land wünschen, muss es darum gehen, »dass man für die Bedingungen sorgen muss, die die Voraussetzungen für die Pädagogik bilden«. Eine Hinwendung zum Lernen bedeutet dann eine bedingungslose Bildung, insofern sie Kindern und Jugendlichen ermöglicht, unabhängig vom Elternhaus zu lernen.
Dem Lernen, wie wir es schulisch vielfach auffinden, fehlt das, was es zum Lernen macht. In dieser Hinsicht werde ich immer radikaler. Ich strebe keinen Systemumsturz an, aber ich folge hier Wolfgang Klafki, der radikal im Sinne von »von Grund aus erfolgend« versteht. Radikal bedeutet, die Frage nach dem Warum auch dort zu stellen, wo sich die Antwort scheinbar von selbst ergibt. Radikal bedeutet aber auch festzustellen, an welchen Stellen Bildung so grundsätzlich scheitert, dass man gar nicht mehr von Bildung sprechen kann.
Bob Blume ist Lehrer, Blogger, Podcaster und Bildungsinfluencer. Er studierte Germanistik, Anglistik sowie Geschichte und arbeitet nun als Oberstudienrat an einem Gymnasium in der Nähe von Baden-Baden. Daneben schreibt er Fachbücher zum Lernen im digitalen Wandel und macht in den sozialen Medien auf Bildungsthemen aufmerksam. Zudem ist Bob Blume ein gefragter Experte in der deutschen Medienlandschaft zum Thema Schule. Bei der Verleihung des Goldenen Bloggers 2022 wurde er als Blogger des Jahres ausgezeichnet.
Auszug aus:
Bob Blume
Warum noch lernen? Wie Schule in Zeiten von KI, Krisen und sozialer Ungerechtigkeit aussehen muss
© 2024, Mosaik (Abre numa nova janela), S. 87-90
(Abre numa nova janela)© Buchhandlung Roth