Lachende Nippel
Ein (Meeres-)Rausch über Meeresschaum
Mit dem Schwimmbrett meines Mädchens wate ich langsam ins Wasser. Sie ist weit vor mir und reitet gerade ihre hundertste Welle heute ab. Vorsichtig taste ich mich in der flachen Brandung vorwärts, sie umspült meine Füße und ich denke, wie immer, das Wasser ist heute kälter als gestern. Kälter als vorhin. Dabei wird es jeden Tag wärmer, an jedem Sommertag steigen die Temperaturen im Atlantik. Momentan und wir haben Anfang August, sind es 23 Grad. Ich gebe trotzdem Geräusche von mir, die nach „ah“ und „oh“ und „hui“ klingen und grinse über mich selber. Dann erwischt mich eine Welle volle Lotte und zieht mir die Füße weg, mit dem Po lande ich platschend im Wasser und komme vor Lachen kaum wieder hoch.
Ich wuchte mich dennoch zurück auf die Beine und gehe weiter, beobachte den Schaum, der meine Füße umspült und die Gischt spritzt mir jetzt bis zum Bauchnabel. Ich hüpfe hoch und quieke schon wieder. Suchend schaue ich nach meinem Mädchen, die mich von Weitem auf ihrem Bodyboard beobachtet und den Kopf schüttelt. Ich weiß, was sie sagen würde: „Man Mama, geh einfach rein!“ Ich gehe ja schon und schaue noch einmal auf den Meeresschaum zwischen meinen Fußzehen. Oft muss ich bei diesem Anblick an Hans Christian Andersens Märchen von der kleinen Meerjungfrau denken. Dieses Märchen bildete die Vorlage für Disneys Arielle und hat mich immer sehr berührt. Für ihren Traum, nur ein Tag ein Mensch zu sein, gibt die kleine Meerjungfrau ihr Leben auf. Mit dem Ziel: Ein Prinz soll sich in sie verlieben. Am Ende verliert sie alles und wird zu Meeresschaum.
Was habe ich geweint, als ich die Verfilmung von 1974 das erste Mal sah. Das letzte Bild, wo die Meerjungfrau mit den Füßen in der Gischt steht und aufs Meer hinausschaut, hat mich schon oft in meine dunklen Träume verfolgt. Die Szene, in der man nur noch den Schaum sieht, wie er vor und zurück fließt... Die kleine Meerjungfrau konnte den Prinzen nicht davon überzeugen, sie zu lieben. Sie wurde für immer zu Meeresschaum. Die Wellen schlucken sie, der Ozean trägt sie hinweg. An diesen Film denke ich nicht so oft. Es sind Momente, in denen ich sentimental und glücklich zugleich bin. Momente, die die Schönsten sind und Momente, die endlich sind. Wie ist es wohl, wenn man für immer im Meer „gefangen“ ist? Tag für Tag, Jahr für Jahr strudelt man durch die Ozeane der Welt. Gefangen im Nichts und doch frei, wie kaum jemand anderes.
Ich schaue in die Wellen vor mir, sie sind höher geworden, kommen mit mehr Wucht, der Wind hat aufgefrischt und die Flut naht. Bis zum Bauchnabel stehe im Wasser und kann mich kaum noch halten. Ich springe hoch und werfe mich in die Welle, als eine Dicke anrollte. Bei der Nächsten klemme ich das Brett fest unter den Arm und tauche unter der Welle durch. Luft anhalten, Augen zu, Kopf über rein, es sprudelt, gluckert, zieht mich nach oben, Luft holen, Augen auf, da kommt schon die Nächste.
Ich bin keine gute Schwimmeri (Abre numa nova janela)n, aber mit Wellen habe ich gelernt auszukommen. Sie faszinieren und erschrecken mich immer wieder. Als kleines Mädchen hat mich mal eine Welle mitgerissen und durchgespült. So sehr, dass ich nicht mehr wusste, wo oben und unten ist. Ich wollte Luft holen, schwamm wie verrückt und kam nicht hoch. Eine neue Woge erfasste mich und zog mich mit sich. Ich geriet in Panik, wollte schreien, aber unter Wasser hatte ich keine Chance. Heute denke ich manchmal daran und an das, was überall geschrieben steht: Ertrinken ist leise. Natürlich kam ich wieder hoch, keiner hatte meine Angst bemerkt. Was ich als ewig empfunden hatte, waren tatsächlich nur wenige Sekunden. Aber der Schock saß. Seitdem bin ich vorsichtiger geworden.
„Die nehmen wir“, höre ich mein Mädchen schreien und sehe, wie sie auf ihrem Bodyboard die Welle anpeilt. Ich muss mit meinem Schwimmbrett ein bisschen später los als sie. Sie schmeißt sich rein, legt los und reitet die Welle ab. Solide. Gekonnt. Wie ein Profi. Ich verpasse meinen Einsatz, die Welle bricht über mir, schleudert mich durch und auf der anderen Seite wieder raus. Japsend hole ich Luft, schaue nach meinem Kind. Sie ist längst am Strand angekommen. Der Papa schießt ein Foto, wir wollten zusammen anrollen. Ich habe es versaut.
Egal, die Nächste gehört mir. Ich halte das Brett hoch, die Welle rauscht an, bricht, Schaum. Ich schmeiße mich rein, paddle mit den Füßen und hab sie. HAB SIE! Adrenalin schießt durch meine Adern, es rauscht links und rechts von mir, ich grinse wie eine Irre und dann spüre ich schon, wie ich aufsetze. Strand, ich lande an, mit dem Bauch schleife ich über den Grund. Mein Mann und mein Kind lachen und ich habe Sand in der Badehose. „Schieb den Wal“, singt der Gatte, „schieb den Wal an Land.“ Wir lachen alle. Ich bin Mama-Wal, was ein herrliches Gefühl.
Als ich mich aufrichten will, schwappt noch eine Welle über mich und schmeißt mich wieder um. Ich spüre, wie es mir den Bikini auszieht, mein Hintern guckt heraus. Mein Mädchen stürzt sich auf mich und drückt mich zu Boden: „Das war super cool, los gleich nochmal, jetzt zusammen.“ Ok, ich lache immer noch über beide Ohren und meine Haaren kleben an meinem Rücken. „Wie siehst du denn aus?“, schreit das Kind mir entgegen und lacht laut. Mein Mann grinst süffisant. Ein Blick an mir hinunter und ich sehe das Ergebnis ihrer Freude: Mein Bikinioberteil hängt als Knäuel über meinen Brüsten. Meine Nippel scheinen mich anzulachen und freuen sich über ihre Freiheit. Mitten aus meinen weißen Brüsten ragen sie fröhlich in den blauen Himmel und ich denke: Meeresschaum zu sein, ist vielleicht doch nicht so übel.
Bleibt leicht&lebendig,
Helen
Mit einer Illustration von Sophie Schäfer: