Freispruch für Klimaaktivisten der "Letzten Generation"
Die schriftliche Begründung des Freispruchs eines Aktivisten der "Letzten Generation" vom 21. November letzten Jahres ist gerade öffentlich geworden:
"Unter Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalls waren die gewählte Form der Blockade im vorliegenden Fall und die konkrete Beteiligung des Angeklagten daran im Verhältnis zum Zweck seines Anliegens letztlich nicht als verwerflich anzusehen."
Gerichtsreporter Morling im Kriminalgericht Moabit veröffentlicht hier den (weitgehenden) Wortlaut des noch nicht rechtskräftigen Urteils des Amtsgerichts Freiburg im Breisgau; dokumentiert zur eigenen Einschätzung durch die Leser+innen.
Der 31-jährige Angeklagte soll lt. Staatsanwaltschaft in Freiburg i. B. u.a. am 07. Februar 2022 mit anderen Aktivisten des "Aufstand der letzten Generation" über 80 Minuten eine Straße blockiert und einen mehrere Kilometer langen Rückstau verursacht haben in einer Stauzeit für die Autofahrer+innen von "mindestens 30 bis 45 Minuten". Er selbst soll sich nicht an der Sttraße festgeklebt haben. Auf die Zeitverzögerung habe die Aktion des Angeklagten abgezielt. So habe u.a. eine im Stau stehende Ärztin "ihre zur Behandlung einbestellten Patienten nicht rechtzeitig behandeln (können), so dass andere Patiententermine abgesagt werden mussten und die Patienten nicht behandelt werden konnten.". behauptete die Anklagebehörde.
Doch das Amtsgericht Freiburg sprach den Klimaaktivisten frei trotz seiner mutmaßlichen Teilnahme an insgesamt drei Aktionen. "Allerdings war die Anwendung der Gewalt zu dem angestrebten Zweck nicht als verwerflich anzusehen...": "Das Gericht hatte dabei den Kommunikationszweck, eine höhere Aufmerksamkeit für „Klimaschutz“ und eine damit einhergehende „Untätigkeit der Bundesregierung“ durch das Mittel der gezielten Straßenblockaden im Berufsverkehr zu erreichen, in Relation zum Eingriff in die Fortbewegungsfreiheit der Autofahrer durch eben diese Straßenblockaden zu setzen.":
24 Cs 450 Js 18098/22
Amtsgericht Freiburg im Breisgau
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Strafverfahren gegen
WWW,
geboren 1991
wegen Nötigung
Das Amtsgericht - Strafrichter - Freiburg im Breisgau hat in der Hauptverhandlung vom 21.11.2022, an der teilgenommen haben:
Richter am Amtsgericht X als Strafrichter
Staatsanwältin Y. als Vertreterin der Staatsanwaltschaft
Frau Z.
als Wahlverteidigerin (gem. § 138 Abs. 2 S. 1 StPO)
eine Justizfachangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:
1. Der Angeklagte wird freigesprochen
2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Staats- kasse.
Gründe:
I.
Der … Angeklagte wurde am …1991 geboren… Der Angeklagte arbeitet als politischer Referent einer Nichtregierungsorganisation im Bereich des Klimaschutzes. Er beteiligt sich an zahlreichen Protestformen hinsichtlich des Klimaschutzes, u.a. nimmt er am sog. „Klima-Camp“ teil und auch an angemeldeten Demonstrationen.
Für den Angeklagten liegen keine strafrechtlichen Erkenntnisse vor.
II.
Dem Angeklagten wurde von der Staatsanwaltschaft mit Strafbefehlsantrag vom 21.07.2022 fol- gender Sachverhalt zur Last gelegt:
1. Am 07.02.2022 gegen 08.20 Uhr blockierte der Angeklagte mit einer Vielzahl weiterer Demonstranten vom Aktionsbündnis „Aufstand Letzte Generation“ die Lessingstraße / B31a auf Höhe der Kronenbrücke sowie die Abfahrtstraße zur Kronenstraße in 79100 Frei- burg. Er demonstrierte unter dem Motto „Essen retten, Leben retten“. Damit wollte er auf das Problem der Lebensmittelverschwendung hinweisen. Die Versammlung wurde zuvor weder der Polizei bekannt gegeben, noch ist sie bei der zuständigen Versammlungsbe- hörde angemeldet worden. Aufgrund der Sitzblockade wurden sowohl die Reihe der direkt dahinter stehenden Autofahrer psychisch als auch die sich daran anschließenden Autofah- rer physisch zum Anhalten gezwungen. Trotz mehrfacher polizeilicher Ansprache räumte der Angeklagte die Fahrbahn nicht. Auch die Androhung unmittelbaren Zwangs blieb wir- kungslos. Er wurde schlussendlich gegen 09.43 Uhr von den eingesetzten Polizeibeamten POK L. und PK K. von der Fahrbahn getragen. Einem Platzverweis leistete der Angeklagte sodann keine Folge.
Durch seine gezielte Blockade in der Hauptverkehrszeit kam der Straßenverkehr vollstän- dig zum Erliegen. Es entstanden innerhalb kürzester Zeit ein mehrere Kilometer langer Rückstau bis hin zur Berliner Allee und eine Zeitverzögerung von mindestens 30-45 Minu- ten. Darauf zielte seine Aktion ab. So konnten beispielsweise Frau Dr. M., die im Stau stand, ihre zur Behandlung einbestellten Patienten nicht rechtzeitig behandeln, so dass
andere Patiententermine abgesagt werden mussten und die Patienten nicht behandelt wer- den konnten. Es wurden weitere Autofahrer mit deren PKW - beispielsweise die Fahrzeuge mit den amtl. Kennzeichen TÜ-xx yy, EM-xx xx, FR-xx yy, LÖ-xx yy, FR-xx yy, FR-xx yy, FR-xx yy, M-xx yy, F-xx yy, FR-xx yy - an der Weiterfahrt gehindert. Unter Würdigung der gesamten Umstände waren die gewählte Form der Blockade im vorliegenden Fall und die Beteiligung daran im Verhältnis zum Zweck seines Anliegens als verwerflich anzusehen.
2. Am 11.02.2022 gegen 08.20 Uhr blockierte der Angeklagte mit einer Vielzahl weiterer Demonstranten vom Aktionsbündnis „Aufstand Letzte Generation“ die Lessingstraße / B31a auf Höhe der Kaiserbrücke in östlicher Richtung in 79100 Freiburg. Er demonstrierte unter dem Motto „Essen retten, Leben retten“. Dabei hielt er einen Pappkarton zum Thema in den Händen. Damit wollte der Angeklagte auf das Problem der Lebensmittelverschwen- dung hinweisen. Die Versammlung wurde zuvor weder der Polizei bekannt gegeben, noch ist sie bei der zuständigen Versammlungsbehörde angemeldet worden. Aufgrund seiner Sitzblockade wurden sowohl die Reihe der direkt dahinter stehenden Autofahrer psychisch als auch die sich daran anschließenden Autofahrer physisch zum Anhalten gezwungen. Trotz mehrfacher polizeilicher Ansprache räumte er die Fahrbahn zunächst nicht. Nachdem ihm die Anwendung unmittelbaren Zwangs angedroht worden war und er nicht reagierte, musste er schließlich gegen 08.54 Uhr von den eingesetzten Beamten POK P. und POM
F. von der Fahrbahn getragen werden. Durch seine gezielte Blockade in der Hauptver- kehrszeit kam es trotz durch die Polizei eingeleiteter Umleitungsmaßnahmen zu nicht un- erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen. Schlussendlich konnte erst um 08.57 Uhr die Fahrbahn wieder freigegeben werden. Unter Würdigung der gesamten Umstände waren die gewählte Form der Blockade im vorliegenden Fall und seine Beteiligung daran im Ver- hältnis zum Zweck seines Anliegens als verwerflich anzusehen.
3. Am 15.02.2022 gegen 08.14 Uhr blockierte der Angeklagte mit einer Vielzahl weiterer Demonstranten vom Aktionsbündnis „Aufstand Letzte Generation“ die Fahrbahn des Auto- bahnzubringers AS Freiburg-Nord zur Bundesautobahn A 5, Einmündung zur L187/B294. Er demonstrierte unter dem Motto „Essen retten, Leben retten“. Damit wollte er auf das Problem der Lebensmittelverschwendung hinweisen. Die Versammlung wurde zuvor we- der der Polizei bekannt gegeben, noch ist sie bei der zuständigen Versammlungsbehörde angemeldet worden. Aufgrund seiner Sitzblockade wurden sowohl die Reihe der direkt da- hinter stehenden Autofahrer psychisch als auch die sich daran anschließenden Autofahrer physisch zum Anhalten gezwungen. Trotz mehrfacher polizeilicher Ansprache räumte der Angeklagte die Fahrbahn zunächst nicht. Nachdem ihm die Anwendung unmittelbaren Zwangs angedroht worden war und er nicht reagierte, musste er schließlich gegen 08.41 Uhr von den eingesetzten Beamten POM B. und PHM H. von der Fahrbahn getragen wer- den. Die letzten Demonstranten wurden gegen 09.15 Uhr weggetragen. Durch seine ge-
zielte Blockade in der Hauptverkehrszeit kam es zu erheblichen Verkehrsbeeinträchtigun- gen. Der Verkehr auf der BAB 5 staute sich in südliche Richtung bis auf ca. 18 Kilometer. Erheblicher Zeitverlust entstand. Der Verkehr normalisierte sich erst gegen 10.08 Uhr wieder. Unter Würdigung der gesamten Umstände waren die gewählte Form der Blockade im vorliegenden Fall und seine Beteiligung daran im Verhältnis zum Zweck seines Anliegens als verwerflich anzusehen.
III.
Das Gericht hatte den Strafbefehlsantrag vom 21.07.2022 nicht erlassen, sondern gem. § 408 Abs. 3 S. 2 StPO Termin bestimmt. Das Gericht hat aufgrund der durchgeführten Beweisauf- nahme folgende Feststellungen getroffen:
1. Am 07.02.2022 gegen 08.20 Uhr blockierte der Angeklagte mit einer Vielzahl weiterer Demonst- ranten vom Aktionsbündnis „Aufstand Letzte Generation“ die Lessingstraße / B31a auf Höhe der Kronenbrücke sowie die Abfahrtstraße zur Kronenstraße in 79100 Freiburg. Er demonstrierte dabei friedlich unter dem Motto „Essen retten, Leben retten“. Die Versammlung wurde zuvor weder der Polizei bekannt gegeben, noch ist sie bei der zuständigen Versammlungsbehörde angemeldet worden.
Mit der Sitzblockade wollte der Angeklagte auf das Problem der Lebensmittelverschwendung hin- weisen und für ein entsprechendes „Essen-Retten-Gesetz“, nachdem große Supermärkte genieß- bares Essen nicht mehr wegwerfen dürften, sondern weiterverteilen müssten, eintreten. Durch die Demonstration wollte der Angeklagte sowohl mediale Aufmerksamkeit als auch Aufmerksamkeit bei den Autofahrern für die Verschwendung von Lebensmitteln und den zu hohen CO2-Ausstoß insgesamt schaffen. Ziel sei es, durch ein entsprechendes Gesetz die Ernährungssicherheit für die Zukunft zu schaffen und die Freisetzung von Treibhausgasen zu reduzieren. Zudem tritt die „Letzte Generation“ auch für eine Mobilitätswende ein und fordert u.a. eine Geschwindigkeitsbe- grenzung auf 100 km/h auf Autobahnen. Das Aktionsbündnis möchte mit den Blockaden auch darauf hinweisen, dass die Bundesregierung aktuell zu wenig für den Klimaschutz unternehme.
Zur Blockade setzte sich der Angeklagte - ohne seine Hände festzukleben - mit weiteren Personen des „Aufstand Letzte Generation“ bei einer Rotphase auf die Straße vor die an der Ampelanlage haltenden Fahrzeuge. Dabei klebten sich drei Personen des Aktionsbündnisses mit Sekundenkleber - versetzt zu den anderen Personen - am Asphalt der Straße fest. Aufgrund der Sitzblockade wurden sowohl die Reihe der direkt dahinter stehenden Autofahrer psychisch als auch die sich daran anschließenden Autofahrer physisch zum Anhalten gezwungen. Sodann versuchte ein
„Deeskalationsteam“ des Aktionsbündnisses mit den Autofahrern ins Gespräch zu kommen und verteilte Flyer mit einer Entschuldigung für die Aktion. Es klebten sich einige Teilnehmer versetzt auf der Fahrbahn fest (s.o.), um Möglichkeiten für eine Rettungsgasse zu lassen.
Nach Eintreffen der Polizei räumte der Angeklagte trotz mehrfacher polizeilicher Ansprache die Fahrbahn nicht. Auch die Androhung unmittelbaren Zwangs blieb wirkungslos. Er wurde schluss- endlich gegen 09.43 Uhr von den eingesetzten Polizeibeamten POK L. und PK K. ohne Gegen- wehr von der Fahrbahn getragen. Dabei verhielt er sich ansonsten kooperativ und friedlich. Durch die gezielte Blockade in der Hauptverkehrszeit kam der Straßenverkehr vollständig zum Erliegen. Es entstanden innerhalb kürzester Zeit ein mehrere Kilometer langer Rückstau bis hin zur Berliner Allee und eine Zeitverzögerung von mindestens 30-45 Minuten.
Unter Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalls waren die gewählte Form der Blockade im vorliegenden Fall und die konkrete Beteiligung des Angeklagten daran im Verhältnis zum Zweck seines Anliegens letztlich nicht als verwerflich anzusehen.
2. Am 11.02.2022 gegen 08.20 Uhr blockierte der Angeklagte mit einer Vielzahl weiterer Demonst- ranten vom Aktionsbündnis „Aufstand Letzte Generation“ die Lessingstraße / B31a auf Höhe der Kaiserbrücke in östlicher Richtung in 79100 Freiburg. Er demonstrierte dabei friedlich unter dem Motto „Essen retten, Leben retten“. Die Versammlung wurde zuvor weder der Polizei bekannt gegeben, noch ist sie bei der zuständigen Versammlungsbehörde angemeldet worden.
Mit der Sitzblockade wollte der Angeklagte auf das Problem der Lebensmittelverschwendung hin- weisen und für ein entsprechendes „Essen-Retten-Gesetz“, nachdem große Supermärkte gutes Essen nicht mehr wegwerfen dürften, sondern weiterverteilen müssten, eintreten. Durch die De- monstration wollte der Angeklagte sowohl mediale Aufmerksamkeit als auch Aufmerksamkeit bei den Autofahrern für die Verschwendung von Lebensmitteln und den zu hohen CO2-Ausstoß ins- gesamt schaffen. Ziel sei es, durch ein entsprechendes Gesetz die Ernährungssicherheit für die Zukunft zu schaffen und die Freisetzung von Treibhausgasen zu reduzieren. Zudem tritt die
„Letzte Generation“ auch für eine Mobilitätswende ein und fordert u.a. eine Geschwindigkeitsbe- grenzung auf 100 km/h auf Autobahnen. Das Aktionsbündnis möchte mit den Blockaden auch darauf hinweisen, dass die Bundesregierung aktuell zu wenig für den Klimaschutz unternehme.
Zur Blockade setzte sich der Angeklagte - ohne seine Hände festzukleben - mit weiteren Personen des „Aufstand Letzte Generation“ bei einer Rotphase auf die Straße vor die an der Ampelanlage haltenden Fahrzeuge. Dabei klebte sich keine Person des Aktionsbündnisses fest. Aufgrund der Sitzblockade wurden sowohl die Reihe der direkt dahinter stehenden Autofahrer psychisch als auch die sich daran anschließenden Autofahrer physisch zum Anhalten gezwungen. Sodann ver- suchte ein „Deeskalationsteam“ des Aktionsbündnisses mit den Autofahrern ins Gespräch zu kommen und verteilte Flyer mit einer Entschuldigung für die Aktion.
Nach Eintreffen der Polizei standen vier von acht Personen auf und verließen freiwillig die Fahr- bahn. Der Angeklagte reagierte hingegen auf die polizeiliche Ansprache zunächst nicht und wurde schließlich gegen 08.54 Uhr von den eingesetzten Beamten POK P. und POM F. ohne Gegenwehr von der Fahrbahn getragen. Dabei verhielt er sich ansonsten kooperativ und friedlich.
Durch die gezielte Blockade in der Hauptverkehrszeit kam es trotz sofort durch die Polizei einge- leiteter Umleitungsmaßnahmen zu vorübergehenden Verkehrsbeeinträchtigungen. Schlussend- lich konnte erst um 08.57 Uhr die Fahrbahn wieder freigegeben werden.
Unter Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalls waren die gewählte Form der Blockade im vorliegenden Fall und die konkrete Beteiligung des Angeklagten daran im Verhältnis zum Zweck seines Anliegens letztlich nicht als verwerflich anzusehen.
3. Am 15.02.2022 gegen 08.14 Uhr blockierte der Angeklagte mit einer Vielzahl weiterer Demonst- ranten vom Aktionsbündnis „Aufstand Letzte Generation“ die Fahrbahn des Autobahnzubringers AS Freiburg-Nord zur Bundesautobahn A 5, Einmündung zur L187/B294. Er demonstrierte dabei friedlich unter dem Motto „Essen retten, Leben retten“. Die Versammlung wurde zuvor weder der Polizei bekannt gegeben, noch ist sie bei der zuständigen Versammlungsbehörde angemeldet worden.
Mit der Sitzblockade wollte der Angeklagte auf das Problem der Lebensmittelverschwendung hinweisen und für ein entsprechendes „Essen-Retten-Gesetz“, nachdem große Supermärkte genießbares Essen nicht mehr wegwerfen dürften, sondern weiterverteilen müssten, eintreten. Durch die Demonstration wollte der Angeklagte sowohl mediale Aufmerksamkeit als auch Aufmerksamkeit bei den Autofahrern für die Verschwendung von Lebensmitteln und den zu hohen CO2-Ausstoß insgesamt schaffen. Ziel sei es, durch ein entsprechendes Gesetz die Ernährungssicherheit für die Zukunft zu schaffen und die Freisetzung von Treibhausgasen zu reduzieren. Zudem tritt die
„Letzte Generation“ auch für eine Mobilitätswende ein und fordert u.a. eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 km/h auf Autobahnen. Das Aktionsbündnis möchte mit den Blockaden auch darauf hinweisen, dass die Bundesregierung aktuell zu wenig für den Klimaschutz unternehme.
Zur Blockade setzte sich der Angeklagte - ohne seine Hände festzukleben - mit weiteren Personen des „Aufstand Letzte Generation“ auf die Straße des Abfahrtastes der BAB 5. Dabei klebten sich zwei Personen des Aktionsbündnisses mit Sekundenkleber am Asphalt der Straße fest. Es han- delte sich dabei um die jeweils rechte und linke Person einer Gruppe von fünf Straßenblockierern. Die mittleren drei Personen - darunter der Angeklagte - klebten sich nicht fest. Aufgrund seiner Sitzblockade wurden sowohl die Reihe der direkt dahinter stehenden Autofahrer psychisch als auch die sich daran anschließenden Autofahrer physisch zum Anhalten gezwungen. Sodann ver- suchte ein „Deeskalationsteam“ des Aktionsbündnisses mit den Autofahrern ins Gespräch zu kommen und verteilte Flyer mit einer Entschuldigung für die Aktion. Es klebten sich nur zwei Teil- nehmer (s.o.) links und rechts auf der Fahrbahn an, um Möglichkeiten für eine Rettungsgasse zu lassen.
Nach Eintreffen der Polizei räumte der Angeklagte die Fahrbahn zunächst nicht. Nachdem ihm die Anwendung unmittelbaren Zwangs angedroht worden war und er nicht reagierte, wurde er schließlich gegen 08.41 Uhr von den eingesetzten Beamten POM B. und PHM H. ohne Gegenwehr von der Fahrbahn getragen. Dabei verhielt er sich ansonsten kooperativ und friedlich. Die
letzten Demonstranten wurden gegen 09.15 Uhr weggetragen. Durch die gezielte Blockade in der Hauptverkehrszeit kam es zu erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen. Der Verkehr auf der BAB 5 staute sich in südliche Richtung bis auf ungefähr 18 Kilometer. Der Verkehr normalisierte sich erst gegen 10.08 Uhr wieder.
Unter Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalls waren die gewählte Form der Blockade im vorliegenden Fall und die konkrete Beteiligung des Angeklagten daran im Verhältnis zum Zweck seines Anliegens nicht als verwerflich anzusehen.
IV.
Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten beruhen in erster Linie auf den Angaben des Angeklagten sowie - betreffend die fehlenden Vorstrafen - auf der Auskunft aus dem Bundeszentralregister vom 09.06.2022.
Die Feststellungen zur Sache (Abschnitt III. 3.) beruhen auf der durchgeführten Beweisaufnahme, insbesondere auf der Einlassung des Angeklagten, die durch die Angaben der Zeugen PK P. und KK T. ergänzt wurde.
Der Angeklagte hat die Vorwürfe in tatsächlicher Hinsicht wie festgestellt (Ziffer III.) eingeräumt. Er ergänzte die angeklagten Abläufe dahingehend, dass er seine Motivation für Aktionsformen der Sitzblockaden darlegte, seine Haltung zu den Aktionen schilderte und die genauen Abläufe präzisierte. So gab der Angeklagte detailliert wieder, dass ein spezifisches Flugblatt verteilt werde und dass neben den Blockierenden auch „Deeskalationsteams“ gebildet werden. Das „Aktions- bündnis“ versuche, mit den Autofahrern ins Gespräch zu kommen. Ihm selbst gehe es auch immer um einen friedlichen Verlauf. Personen, die auf Gewalt abzielen und „Gewaltphantasien“ hätten, würden von Ihnen abgewiesen und dürften nicht an den Aktionen teilnehmen. Es würden sich zudem nicht alle Personen festkleben, sondern es findet zu Beginn eine kurze Absprache statt, um festzulegen, wo die Rettungsgasse sei. Die Leute, die in dieser vorgesehenen Rettungsgasse sitzen, würden sich nicht festkleben, damit ein Rettungswagen passieren könne.
Die Zeugen PK P. und KK T. ergänzten die Vorfälle (Ziffer III.). Der Zeuge PK P. schilderte, dass sich der Angeklagte im Rahmen der Demonstration am 11.02.2022 beim Wegtragen und danach friedlich und kooperativ verhielt. Es hätten mehrere Personen auf der Straße gesessen und durch den Einsatzleiter wurden drei Durchsagen gemacht, dass das Gelände verlassen werden müsste. Der Angeklagte sei dieser Aufforderung nicht nachgekommen, er habe ihn dann mit einem Kolle- gen auf den Gehweg getragen. Von dort seit der Angeklagte aufgestanden und habe sich auf den zugewiesenen Bereich des Rechtsabbiegerstreifens wieder hingesetzt.
Auch der Zeuge KK T. schilderte, dass er als Endsachbearbeiter bei Auswertung aller Videoaufzeichnungen, Lichtbilder und Berichte hinsichtlich der drei Aktionen am 07.02., 11.02. und 15.02.2022 konstatieren müsse, dass bis auf das Ankleben alles friedlich verlaufen sei. Nach sei- nen Angaben gab es in Freiburg bei keiner der Aktionen Widerstandshandlungen, Beleidigungen oder sonst respektloses Verhalten gegenüber den eingesetzten Polizeibeamten. Der Angeklagte selbst habe zwar bei der Aktion am 07.02.2022 seine Augen bei den erkennungsdienstlichen Maßnahmen der Polizei verschlossen, seine Personalien seien aber bekannt gewesen. Er habe auch seinen Ausweis gezeigt.
Hinsichtlich der Örtlichkeit der Sitzblockade vom 07.02.2022 wird auf die Lichtbilder Band I As. 113-118 gem. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO verwiesen und Bezug genommen.
Hinsichtlich der Örtlichkeit der Sitzblockade vom 11.02.2022 wird auf die Lichtbilder Band III As. 63-67 gem. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO verwiesen und Bezug genommen.
Hinsichtlich der Örtlichkeit der Sitzblockade vom 15.02.2022 wird auf die Lichtbilder Band II As. 61-64 gem. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO verwiesen und Bezug genommen.
Auf das eingeführte Flugblatt, Anlage „Flyer“ zum Protokoll, As. 443 Bd. I, wird gem. § 267 Abs. 1
S. 3 StPO verwiesen und Bezug genommen.
V.
Der Angeklagte war aus rechtlichen Gründen freizusprechen.
Nach den Feststellungen zu Ziffer III. waren zwar der objektive und subjektive Tatbestand der Nötigung nach § 240 Abs. 1 StGB jeweils in allen drei erhobenen Vorwürfen erfüllt. Allerdings war die Anwendung der Gewalt zu dem angestrebten Zweck nicht als verwerflich anzusehen, vgl. § 240 Abs. 2 StGB.
1. Unter Anwendung der sogenannten „Zweiten-Reihe-Rechtsprechung“ des Bundesgerichtshofs (BGHSt 41, 182; nachfolgend bestätigt durch BGH, NJW 1995, 2862; NStZ-RR 2002, 236) lag in den Fällen Ziffer III. 1.-3. nach Ansicht des Gerichts jeweils „Gewalt“ i.S.d. § 240 Abs. 1 StGB vor. Nach Auffassung des BGH benutzen Demonstranten bei einer Sitzblockade auf einer öffentlichen Straße den aufgrund des psychischen Zwangs anhaltenden Fahrzeugführer und das Fahrzeug bewusst als Werkzeug zur Errichtung eines physischen Hindernisses für nachfolgende Fahrzeug- führer (vgl. BGHSt 41, 182, 197). Die vom BGH entwickelten Maßstäbe sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden und werden Art. 103 Abs. 2 GG gerecht (vgl. BVerfGE, Beschluss vom 07.03.2011 - 1 BvR 388/05). Eine „Gewaltanwendung“ liegt in den drei angeklagten Fällen dem- nach vor, die Demonstranten und mithin der Angeklagte hinderten durch ihre Sitzblockaden je- weils die Autofahrer in erster Reihe psychisch am Weiterfahren. Diese Fahrzeuge bildeten dann auch jeweils für die zweite Reihe an Autofahrern ein unüberwindbares, physisches Hindernis. Da- bei ist auch unerheblich, ob die Demonstranten sich festklebten oder - wie der Angeklagte - lediglich hinsetzten. Die Anforderung an den Gewaltbegriff ist durch die Blockade erfüllt, da die Aus- wirkungen den Bereich der rein psychischen Beeinträchtigung verlassen und sich auch physisch auswirken. Hierbei ist sowohl das Festkleben seiner Mitstreiter/innen als auch die von den zuerst angehaltenen Fahrzeugen ausgehende physische Sperrwirkung für nachfolgende Fahrzeuge dem Angeklagten zurechenbar, der bewusst an der Aktion teilgenommen hat.
2. Nach jeweils einzelfallbezogener Abwägung hinsichtlich aller drei angeklagter Vorwürfe vom 07.02., 11.02. und 15.02.2022 war nach Ansicht des Gerichts das jeweilige Handeln des Angeklagten jedoch nicht als „verwerflich“ i.S.d. § 240 Abs. 2 StGB anzusehen.
Unter Verwerflichkeit ist im Wege einer Abwägung aller Umstände des konkreten Falles ein erhöhter Grad sozialethischer Missbilligung des für das Ziel angewendeten Nötigungsmittels zu ver- stehen (vgl. Schönke/Schröder/Eisele, 30. Aufl. 2019, StGB § 237 Rn. 16). Die Verwerflichkeit ist dabei positiv festzustellen. Für die Feststellung eines Verhaltens als „verwerflich“ bedarf es einer
„wertenden Gesamtbetrachtung des Nötigungsmittels und des Nötigungszwecks, die zueinander in Relation zu setzen sind (sog. „Zweck-Mittel-Relation“), so dass die Verwerflichkeit nicht allein nach dem eingesetzten Mittel oder dem angestrebten Zweck zu beurteilen ist“ (vgl. BVerfG, Be- schluss vom 26.07.1990 - 1 BvR 237/88; BVerfG, Beschluss vom 24. 10. 2001 - 1 BvR 1190/90 u. a.; Dölling/Duttge/König/Rössner, Gesamtes Strafrecht, 4. Auflage 2017, Rdnr. 28).
Bei der einzelfallbezogenen Abwägung hatte das Gericht bei der Auslegung und Anwendung von § 240 Abs. 2 StGB der grundlegenden Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 GG sowie der Bedeutung des Art. 20a GG Rechnung zu tragen.
Das Bundesverfassungsgericht hat zum Schutz der Versammlungsfreiheit vor übermäßigen Sanktionen für die Anwendung und Auslegung der Verwerflichkeitsklausel nach § 240 Abs. 2 StGB besondere Anforderungen aufgestellt (vgl. BVerfGE 69, 315; BVerfGE 87, 399; BVerfGE 104, 92). Die Abwägung der Zweck-Mittel-Relation hat sich dabei am Grundsatz der Verhältnis- mäßigkeit zu orientieren, insbesondere sind Art und Maß der Auswirkungen auf Dritte und deren Grundrechte zu berücksichtigen. Zentrale Abwägungselemente sind hierbei Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, mögliche Ausweichmöglichkeiten, die Dringlichkeit der Blockade sowie auch der Sachbezug zwischen den in der Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Gegenstand des Protestes. Dabei steht dem Strafgericht keine Bewertung zu, ob das Anliegen der Demonstranten als nützlich und wertvoll oder als missbilligenswert eingeschätzt wird. Je mehr jedoch ein Zusammenhang zwischen den ausgelösten Behinderungen und dem Versammlungsthema besteht, um so eher mag eine Beeinträchtigung der Freiheitsrechte unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls eher als sozial erträglich angesehen werden. Demnach ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ob und inwieweit die Wahl des Demonstrationsortes und der konkreten Ausgestaltung sowie der betroffenen Personen einen Bezug zum Versammlungsthema haben (BVerfGE 104, 92 [112]). Der Kommunikations- zweck ist dabei im Rahmen der Verwerflichkeitsklausel des § 240 Abs. 2 StGB zu berücksichtigen, nicht erst bei der Strafzumessung. Auch ist ein Sachbezug nicht nur dann anzunehmen, wenn die Versammlung an Orten abgehalten wird, an denen sich die verantwortlichen Entscheidungsträger und Repräsentanten für die den Protest auslösenden Zustände aktuell aufhalten oder institutionell ihren Sitz haben (BVerfGE Beschluss vom 07.03.2011 - 1 BvR 388/05 -, 1, [43]). Diese verfassungsrechtlichen Anforderungen waren seitens des Gerichts bei der Abwägung ein- zubeziehen und entsprechend im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung zu gewichten.
Zunächst war zu konstatieren, dass alle drei Versammlungen (Ziffern III. 1.-3.) jeweils unter An- wendung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 07.03.2011 (BVerfGE Beschluss vom 07.03.2011 - 1 BvR 388/05 -, 1, [32]) unter den Versammlungsbegriff des Art. 8 GG fallen. Eine Unfriedlichkeit begründende „Gewalttätigkeit“ liegt nämlich nicht schon bei bloßen Behinde- rungen Dritter, sondern erst bei „aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen“ vor. Auch hält das Bundesverfassungsgericht in eben diesem Beschluss fest, dass eine Sitzblockade, die die Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit für bestimmte politische Belange bezweckt, den Schutz der Versammlungsfreiheit eben nicht entfallen lässt (BVerfGE Beschluss vom 07.03.2011 - 1 BvR 388/05 -, 1, [35]). Die Versammlungen am 07.02.2022, 11.02.2022 und 15.02.2022 fanden jeweils friedlich und ohne aggressive Ausschreitungen statt. Anhaltspunkte, dass es zu einem unfriedlichen Ablauf kam, gab es nach der erfolgten Beweisaufnahme keine. Es handelte sich daher um drei friedliche Versammlungsgeschehen, die auch ohne vorherige Anmeldung dem Schutz des Art. 8 GG unterfallen. Auch die Ausrichtung auf eine breite öffentliche Aufmerksamkeit der Aktionen lässt den Schutz des Art. 8 GG für die Versammlungen am 07.02.2022, 11.02.2022 und 15.02.2022 nicht entfallen.
Der Schutz der Rechtsgüter Dritter - hier der blockierten Autofahrer und deren Fortbewegungsfreiheit - begrenzt aber das Selbstbestimmungsrecht der Versammlungsteilnehmer. In den vorlie- genden drei Fällen war daher eine Abwägung des Kommunikationszwecks im Verhältnis zum ein- gesetzten Mittel vorzunehmen.
Nach Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts sind dabei insbesondere die Art und das Maß der Auswirkungen auf betroffene Dritte und deren Grundrechte zu berücksichtigen: Wichtige Ab- wägungselemente sind hierbei die Dauer und die Intensität der Aktion, deren vorherige Bekannt- gabe, Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten, die Dringlichkeit eines blockierten Trans- ports, aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand (BVerfGE, Beschluss vom 07.03.2011 - 1 BvR 388/05 -, 1, [39]).
Bei der anschließenden Einzelfallabwägung war auch der Rechtsprechung des BGH zur Außer- achtlassung von „Fernzielen“ des Sitzblockierers durch das Gericht Rechnung zu tragen (vgl. BGHSt 35, 328 = NJW 1988, 1739). Im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 07.03.2011 [“...Kommunikationszweck nicht erst bei der Strafzumessung, sondern im Rah- men der Verwerflichkeitsklausel gemäß § 240 Abs. 2 StGB, mithin bereits bei der Prüfung der
Rechtswidrigkeit, zu berücksichtigen ...“] legt das erkennende Gericht die Rechtsprechung des BGH derart zu Grunde, dass eine (Be-)Wertung des Fernziels „Klimawandel / Klimaschutz“, welches der Angeklagte und die Aktionen der „Letzten Generation“ thematisieren, durch das Gericht außer Betracht zu bleiben hatte. Eine Bewertung des Anliegens des Angeklagten - als nützlich und wertvoll oder als missbilligenswert - stand dem Gericht nicht zu. Allerdings waren bei der Abwägung der Kommunikationszweck „Klimaschutz“, bzw. „CO2-Aus- stoß“ und „Mobilitätswende“ sowie „Essen-Retten-Gesetz“ in Relation zum Nötigungsmittel „Stra- ßenblockade“ - insbesondere unter Berücksichtigung der Art und des Maßes der Auswirkungen auf die Autofahrer und deren Grundrechte - einzubeziehen und unter Abwägung aller unrechtsre- levanter Umstände des Einzelfalls zu ermitteln.
a) Versammlung 07.02.2022
Bei der Versammlung am 07.02.2022 hat das Gericht unter eben dieser Abwägung aller Um- stände des Einzelfalls die Verwerflichkeit i.S.d. § 240 Abs. 2 StPO verneint.
Dabei verkennt das Gericht nicht, dass die Versammlung nicht angemeldet war und bewusst mit der B31A die Hauptverkehrsader Freiburgs (Lessingstraße auf Höhe der Kronenbrücke sowie die Abfahrtstraße zur Kronenstraße) sowie die Zeit des Berufsverkehrs um ca. 8.20 Uhr durch den Angeklagten ausgewählt wurden. Auch entstand für die Autofahrer eine nicht unbeträchtliche Zeit- verzögerung von ca. 30-45 Minuten. Die Aktion des Angeklagten und sein Blockieren dauerte insgesamt 83 Minuten an, bis er weggetragen wurde. Der Eingriff in die Fortbewegungsfreiheit der Autofahrer war nach Ansicht des Gerichts daher erheblich. Auch dass es im Alltagsverkehr sowie bei angemeldeten Demonstrationen gleichfalls zu erheblichen Staus und Zeitverzögerun- gen kommt, wie vom Angeklagten vorgetragen, war keine einzubeziehende Erwägung für das Gericht, da die vorliegende Verzögerung erst durch das konkrete Handeln des Angeklagten (mit-)verursacht wurde. Vielmehr waren aufgrund der Nichtanmeldung der Aktion auch keine Ausweichmöglichkeiten für die Autofahrer vorhanden. Andererseits war bei der Dauer und Intensität einzubeziehen, dass der Angeklagte und das Akti- onsbündnis die Aktion am 07.02.2022 von Anfang bis Ende mit einem objektiv friedlichen und kooperativen Demonstrationscharakter ausgestalteten. Unter anderem wurde ein „Deeskalations- team“ eingesetzt. Dieses trug eine Entschuldigung auf dem verteilten Flyer bei den betroffenen Autofahrern vor. Der Angeklagte selbst klebte sich zudem nicht fest, sondern konnte von den eintreffenden Beamten ohne weitere Erschwernisse weggetragen werden. Die Auflösung der Ver- sammlung war für die Polizeibeamten eher einfach zu bewältigen, die Aktion konnte zügig been- det werden. Dabei verhielt sich auch der Angeklagte kooperativ. Ferner wurde bei der Aktion auf die Möglichkeit der Einrichtung einer Rettungsgasse derart geachtet, dass sich bewusst nicht alle Blockierer auf dem Asphalt festklebten, sondern nur drei Personen. Auch sollte die Versammlung bewusst nur von vorübergehender Natur sein, gegen die Auflösung seitens der Polizeibeamten wurde kein weiterer Widerstand geleistet. Eine Grenze zur Verwerflichkeit wäre nach Ansicht des Gerichts im Hinblick auf die Intensität einer solchen Aktion jedenfalls ohne Weiteres überschritten, wenn andere Verkehrsteilnehmer abstrakt oder konkret gefährdet würden, was vorliegend aber nicht der Fall war. Die Demonstrierenden - so auch der Angeklagte - warteten nämlich bewusst eine „Rotphase“ an der betroffenen Stelle ab, um sich ohne Gefährdung der Verkehrsteilnehmer auf die Querungsstelle setzen zu können. Ein Eingriff in den fließenden Verkehr fand nicht statt.
b) Versammlung 11.02.2022
Bei der Versammlung am 11.02.2022 hat das Gericht unter Abwägung aller Umstände des Einzellfass die Verwerflichkeit i.S.d. § 240 Abs. 2 StPO verneint.
Dabei verkennt das Gericht nicht, dass die Versammlung nicht angemeldet war und ebenfalls bewusst die Hauptverkehrsader Freiburgs an der Stelle Lessingstraße, diesmal auf Höhe der Kai- serbrücke in östlicher Richtung in 79100 Freiburg, traf. Auch wurde erneut die Zeit des Berufsver- kehrs um ca. 8:20 Uhr durch den Angeklagten ausgewählt. Es entstand für die Autofahrer eine nicht unbeträchtliche Zeitverzögerung von ca. 30-45 Minuten. Die Aktion des Angeklagten und sein Blockieren dauerte insgesamt 34 Minuten an, bis er weggetragen wurde. Der Eingriff in die Fortbewegungsfreiheit der Autofahrer war nach Ansicht des Gerichts daher nicht unerheblich, wenngleich die Zeitspanne bis zum Auflösen der Versammlung diesmal deutlich kürzer als am 07.02.2022 ausfiel.
Es war bei der Dauer und Intensität einzubeziehen, dass der Angeklagte und das Aktionsbündnis die Aktion am 11.02.2022 von Anfang bis Ende mit einem objektiv friedlichen und kooperativen Demonstrationscharakter ausgestalteten. Unter anderem wurde wieder ein „Deeskalationsteam“ eingesetzt, dass einen Flyer mit einer Entschuldigung an die Autofahrer verteilte. Der Angeklagte klebte sich auch am 11.02.2022 nicht fest, sondern konnte von den eintreffenden Beamten ohne weitere Erschwernisse weggetragen werden. Die Auflösung der Versammlung war für die Polizeibeamten einfach zu bewältigen, die Aktion konnte erneut zügig beendet werden. Dabei verhielt sich auch der Angeklagte kooperativ. Ferner wurde bei der Aktion auf die Möglichkeit der Einrich- tung einer Rettungsgasse geachtet, diesmal klebte sich keine Person fest. Die Versammlung sollte nur von vorübergehender Natur sein. Widerstand gegen die Auflösung der Polizeibeamten wurde nicht geleistet.
Eine Grenze zur Verwerflichkeit wäre nach Ansicht des Gerichts bei einer Intensität einer Aktion jedenfalls überschritten, wenn andere Verkehrsteilnehmer abstrakt oder konkret gefährdet würden, was vorliegend auch am 11.02.2022 nicht der Fall war. Die Demonstrierenden - so auch der Angeklagte - wartete nämlich bewusst eine „Rotphase“ an der betroffenen Stelle ab, um sich ohne Gefährdung der Verkehrsteilnehmer auf die Querungsstelle setzen zu können. Ein Eingriff in den fließenden Verkehr fand nicht statt.
c) Versammlung 15.02.2022
Bei der Versammlung am 15.02.2022 hat das Gericht unter Abwägung aller Umstände des Ein- zelfalles die Verwerflichkeit i.S.d. § 240 Abs. 2 StPO verneint.
Dabei verkennt das Gericht nicht, dass die Versammlung nicht angemeldet war und bewusst die Fahrbahn des Autobahnzubringers Freiburg-Nord zur Bundesautobahn A 5, Einmündung zur L187/B294, als Hauptverkehrsknotenpunkt ausgewählt wurde. Auch wurde erneut die Zeit des Berufsverkehrs um ca. 8:14 Uhr durch den Angeklagten ausgewählt. Das Gericht verkennt auch nicht, dass bei dieser Aktion die Auswirkungen für die Autofahrer durch Bildung eines ca. 18 Kilo- meter langen Rückstaus und eine beträchtliche Zeitverzögerung schwerer als am 07.02.2022 und 11.02.2022 ausfielen. Der Angeklagten wurde letztlich um 8:41 Uhr weggetragen. Aufgrund der Nichtanmeldung der Aktion waren keine (zeitnahen) Ausweichmöglichkeiten für die Autofahrer ersichtlich.
Anderseits wurde die Aktion am 15.02.2022 erneut von Anfang bis Ende mit einem friedlichen und kooperativen Demonstrationscharakter ausgestaltet. Unter anderem wurde auch hier ein „Dees- kalationsteam“ eingesetzt, welches bei den betroffenen Autofahrern eine Entschuldigung in Form eines Flyers vortrug. Der Angeklagte klebte sich auch am 15.02.2022 nicht fest, sondern konnte von den eintreffenden Beamten ohne weitere Erschwernisse weggetragen werden. Die Auflösung der Versammlung war für die Polizeibeamten einfach zu bewältigen, die Aktion konnte erneut zügig beendet werden. Dabei verhielt sich auch der Angeklagte kooperativ. Ferner wurde bei der Aktion auf die Möglichkeit der Einrichtung einer Rettungsgasse derart geachtet, dass sich bewusst nicht alle Blockierer auf dem Asphalt festklebten, sondern nur zwei Personen ganz links und ganz rechts. Die mittleren drei Personen hätten jederzeit aufstehen können und einen Rettungswagen durchlassen können. Auch sollte die Versammlung bewusst nur von vorübergehender Natur sein, gegen die Auflösung der Polizeibeamten wurde kein weiterer Widerstand geleistet.
Eine Grenze zur Verwerflichkeit wäre nach Ansicht des Gerichts bei einer Intensität einer Aktion jedenfalls überschritten, wenn andere Verkehrsteilnehmer abstrakt oder konkret gefährdet würden, was vorliegend auch am 15.02.2022 nicht der Fall war. Allerdings war diesmal die höhere Intensität gegenüber den Aktionen vom 07.02. und 11.02.2022 durch die verursachte Bildung des langen Rückstaus einzubeziehen.
d) Mittel-Zweck-Relation der Versammlungen von 07.02, 11.02. und 15.02.2022
Das Gericht hat für die Versammlungen von 07.02, 11.02. und 15.02.2022 eine Abwägung der Mittel-Zweck-Relation vorgenommen. Das Gericht hatte dabei den Kommunikationszweck, eine höhere Aufmerksamkeit für „Klimaschutz“ und eine damit einhergehende „Untätigkeit der Bundes- regierung“ durch das Mittel der gezielten Straßenblockaden im Berufsverkehr zu erreichen, in Re- lation zum Eingriff in die Fortbewegungsfreiheit der Autofahrer durch eben diese Straßenblocka- den zu setzen.
Es bestand für das Gericht vorliegend umso weniger Anlass an dem Sachbezug zwischen dem Zweck der Aktion und den in der Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen zu zweifeln, als die Autofahrer direkte Adressaten und Akteure der Mobilitätswende sowie der damit verquick- ten Forderungen sind. Der Zweck, den Autofahrern direkt die tägliche Verkehrsbelastung durch den Berufsverkehr und den CO2-Ausstoß vor Augen zu führen, weist einen direkten Sachbezug zur Blockade eben dieser Autofahrer auf. Auch das durch den Angeklagten bei der Aktion bewor- bene „Essen-Retten-Gesetz“ weist einen direkten Bezug zu den blockierten Personen auf, indem auf die Reduzierung von Treibhausgasen wie CO2 Bezug genommen wird. So sind nach dem Klimaschutz-Expertenrat der Bundesregierung die für 2030 anvisierten Klimaziele so gut wie nicht mehr erreichbar und dem Verkehrssektor kommt eine besondere Rolle beim erforderlichen „Paradigmenwechsel“ zu: Die Verminderung der Emissionen müsse 14mal so hoch sein (Zweijahres- gutachten 2022, Expertenrat für Klimafragen, S. 15f.). Autofahrer sind demnach keine Unbeteilig- ten, sondern maßgeblich für den CO2-Ausstoß verantwortlich und damit Teil der Klimaproblematik. Mithin besteht eine direkte Mittel-Zweck-Relation.
Angesichts der Intensität und Dauer der jeweiligen Eingriffe (Ziffern V. 2. a) - c)) in die Fortbewe- gungsfreiheit der Autofahrer sprach - trotz des direkten Sachbezugs - zunächst für eine Verwerf- lichkeit aller drei Handlungen, dass dem Strafgericht eben keine Bewertung zusteht, ob dieses Anliegen als nützlich oder wertvoll einzuschätzen oder zu missbilligen ist. Das Gericht stellte da- her keine Bewertung des Ziels, mehr für den Klimaschutz zu unternehmen, an.
Jedoch war das Gewicht der demonstrationsspezifischen Umstände mit Blick auf das kommuni- kative Anliegen der Versammlung zu bestimmen, wobei hier eine verfassungsrechtliche Beson- derheit die Verknüpfung von Mittel und Zweck aller drei Nötigungsvorwürfe des Angeklagten (Zif- fern V. 2. a), b) und c) betrifft:
Das Bundesverfassungsgericht hat jüngst in seinem Beschluss vom 24.3.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20 - klargestellt, dass Art. 20a GG eine justiziable Rechts- norm ist, „die den politischen Prozess zugunsten ökologischer Belange auch mit Blick auf die künftigen Generationen binden soll.“ Dabei erwächst aus Art. 20a GG eine objektivrechtliche Schutzpflicht des Staates, welche „auch die Verpflichtung, Leben und Gesundheit vor den Gefah- ren des Klimawandels zu schützen“ beinhaltet.
Hier stellt das Bundesverfassungsgericht in Randnummern 185 und 186 insbesondere fest:
„Geht das dieser Temperaturschwelle entsprechende CO2-Budget zur Neige, dürfen Verhaltens- weisen, die direkt oder indirekt mit CO2-Emissionen verbunden sind, nur noch zugelassen wer- den, soweit sich die entsprechenden Grundrechte in der Abwägung mit dem Klimaschutz durch- setzen können. Dabei nimmt das relative Gewicht der Freiheitsbetätigung bei fortschreitendem Klimawandel aufgrund der immer intensiveren Umweltbelastungen immer weiter ab.
Vor diesem Hintergrund begründen Vorschriften, die jetzt CO2-Emissionen zulassen, eine unum- kehrbar angelegte rechtliche Gefährdung künftiger Freiheit, weil sich mit jeder CO2-Emissions- menge, die heute zugelassen wird, das verfassungsrechtlich vorgezeichnete Restbudget irreversibel verkleinert und CO2-relevanter Freiheitsgebrauch stärkeren, verfassungsrechtlich gebotenen Restriktionen ausgesetzt sein wird [...]. Zwar müsste CO2-relevanter Freiheitsgebrauch irgendwann ohnehin im Wesentlichen unterbunden werden, weil sich die Erderwärmung nur anhalten lässt, wenn die anthropogene CO2-Konzentration in der Erdatmosphäre nicht mehr weiter steigt. Ein schneller Verbrauch des CO2-Budgets schon bis 2030 verschärft jedoch das Risiko schwerwiegender Freiheitseinbußen, weil damit die Zeitspanne für technische und soziale Ent- wicklungen knapper wird, mit deren Hilfe die Umstellung von der heute noch umfassend mit CO2- Emissionen verbundenen Lebensweise auf klimaneutrale Verhaltensweisen freiheitsschonend vollzogen werden könnte [...]. Je kleiner das Restbudget und je höher das Emissionsniveau ist, desto kürzer ist die verbleibende Zeit für die erforderlichen Entwicklungen. Je weniger aber auf solche Entwicklungen zurückgegriffen werden kann, desto empfindlicher werden die Grundrechts- berechtigten von den bei schwindendem CO2-Budget verfassungsrechtlich immer drängenderen Beschränkungen CO2-relevanter Verhaltensweisen getroffen.“
Das Gericht hatte dementsprechend in die Abwägung einzustellen, dass mit Fortschreiten des Aufbrauchens des CO2-Budgets immer drängendere Beschränkungen CO2-relevanter Verhaltensweisen verfassungsrechtlich geboten sind, mithin die Einschränkungen der individuellen Fort- bewegungsfreiheit mit Pkws in den kommenden Jahren bis 2030 durch den Staat verschärft wer- den wird. Die zunehmende Intensität des Klimawandels und damit einhergehende Beschränkun- gen der Grundrechtsberechtigten - hier die Autofahrer - sind nach Ansicht des Gerichts demzu- folge zwangsläufig in die Verwerflichkeitsprüfung des Nötigungsvorwurfs einzubeziehen. Dass der Angeklagte auf die - nach seinem Empfinden - Untätigkeit der Bundesregierung und die kommen
den Einschränkungen des CO2 Verbrauchs in der gewählten Form einer Straßenblockade hin- weist, ist vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geradezu eine direkte Verknüpfung von Mittel und Zweck. Den Autofahrern mit dem drastischen Mittel der Blo- ckade die Endlichkeit des CO2-Budgets und die künftigen, schwerwiegenderen sowie verfas- sungsrechtlich gebotenen Eingriff in die Fortbewegungsfreiheit aufzuzeigen, ist im Ergebnis in den vorliegenden drei Fällen vom 07.02, 11.02. und 15.02.2022 nicht als verwerflich anzusehen.
Die Grenze der sozialen Unerträglichkeit eines Mittels und mithin einer Verwerflichkeit einer Hand- lung wäre nach Ansicht des Gerichts jedenfalls aber dann erreicht, wenn es zu Gefährdungen der Adressaten durch die Aktionen kommt. Die Aktionen vom 07.02, 11.02. und 15.02.2022 verliefen aber friedlich, kooperativ und ohne Gefährdungssituationen (vgl. Ziffern V. 2. a)-c)…“