Ein Haus für die Kunst
Tipp für Winter-Wochenenden: Das Hölzel-Haus in Stuttgart-Degerloch ist ein Jahr alt geworden. Ausstellungen, Veranstaltungen und eine Kunstschule sollen das Wirken des Malers und Kunstgelehrten bekannter machen. Und den Besuch dort kann man gut mit einem Winterspaziergang auf der Waldau verbinden.
Von Jürgen Brand
Früh am Morgen in der Panoramastraße in Degerloch: Die Luft hier am Wald ist klar und frisch, die Vögel zwitschern, beste Zeit für etwas Bewegung. Im oberen Stockwerk des Anwesens mit der Nummer 22 öffnet sich eine Balkontür. Ein älterer Mann, in einen leichten Mantel gehüllt, tritt heraus - und macht gymnastische Übungen. Jeden Morgen, Tag für Tag, jahrelang.
Diese Geschichte ist ab hier ab Samstag, 2. Dezember, um die Mittagszeit, nur gegen eine kleine Gebühr zu lesen. Über weitere Unterstützer:innen für dieses kleine Projekt “Gaisburger Marsch” freue ich mich: Einfach auf den Button ganz unten klicken, dann werden die drei unterschiedlichen Unterstützungsmöglichkeiten angezeigt.
Rund 100 Jahre ist das jetzt her, damals war noch kein Fernsehturm vom Balkon aus zu sehen, es gab viel weniger Nachbarn, deren Nachfahren die Geschichte aber immer noch gerne erzählen. Die Straße wurde längst umbenannt, Ahornstraße lautet jetzt die Adresse. Der Mann hieß Adolf Hölzel, war Künstler und Kunstgelehrter, der damals viel bewegt hat. Und weil die Geschichte so schön ist, gab es zur Eröffnung des sanierten und mit einem Anbau versehenen Hölzel-Hauses vor einem Jahr eine entsprechende Performance auf eben jenem Balkon.
Adolf Hölzel. Foto: Adolf Hölzel Stiftung
Adolf Hölzel gilt als einer der wichtigsten Wegbereiter gegenstandsloser Kunst. Da er aber ein bescheidener Mensch war, blieb sein Werk lange Zeit eher im Hintergrund, wurde sein Wirken unterschätzt. Das will die Adolf Hölzel Stiftung ändern und hat dafür 1,85 Millionen Euro in das Haus investiert.
Hölzel wurde 1853 in Ölmütz in Mähren (Tschechische Republik) geboren. In Gotha machte er eine Ausbildung zum Schriftsetzer, studierte in Wien, später in München. Von 1887 bis 1905 lebte er mit seiner Familie in Dachau, gründete dort eine private Malschule, war Gründungsmitglied der Münchner und der Wiener Secession und machte mit ersten theoretischen Publikationen und Vorträgen wie “Über Formen und Massenverteilung im Bilde” oder “Über künstlerische Ausdrucksmittel und deren Verhältnis zu Natur und Bild” auf sich aufmerksam. Sein Unterricht lockte junge Künstler aus dem In- und Ausland nach Dachau.
1905 wurde Adolf Hölzel an die Königliche Akademie der bildenden Künste in Stuttgart - die heutige Kunstakademie - berufen, von 1916 bis 1919 leitete er sie. Zu seinen Schülern in Dachau und Stuttgart zählten unter anderen Max Ackermann, Willi Baumeister, Ida Kerkovius, Emil Nolde, Oskar Schlemmer und viele mehr. Er entwickelte eine eigene Farbtheorie, seine Farbkreise sind im Hölzel-Haus zu sehen.
Am 15. März 1919 wurde Adolf Hölzel in den Ruhestand versetzt und zog erst dann in die Degerlocher Panoramastraße. Vorher hatte er in der Werastraße in der Innenstadt gewohnt. Die Landhausvilla konnte sich der Maler dank eines Kunstsammlers in Hannover leisten. Ein Jahr zuvor hatte Adolf Hölzel dort seine erste große Einzelausstellung. In der heutigen niedersächsischen Landeshauptstadt waren damals einige der wichtigsten Kunstsammler Deutschlands zu finden. Dazu gehörte auch der Konsul Fritz Beindorff, Inhaber der Firma Günther Wagner, besser bekannt unter dem Namen Pelikan. Beindorff besuchte die Ausstellung und war so begeistert, dass er sämtliche Werke kaufte. Das reichte für das Degerlocher Anwesen.
Das Arbeitszimmer des Künstlers in Degerloch einst. Foto: Adolf Hölzel Stiftung
Bis zu seinem Tod 1934 lebte und arbeitete Adolf Hölzel dort. Dort entstanden sein vielfältiges Pastellwerk und zahlreiche kleinformatige Zeichnungen, dort entwickelte er seine Glasfensterzyklen egal ob für Bahlsen oder Pelikan in Hannover oder für das Stuttgarter Rathaus, von denen erst jüngst ein verschollen geglaubtes Fenster wiederentdeckt wurde. Sein Grab ist auf dem Stuttgarter Waldfriedhof zu finden.
Das “neue” Hölzel-Haus ist der Enkelin des Künstlers, Doris Dieckmann-Hölzel, zu verdanken. Sie gründete zusammen mit dem Ehepaar Eleonore und Walter Pöhler im Jahr 2005 die gemeinnützige Adolf Hölzel Stiftung und vermachte dieser nach ihrem Tod fünf Jahre später den künstlerischen Nachlass und das Haus. “Die Stiftung will das künstlerische Gesamtwerk Adolf Hölzels kontinuierlich und nachhaltig weiter fördern, den Nachlass in seiner Substanz erhalten, aufarbeiten und ergänzen”, heißt es auf der Internetseite über den Zweck der Stiftung.
Zwei Jahre hat der Umbau nach den Plänen des Architektur-Labels THE BAUKUNST DYNAMITES gedauert, für den Anbau wurde das Bestandsgebäude kopiert und an das bestehende Haus angesetzt, sodass die ursprüngliche Fassade im Anbau zu sehen ist. Dort ist Platz für die Kunstschule, im Bestandsgebäude sind die Ausstellungsräume. Die Wohnung im Dachgeschoss ist vermietet.
Seit November ist im Hölzel-Haus die Ausstellung „Seite an Seite. Junge Künstlerinnen treffen Adolf Hölzel“ von Stefanie Fleischhauer und Hanna Jo zu sehen. Im Pressetext heißt es: “Die beiden Künstlerinnen Hanna Jo und Stefanie Fleischhauer eröffnen die Reihe der jungen Positionen im Hölzel-Haus. Im Andenken an Hölzels Damenmalklasse an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart wollen wir an dessen fortschrittliche und offene Art zu Lehren erinnern und laden jedes Jahr zwei junge Studentinnen ins Hölzel-Haus ein. Sie stellen ihre Werke denen von Adolf Hölzel an die Seite.”
Weitere Infos über das Haus, die aktuellen Öffnungszeiten und die Ausstellung sind hier zu finden:
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