September // Kristina Lunz
Ich werde diesen Newsletter vielleicht mit einer provokativen, aber wahren Geschichte beginnen, die vor einiger Zeit passiert ist... Eines Abends fragte der Ehemann einer Bekannten meinen Partner mit einem süffisanten Lächeln: „Wie ist es, mit einer Feministin zu leben?“ Ihr könnt euch sicher vorstellen, welche Intention hinter dieser Frage steckte. Ich überlegte sogar, ob ich auf diese Weise in eine eigene Kategorie von Menschen falle, aber in dieser Frage lag etwas, das Mitleid, Zynismus, Neugier und Dummheit zugleich vermischte. Aber was soll's, ich könnte mich empören, aber nicht jeder Kommentar ist unsere Emotionen wert. Doch was mir durch den Kopf ging, war das Thema Vorurteile und Etiketten. Wäre Feminismus als Haltung, gesellschaftlicher Reflex und nicht als Platzverdrängung oder, im schlimmsten Fall, als geschlechtlicher Kampf wahrgenommen worden, hätte eine ähnliche Frage sicher nichts Stigmatisierendes an sich. Wie ist es denn, mit einem Schornsteinfeger, einem Bäcker oder einem Arzt zu leben? Welche Sorgen und Probleme bringt er mit nach Hause? Andere als eine Feministin? Sicher ist jedoch, dass wir an diesem Punkt noch nicht sind und um rhetorische Fragen zu vermeiden, sage ich nur, dass ich Menschen respektiere, die über den Tellerrand hinausblicken, und noch mehr die, die in der Lage sind, Konventionen und Traditionen zu hinterfragen und so zum Denken und zum Dialog provozieren.
Es geht jedoch nicht nur um Einstellungen, ich habe das Gefühl, dass die Mehrheit der Gesellschaft Feministinnen weiterhin mit einer bestimmten Gruppe assoziiert – und nicht nur das, sondern sogar mehr noch mit der Darstellung einer bestimmten menschlichen Figur. Ich habe das mehrfach erfahren. Feminismus ist für mich einfach ein Raum der Freiheit, gleicher Rechte, unter Berücksichtigung unseres Geschlechts oder des Wahlrechts, es zu definieren. Feminismus ist für mich überhaupt einfach eine menschliche Dimension, ein empathischer Akt und keine Ideologie an sich, obwohl er selbstverständlich zu einer geworden ist, damit sich die Dinge zu bewegen und zu verändern beginnen.
Wer meine Newsletter von Anfang an liest weiß, dass fast jede Geschichte ein persönliches Element enthält. Und oft, wenn ich einer bestimmten Frau nicht persönlich begegnet bin, geschah dieses Treffen auf symbolische Weise, durch Inspiration, ein eingefangenes Bild, einen gelesenen Vers oder eine gehörte Geschichte. Immer enthält eine solche Geschichte ein Element der Berührung. Andernfalls hätte dieser Newsletter keinen Sinn. Vielleicht wäre es eine langweilige Wiederholung eines biografischen Schemas.
Kristina Lunz (Abre numa nova janela) wurde mir von ihren Freundinnen vorgestellt. Vor einem Jahr, um ihren Geburtstag herum, wandten sich großartige Frauen an mich mit dem Anliegen eines Porträts. Ich freue mich sehr, dass meine Arbeit als Illustratorin mir solche fantastischen Begegnungen beschert. So begann ich mich für alles zu interessieren, was diese unglaubliche Frau tut, angefangen bei ihrem Drang in politische Strukturen einzugreifen und die Unzulänglichkeiten des Systems aus feministischer Perspektive aufzuzeigen, ja, ich würde sogar sagen aus einer weiter gefassten, menschlichen. Sie beschreibt dies leidenschaftlich in ihren veröffentlichten Büchern (Abre numa nova janela) und setzt sich erfolgreich als Aktivistin und Mitgründerin des Centre for Feminist Foreign Policy (CFFP) ein.
Ich habe das Gefühl, dass Kristina Lunz in gewisser Weise eine Vertreterin der jungen Generation von Frauen ist – und nicht nur Frauen – als die Stimme junger Menschen, die mit all ihrer Kraft Einfluss auf die Gestaltung der politischen Realität ausüben wollen, der Realität in der wir leben und der, die wir zurücklassen möchten. Der einzig richtige Weg. Denn die Wahrheit ist, dass wir Repräsentation brauchen, und zu repräsentieren bedeutet oft, einer Idee ein Gesicht und eine Stimme zu geben, sie mit dem eigenen Gesicht, der eigenen Stimme zu verteidigen, um eine eigene Erzählung zu schaffen: Davor habe ich großen Respekt und schätze den Mut, sich für die Sache mit allem einzusetzen.
Als ich mit der Recherche begann, die ich immer mache um mich auf das Porträt einer bestimmten Person vorzubereiten, um die Atmosphäre zu spüren und etwas Besonderes in ihrer Ausstrahlung, Geste oder in etwas, das sich individuell in ihrem Gesicht manifestiert zu erfassen, spuckte die Internetsuchmaschine dutzende von Bildern einer jungen, schönen und eleganten Frau aus, die mit einem warmen Lächeln und einem bestimmten Blick in die Linse schaut. Ich las ihre beeindruckende Biografie, holte die Lektüre ihrer Bücher nach und ich kann es euch nicht besser erklären als durch die Erinnerung an dieses Gefühl: In Kristina Lunz steckt etwas Vertrautes, im besten Sinne des Wortes. Ich erkannte, was das genau bedeutet, als wir uns persönlich trafen. Kristina hat aus meiner Sicht eine wunderschöne Eigenschaft von Direktheit und Herzlichkeit in der Begegnung, die keine Barrieren aufbaut. Sie ist gleichzeitig sensibel und stark, und die Art wie sie über wichtige Themen spricht, ist voller Leichtigkeit, sie macht die schwierigsten Inhalte zugänglich. Ich hatte das Gefühl, dass in dieser Frau eine menschliche Dimension des Erlebens steckt, die mir seltsam vertraut ist, und wie sich später herausstellte, war es Empathie und Widerstand. Das wurde zum Titel ihrer neuesten Publikation (Abre numa nova janela), auf deren Premiere ich bereits sehr warte. In Interviews betont Kristina oft die Bedeutung ihrer Herkunft: Sie wuchs als Kind einer Arbeiterfamilie in einem fränkischen Dorf auf und schloss ihre Ausbildung an der Universität Oxford ab... Nun, das berührte mich, das Mädchen aus einer kleinen polnischen Stadt am Fluss, das heute diesen Newsletter in Berlin schreibt. Das sind kleine persönliche Sentimente, aber wie wichtig sie im Hinblick auf die Begegnung mit einem anderen Menschen sind. Kleine und große Geschichten, liebe Frauen, es gibt so viele von uns.
(Abre numa nova janela)