Wort zum Montag Humor ist, wenn man trotzdem lacht
Wie lachen die dunkelsten Momente meines Lebens gerettet hat
"Sein Zustand hat sich wieder verschlechtert - ich sage dir das nur, weil ich es beim letzten Besuch sehr erschreckend fand, ihn so zu sehen", hatte meine Mama mich vorgewarnt. Der letzte Besuch bei meinem Onkel war an Weihnachten gewesen, damals konnte er noch sitzen und einige Getränke mit dem Strohhalm zu sich nehmen! Mein Onkel leidet an ALS, einer Nervenerkrankung, die nach und nach dazu führt, dass seine Muskeln ihren Dienst quittieren. Mittlerweile kann er nur noch liegen, wird beatmet und ernährt und kann nicht mehr sprechen. Ein bisschen Gesichtsmimik ist noch vorhanden.
"Ich merke schon noch deutlich, was er will und was nicht!", sagt meine Tante mit vielsagender Miene. "Er hat ja nie viel gesprochen, aber erst jetzt weiß ich, wie überdeutlich ein Gesicht "nein" sagen kann, wenn etwas nicht genehm ist!" Als wir am Krankenbett meines Onkels stehen, lächle ich fröhlich, als ich seinen offenen Blick auffange. Ich bin dankbar so viel Freundlichkeit und Willkommen aus seinen Augen herauslesen zu können und fühle mich nicht mehr ganz so unbehaglich. Was redet man nur, wenn keine Antworten zu erwarten sind? Ich erzähle von unserem Urlaub und fühle mich holprig im Denken, weil ich meine eigene Stichwortgeberin bin. Ich spüre erleichtert und verzweifelt zugleich, dass seine Augen Interesse erkennen lassen, aber mehr als die Augen habe ich nicht zum Kommunizieren. So eine verfluchte Scheiß-Krankheit. "Aber wie das mit Kindern eben so ist...", schließe ich meinen Bericht, "...es ist zwar Urlaub, aber ausschlafen kann man ja doch nicht!" Stille. Unbehagen. Ich will nicht weinen. "Die Augen!", denke ich, "bring diese Augen zum Lachen!" Und ich wage mich ganz weit aus dem Fenster und sage, während meine Augen feucht werden: "Ist nicht wie bei dir Thomas... Du kannst einfach mal jeden Morgen liegen bleiben und ausschlafen. Ich habe gehört der Frühstück-ans-Bett-Service wurde eingestellt, weil von dir nie ein Wort des Dankes kam?!" Ich zwinkere. Bitterster Galgenhumor. Und doch sehe ich , wie mein Onkel die Nase kraus zieht und die Augen fest zusammenkneift. Eine so vertraute Geste. Ich höre sein Lachen in meiner Vorstellung und es ist enorm ansteckend. Mein ausgelassenes Lachen nimmt den Kloß im Hals mit, der gerade noch "Tränen marsch" melden wollte. Es darf leicht sein einen ausgiebigen Moment lang.
Meine letzte Schwangerschaft begann holprig und in einem einzigen Gefühlschaos. Die Nachricht, dass es Zwillinge werden, traf mich und meine Mama, die mich zum Gynäkologen begleitet hatte, so unverhofft wie die Schwangerschaft selbst. Wir wollten ein 4. Kind, hatten diesen Zyklus aber bereits abgeschrieben und nun war ich schwanger mit Kind 4 und 5. "Darf ich joggen gehen?", hatte ich die Ärztin gefragt, die nichts dagegen hatte, schließlich war ich im Trainings-Modus.
Doch als ich dann routinemäßig meine Joggingrunde in der 10. Woche antrete, merke ich, dass etwas komisch ist. Ich jogge und gehe dann wieder, ich jogge und gehe. Mir fehlt der Elan oder die Kraft, irgendwas bremst mich. Nach nur etwa 500 Metern wird mir komisch und neben leichtem Schwindel registriere ich, dass ich Blut verliere. Sofort hole ich mein Handy aus der Innentasche meiner Jacke und rufe meinen Mann an. "Ich komme, bleib wo du bist!", nordet er mich ein, aber ich will nicht rumsitzen und gehe langsam und völlig erschlagen von meinen Gefühlen zurück Richtung zuhause. "Ich verliere die Babys!", ist sofort das klare Gefühl in meinem Herzen, aber ich will nicht weinen - so viele Menschen hier, die mich sehen könnten. Nach etwas über 200 Metern sehe ich meinen Mann, der mir entgegen gerannt kommt und fasse nicht wirklich, dass er angesichts der Lage nicht das Auto genommen hat. Der Kloß im Hals ist unerträglich, ich bekomme kaum noch Luft. "Du solltest bleiben, wo du bist!", schimpft Torben. Er registriert, wie schlecht es mir geht und nimmt mich auf den Arm, um mich zu tragen! "Willst du mich jetzt die 300 Meter so nach Hause schleppen?", frage ich. "Jepp!", sagt er, "das ist total romantisch!" Nach 50 Metern, verlangsamt ein Auto nehmen uns. Die Scheibe geht runter: "Brauchen Sie Hilfe?" "Nein, nein!", sagt mein Mann, "ich trage meine Frau auch noch 12 Ehejahren einfach gerne auf Händen! Sie verlangt das von mir!" Die Autofahrerin lacht, ich lache ebenfalls und spüre, wie mein Lachen endlich die Türen öffnet und auch Tränen fließen können. Ich verberge mein Gesicht am Hals meines Mannes. "Weinst du vor Rührung über deinen tollen Mann?", fragt Torben. Und ich bin einfach nur dankbar, dass ich in diesem Moment lachen und weinen kann. Beides tut gut. - Taras Zwilling durften wir nicht kennenlernen.
Das regelmäßige Piepsen der Maschinen und Überwachungsgeräte grätscht in meine Redepause. Es klingt furchtbar und ich weiß wieder, warum ich die ganze Zeit rede ohne Punkt und Komma. Es tut weh, die Maschinen zu hören, wie es auch weh tut, die Maschinen zu sehen, an die mein Vater angeschlossen ist. 2016, die Geburt des kleinen Jesaja liegt gerade wenige Wochen zurück und meine Mama geht mit ihm in der Trage auf dem Krankenhaus Vorplatz spazieren, damit ich Papa besuchen kann. Kinder haben keinen Zutritt auf der Intensivstation und wir Erwachsenen dürfen auch immer nur zu zweit hier sein. Papa hatte vor einer Woche einen Herzinfarkt gehabt. Er war nach dem Rasenmähen einfach zusammen gebrochen und meine Mama hatte in Windeseile den Apotheker aus der Apotheke nebenan verständigt, der reanimieren musste. Kurz darauf trafen Rettungswagen und Notarzt mit einem Defibrilator ein. Im Krankenhaus legte man Papa in ein künstliches Koma, multiples Organversagen, extreme Wassereinlagerungen und Not-OP ließen das alles wie einen nicht enden wollenden Alptraum erscheinen. Schließlich wurde langsam das künstliche Koma aufgehoben, aber bisher zeigte mein Vater keinerlei Regung und niemand wusste, was passieren würde, ob und in welchem Zustand er zurückkommen würde.
Und so stehe ich an Papas Krankenbett und berichtet ihm von den Geschehnissen des Tages, davon wie es den Kindern geht, dass es so schön wäre, wenn er zurückkommen würde. "Papa", sage ich, weil ich die Stille schier nicht aushalte und das Gefühl habe, alle Alltäglichkeiten bereits berichtet zu haben. "Papa. du würdest die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und mich fragen, ob ich nicht ganz bei Trost bin, aber ich möchte noch ein 4. Kind. Ich weiß, Jesaja ist gerade erst geboren und du kennst ihn noch gar nicht richtig und du fandst ein 3. Kind schon übertrieben. Jaja, du machst dir Sorgen, ich weiß. Jedes weitere Enkelkind ist einer mehr, um den man sich Sorgen machen muss. Aber jetzt, wo du nicht widersprechen kannst, weihe ich dich ein. Und weißt du was? Bisher weiß das noch niemand, noch nicht mal Torben. Wenn du mich hörst und dich das aufregt, werde doch bitte schnell wieder wach. Wenn nicht... bewahre wenigstens Stillschweigen!" Mit meinen letzten Worten öffnet sich die Tür und meine jüngere Schwester tritt ein. "Stillschweigen worüber?", fragt sie und umarmte mich, um sich dann sofort Papa zuzuwenden, sich an sein Bett zu setzen und seine Hand zu halten. "Ich habe ihm von meinen geheimen Zukunftsplänen erzählt", gestehe ich, "er... kann ja nicht widersprechen. Und wenn er sich später aufregt, kann ich immer noch sagen: damals, 2016, warst du noch voll schweigender Zustimmung." Meine Schwester wendet ihr Gesicht von Papa ab, ohne seine Hand loszulassen. "Und...", fragt sie mit provozierendem Unterton, "hast du auch deine ganzen Jugendsünden gebeichtet, jetzt, wo er gerade mal zum Ruhigbleiben gezwungen ist?" Sie zwinkert und raunt Papa zu "Ich habe mal einen Lackschaden an der Tür vom Audi verursacht, der nur mit einem Lackstift ausgebessert wurde. Wir haben da alle drüber geschwiegen. Jetzt bist du auch im Bilde." Sie legt eine Kunstpause ein. "Danke, dass du nicht schimpfst!" Ich muss kichern. Meine Schwester lacht. "Papa", ich rücke einen Stuhl neben meine Schwester, "weißt du noch damals in der 6. Klasse, als ich bei Inga übernachtet habe? Weißt du sicher nicht mehr. Du hast damals gesagt "Macht keinen Mist", aber wir haben doch Mist gemacht. Wir sind Nachts durch Ingas Fenster abgehauen und haben uns mit Jungs zum Rauchen an der Bushaltestelle getroffen. Du nimmst das ja so gelassen...?! Papi, das war mitten in der Nacht!" Meiner Schwester entfährt ein Glucksen, ihr Gelächter steckt an. Und 5 Minuten später können wir uns beide nicht mehr halten vor Lachen, während wir eine Jugend-Eskapade nach der anderen auspacken, uns übertrumpfen und lachen bis uns die Tränen kommen. Die hereinkommende Schwester unterbricht unseren Lachflash jäh und sagt lächelnd "Na, hier ist ja eine gute Stimmung! Ich vermute, das wird Ihrem Vater gut tun." - Ja... vielleicht tut es das. Uns hat es auf jeden Fall gut getan, die bedrückende Stimmung mit Lachen und Liebe zu füllen. Mein Herz ist leichter als ich die Intensivstation verlasse.
Es klingt so banal, aber Lachen ist alles andere als banal. Lachen entspannt die Muskeln, zwischen Lachflash eins und zwei atmen wir tief, der Blutdruck sinkt. Unser Inneres kommt zurück ins Gleichgewicht, weil es ein Stück Wahrheit zu fassen bekommt und weiser wird in der Erkenntnis, dass kein hell ohne dunkel ist und kein Sonnenaufgang ohne die Nacht. Wenn Momente schwer sind, suche ich oft mein Lachen, weil ich mich besser in meinen Tränen fallenlassen kann, wenn ich da ein Sicherheitsnetz aus Lachen und Humor weiß. Beides geht Hand in Hand - und macht Herz heile und stark.