Die vergessene Kunst des Zuhörens.
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Hast du schon einmal darüber nachgedacht, wann du das letzte Mal jemandem richtig zugehört hast? Vielleicht denkst du jetzt ja auch, dass du immer zuhörst, wenn jemand mit dir spricht. Fakt ist aber, dass wir in unserer lauten Welt voller Ablenkungen verlernen zunehmend richtig zuzuhören und uns wirklich zu verstehen.
Wir verbringen selten einen Moment in absoluter Ruhe, teilen uns auf unterschiedlichsten Kanälen und über Messaging-Dienst mit und hören häufig doch nicht richtig hin. Das wiederum schafft ständig Missverständnisse, weil wir oft schon im Vorfeld zu wissen glauben, was unser Gegenüber sagen wird.
Der US-Autor Anthony Alessandra hat gleich vier unterschiedliche Zuhörer-Typen identifiziert:
Die verschiedenen Zuhörer-Typen
Die Weghörerin
Hier handelt es sich eigentlich nicht um eine Zuhörerin, in der Regel auch nicht um eine Ignorantin. Meist eher um einen Mensch mit Problemen auf zwischenmenschlicher Ebene. Häufig ist die Weghörerin introvertiert und tut sich schwer damit, sich ganz auf ihr Gegenüber einzulassen.
Die selektive Zuhörerin
Dieser Typ hört meist ebenfalls nicht richtig zu – sie tut bloß so. Sie hört häufig, was sie wirklich hören will und sollte der Gesprächsinhalt nicht von Interesse sein, schaltet die Person meist ab. Die Folge: Gespräche mit diesem Typ Zuhörerin kratzen meist nur an der Oberfläche, weil keine wirklich tiefen Gespräche möglich sind.
Die bewertende Zuhörerin
Gespräche mit der bewertenden Zuhörerin finden meist mit dem Anspruch statt, keinen Dialog zu führen, sondern eine Debatte zu gewinnen. Die Person hört und versteht die Argumente, ist aber in Gedanken schon bei den Gegenargumenten und im Kopf bei einem Schlagabtausch. Diese Typen sind häufig sehr intelligent und analytisch, aber leider fehlt oft das Verständnis.
Die aktive Zuhörerin
Der Idealtypus der Zuhörerin. Wenn sie zuhört, schenkt sie ihrem Gegenüber exklusive Aufmerksamkeit und stellt sich vollkommen auf die Gesprächspartnerin ein - auch emotional. Sie besitzt einen hohen Grad an emotionaler Intelligenz.
Was wichtig ist: Kaum jemand ist nur einer der vier genannten Typen. Je nach Gespräch und Situation sind wir in der Regel eine Mischung aus allen. Ein Typ dominiert jedoch meist. Welcher ist es bei dir?
“Die meisten Menschen hören nicht zu, um zu verstehen. Sie hören zu, um zu antworten.” - Stephen R. Covey
Thought Catalog via Unsplash.com
Im Buch “Immer auf Sendung - nie auf Empfang” (Abre numa nova janela) schreibt Autorin Kate Murphy darüber, warum wir einander unbedingt wieder richtig zuhören müssen.
“Keiner von uns ist immer und überall ein guter Zuhörer. Es liegt in der Natur des Menschen, sich von dem ablenken zu lassen, was gerade im eigenen Kopf vor sich geht. Zuhören ist anstrengend. Wie beim Lesen möchte man vielleicht noch einmal sorgfältig manches durchdenken, während man einen anderen Text überfliegt, je nach Situation. Die Fähigkeit aber, aufmerksam zuzuhören, wie auch diejenige, aufmerksam zu lesen, nimmt ab, wenn man sich dem nicht oft genug aussetzt.”
Die Eigenschaften des schlechten Zuhörens sind beispielsweise:
unterbrochen zu werden
wenn nur unbestimmt oder unlogisch auf das geantwortet wird, was gerade gesagt wurde
wenn auf ein Smartphone, eine Uhr geblickt oder im Zimmer umhergesehen oder anderweitig vom Sprechenden weggeschaut wird
wenn nervös gezappelt wird (z.B. auf den Tisch klopfen, häufiges Verändern der Sitzposition, mit dem Kugelschreiber spielen usw.)
In diesem spannenden Artikel (Abre numa nova janela) von Deutschlandfunk geht es darum wie man zuhören lernt. Und diese Podcastfolge von “Betreutes Fühlen” zum Thema ist ebenso interessant zum Nachhören.
https://open.spotify.com/episode/0rmXkyDHjDu43bpOkHpVRH?si=617319b211a3443f (Abre numa nova janela)In ihrem sehr wertvollen Buch “Zuhören ist ein Geschenk” (Abre numa nova janela) schreibt Autorin Andrea Wiedel darüber, dass Beziehungen durch Mitgefühl und Wertschätzung gestärkt werden können und liefert viele praktische Beispiele, um das Gelesene zu verstehen und direkt auch im Alltag umzusetzen.
Im Zeitalter des Internets ist es mittlerweile ganz normal, anderen Menschen ungefragt Ratschläge zu geben. Aber vielleicht kennst du auch Menschen in deinem Umfeld, die immer sofort eine Lösung für dich parat haben. Häufig sogar nett gemeint, aber tatsächlich wenig empathisch. Wiedel nennt hier gute Beispiele.
Wenn du das nächste Mal den Impuls verspürst deinem Gegenüber einen Ratschlag zu geben oder eine Aussage zu kommentieren, dann halte zuerst einen Moment inne. Versuche, dem Impuls nicht sofort nachzugeben und sage zuerst eine der folgenden Formulierungen (oder eine andere, wenn dir noch etwas passenderes einfällt):
Ich sehe es anders als du. Willst du meine Meinung hören?
Ich bin da anderer Meinung. Darf ich dir das sagen?
Ich weiß etwas, das dir vielleicht helfen wird. Willst du es wissen?
Ich habe da eine Idee. Willst du sie hören?
Meist entsteht dann eine Pause und die andere Person kann prüfen, ob sie bereit ist eine andere Meinung zu hören. Die meisten Menschen sind neugierig und sagen Ja. Die Kunst ist es, bei einem Nein seinen Ratschlag für sich zu behalten. Ein Nein signalisiert ja auch, dass die andere Person kein offenes Ohr hat und unser Rat damit auch nicht auf fruchtbaren Boden fallen würde.
Eine andere Art der Kommunikation in unser Leben zu integrieren schafft ein besseres Miteinander und einen Austausch auf Augenhöhe. Denn wichtig ist: Egal was andere tun, das Recht, diese Handlungen zu bewerten, haben nur die betreffenden Personen selbst.
Bewertungen schaffen Hierarchie
Wir dürfen uns bewusst machen, dass wir alle täglich unser bestes geben. Wir leben so gut wir können, wir treffen Entscheidungen so gut wir können und wir handeln so gut wir können. In dem Moment aber, in dem wir Handlungen und Entscheidungen anderer bewerten, kommentieren oder diagnostizieren, begehen wir eine Grenzverletzung. Wir stellen uns damit nämlich gedanklich über die andere Person. Das Signal, das wir senden: Ich weiß es besser!
Niemand von uns lässt sich gerne sagen, was er tun oder lassen soll und noch weniger, wenn das ungefragt passiert. Die Autorin empfiehlt, dass man Handlungsaufforderungen wie “Du musst…” oder “Du darfst nicht…” gar nicht verwenden sollte. Denn es geht hier nicht um die sogenannte “freie Meinungsäußerung”. Häufig sagen andere Menschen - ganz besonders gerne im Internet - den Satz: “Ich werden doch wohl noch meine Meinung äußern dürfen.”
Es ist jedoch wichtig zu wissen, dass freie Meinungsäußerung nur dann zutrifft, wenn wir uns in einem beziehungsfreien Raum befinden. Also zum Beispiel dann, wenn ein Journalist einen Artikel in einer Zeitung veröffentlicht. In einem Dialog besteht jedoch immer eine Beziehung zwischen zwei Personen.
Weiterer Buchtipp zum Thema: achtsam sprechen - achtsam zuhören von Thich Nhat Hanh (Abre numa nova janela)
Wie funktioniert aktives Zuhören?
Aktives Zuhören gibt der erzählenden Person die Sicherheit, dass sie mit ihren Worten gehört wird. Der Dialog erhält so Struktur und wird entschleunigt. Und gerade das führt zu einem größeren gegenseitigen Verständnis und besseren und effizienteren Lösungen. Es trägt zudem zur Deeskalation bei, wenn es sich um kontroverse oder hitzige Themen handelt.
Aktives Zuhören erfordert bei der zuhörenden Person volle Konzentration, aber auch sprachliche Fähigkeiten. Es ist wichtig, das Gehörte mit eigenen Worten wiedergeben zu können. Ein gewisses Maß an Persönlichkeitsentwicklung ist ebenso notwendig, da man die eigene Meinung nämlich für einen Moment zurückstellen können sollte.
Aktives Zuhören ist auch eine wesentliche Methode in der Mediation von Konfliktparteien. Mediation ist Konfliktlösung mithilfe einer unabhängigen dritten Person. Diese wiederholt die wesentlichen Inhalte der Konfliktpartner möglichst sachlich mit ihren eigenen Worten und trägt damit zum gegenseitigen Verständnis beider Seiten bei und erhöht die Bereitschaft zur Lösungsfindung.
Dale Carnegie schreibt in seinem Buch “Wie man Freunde gewinnt” (Abre numa nova janela) übrigens den tollen Satz: “Sie können innerhalb von zwei Monaten mehr Menschen zu Freunden machen, indem Sie sich für andere interessieren, als Sie sich in zwei Jahren Freunde machen können, indem Sie versuchen, andere für sich zu interessieren.”
Wann wir mit dem Zuhören aufhören sollten
Nach Ansicht des britischen Sprachphilosophen und Theoretikers Herbert Paul Grice haben wir Menschen unterbewusst bestimmte Erwartungen in Gesprächssituationen. Werden diese nicht erfüllt, dann sind wir auch weniger dazu geneigt noch richtig zuzuhören. Kommunikation ist immer ein kooperatives Unterfangen. Hält unsere Gesprächspartnerin also ihre Abmachung nicht ein, dann fühlen wir uns quasi betrogen. Unsere Gesprächserwartungen können in den folgenden vier Grundsätzen zusammengefasst werden:
Qualitätsgrundsatz - wir erwarten die Wahrheit
Grundsatz der Menge - wir erwarten, dass wir Informationen erhalten, die wir noch nicht haben, aber nicht so viele, dass wir uns davon überfordert fühlen
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit - wir erwarten Relevanz und logischen Ablauf
Grundsatz des Verhaltens - wir erwarten, dass die Sprechende sich angemessen kurz, ordentlich und unmissverständlich ausdrückt
Kate Murphy schreibt: “Sich mit jemandem zu unterhalten, der nicht gut zuhört, der nicht dem folgt, was Sie sagen, und auch nicht berücksichtigt, wie Sie sich fühlen, bei dem, was Sie hören, ist so, als würde man mit jemandem tanzen, der einem anderen Rhythmus oder auch gar keinem Rhythmus folgt.”
Nimm dir Zeit zum Zuhören
Vielleicht konntest du aus der heutigen Mail auch ein paar gute Gedanken für dein nächstes Gespräch mitnehmen. Aktiv Zuhören ist eine Wertschätzung für unsere Gesprächspartnerin, stärkt deine Beziehung und macht es möglich, dass wir uns wirklich verstehen. Denk dran: Zuhören ist nur dann möglich, wenn wir unser Tempo drosseln und uns die Zeit nehmen zuzuhören.
Ich wünsche dir einen wunderbaren 1. Advent und einen erholsamen Sonntag.
Deine Petra