Geschmacksfragen VI
Konservierte Sommer
(Abre numa nova janela)Hier klicken, um die Folge anzuhören (Abre numa nova janela)
Die meisten der Kochbücher, die ich benutze, sind auf Englisch oder Französisch geschrieben und ich tue mich mit der Sprache deutscher Kochbücher manchmal etwas schwer. Was vielleicht daran liegt, dass ich ein heimlicher Snob bin, wenn es ums Essen geht. Aber gewiss auch daran, dass ich das Kochen mithilfe jener fremdsprachigen Bücher gelernt habe, als ich in Amerika wohnte.
Die kulinarischen Welten, die sich hinter den jeweiligen Sprachen von Kochbüchern verbergen, können so verschieden sein. Doch meistens entwickeln sie ihre eigene Poesie und weiten unseren Blick aufs Kulinarische. Ein gedeckter Apfelkuchen, ein Apple Crumble oder eine Tarte aux Pommes werden aus den gleichen Zutaten hergestellt und könnten trotzdem kaum unterschiedlicher daherkommen. Köstlich sind sie alle drei.
Nur bei bestimmten Dingen werde ich etwas empfindlich. Etwa bei der Zitronensäure und dem künstlichen Pektin im Gelierzucker, mit dem man in Deutschland Früchte zu Konfitüren einkocht. Wenn man mich fragt, schmecken hier alle Marmeladen gleich oder zumindest sehr ähnlich – und zwar nach Gelierzucker. In Frankreich hingegen, wie ich einmal bei einem Urlaub auf einem provenzalischen Bauernhof feststellte, trifft man mitunter auf selbstgemachte Konfitüren, die etwas flüssiger als die schnittfesten deutschen Varianten sind und in denen kleine, quasi kandierte Fruchtstücke schweben. Sie schmecken so destilliert, so rein nach Erdbeeren, Mirabellen, Aprikosen oder gelben Pfirsichen, dass man sein Glück kaum fassen kann.
Ich stieß erst nach langem Suchen auf Rezepte, mit denen ich ein ähnliches Ergebnis erzielen konnte. Sie stammen von Christine Ferber, einer elsässischen Patissière und Confiseuse, deren Marmeladenmanufaktur einige bekannte Spitzenküchen und 5-Sterne-Hotels beliefert. Die Früchte, die Ferber einkocht, werden von Einheimischen geliefert oder kommen von einem Pariser Großmarkt. Sie verarbeitet sie nur in kleinen Mengen und benutzt zum Einkochen nichts als Zucker und Zitronensaft. Als ich zum ersten Mal von ihr hörte, gab es keines ihrer Bücher auf Deutsch. Deshalb arbeitete ich mich mit meinem nicht wirklich tollen Französisch durch ihre Rezepte und kochte eines nach dem anderen nach. Ihr Grundlagenwerk „Mes confitures“ gehört inzwischen zu meinen absoluten Lieblingskochbüchern. Und die Marmeladen daraus machen nicht nur mich, sondern auch viele meiner Freundinnen und Freunde glücklich.
Was folgt, ist ein Rezept für eine von Christine Ferber inspirierte Konfitüre aus weißen Pfirsichen mit Feigenblättern. Sie macht etwas Arbeit und man braucht ein Küchenthermometer, aber das lohnt sich, vertrauen Sie mir. Zunächst blanchiert man 1,3 Kilogramm weißfleischige Pfirsiche, häutet sie und schneidet dann das Fruchtfleisch in Scheiben. Zusammen mit dem Saft, der dabei abtropft, sollte das ungefähr ein Kilogramm ergeben. Das Ganze wird mit 800 Gramm regulärem Zucker, dem Saft einer Zitrone und fünf kleinen Feigenblättern einmal kurz zum Kochen gebracht und dann über Nacht an einem kühlen Ort stehen gelassen. Am Morgen drauf gießt man alles durch ein Sieb, entfernt die Feigenblätter und lässt den aufgefangenen Sirup auf 105°C einkochen. Dann gibt man die Pfirsichscheiben dazu und kocht die Konfitüre ein, bis sie erneut 105°C erreicht hat und füllt sie in sterilisierte Schraubverschlussgläser.
Wenn Sie ein heimlicher kulinarischer Snob sind, wie ich, dann schreiben Sie den Namen der Konfitüre auf Französisch aufs Glas. Pêches blanches aux feuilles de figuier. Doch das muss nicht sein. Die Marmelade wird so oder so eines der poetischsten Dinge sein, die Sie je gegessen haben. Die Feigenblätter bringen mit ihrer herben Kokosnote den Geschmack der weißen Pfirsiche besonders gut zur Geltung. Und in jedem der kleinen Gläser wird der Sommer in seiner reinsten, intensivsten Form konserviert sein. Sie werden sich plötzlich, auch wenn es kalt ist, an die Strahlen der Sonne, das Grün der Gärten und das Rauschen der Blätter erinnert fühlen. Daran, wie der Saft eines süßen, vollreifen Pfirsichs beim Essen auf ihr Kinn tropft. Was könnte es Schöneres geben.