Warum sind manche Menschen kreativer als andere?
Jeden Freitag erzähle ich dir von Erkenntnissen aus Neurowissenschaft und Psychologie, die du kennen solltest. Heute: über Steve Jobs, Fahrräder und Künstler.
Bevor es losgeht, noch ein Lesetipp, denn: Das normale Volk ist wieder da. Von Friedrich Merz bis Sahra Wagenknecht erklären sich politisch Handelnde heute für die Stimme der „normalen Bevölkerung“. Aber auf welche Normalität berufen sie sich dabei? In seinem Essay „Neue Normalisten“ findet Thorsten Holzhauser überraschende Antworten – du kannst ihn jetzt kostenlos lesen im Newsletter der Kulturzeitschrift MERKUR (Abre numa nova janela).
Am 9. Januar 2007 stand Steve Jobs in Jeans und schwarzem Rollkragenpullover auf der Bühne der MacWorld. „Ab und zu kommt ein revolutionäres Produkt das alles verändert“, erklärte er. „Heute wird Apple das Telefon neu erfinden.“
Niemand hatte etwas Vergleichbares gesehen: Ein Kommunikationsgerät, Musikplayer und Personal Computer, den man in der Hand halten konnte, alles in einem Gerät! Die Medien feierten es als bahnbrechend, fast magisch. Die Einführung des iPhone war charakteristisch für großen Innovationen: Sie überraschen uns unerwartet, mit einer Neuheit, die scheinbar aus dem Nichts zu kommen scheint.
Aber, ganz ehrlich: Alles hat sich irgendwer irgendwann mal ausgedacht, oder?
Okay, ich sehe schon. Das klingt jetzt trivial. Aber ich finde, in diesem Satz steckt eine unerwartete Kraft. Denn es ist tatsächlich so: Alles hat sich irgendwer irgendwann mal ausgedacht. Während ich diesen Newsletter schreibe, sehe ich, wie draußen Menschen auf Fahrrädern vorbei fahren. Das ist völlig normal.
Aber irgendwer hat sich irgendwann mal das erste Fahrrad ausgedacht, wie wir es heute kennen. Und nicht nur das: Irgendwer hat daraufhin auch die Form so verändert, dass plötzlich ein Rennrad vor ihm stand. Irgendwer kam auf die Idee: Warum kann man nicht auch viel gemütlicher im Sitzen fahren? Und warum muss ich immer alleine fahren?
Alles, was wir Menschen erschaffen haben, hat sich irgendwer mal ausgedacht. Wir Menschen sind darauf gepolt, uns nie mit dem zufrieden zu geben, was wir haben, was es schon gibt. Wir wollen nicht nur immer mehr, wir wollen Neues.
Das kann man sogar messen. Das menschliche Gehirn unterdrückt nämlich alles, was es schon kennt.
Wenn du zum Beispiel einem neuen Objekt begegnest – sagen wir, einem selbstfahrenden Auto – zeigt dein Gehirn eine starke Reaktion. Es nimmt etwas Neues auf und registriert es. Beim zweiten Mal, wenn du es siehst, reagiert dein Gehirn schon etwas weniger. Es interessiert sich nicht mehr ganz so sehr dafür, weil es nicht ganz so neu ist. Beim dritten Mal: wieder weniger Reaktion. Beim vierten Mal: noch weniger.
Wer schon mal in einer längeren Beziehung war, weiß, wovon ich rede. (Das ist kein Macho-Spruch – dahinter stecken die gleichen Abläufe im Gehirn.) In dieser Studie (Abre numa nova janela) wurden zum Beispiel Audio-Signale vorgespielt. Man sieht, wie die Aktivierung von Wiederholung zu Wiederholung abnimmt:
Unsere Gier nach Neuem ist angeboren. Deshalb bewundern wir auch diejenigen, die sich Neues ausdenken. Wer will nicht als besonders kreativ gelten? Eben.
Wenn du viele kreative Menschen um dich herum hast, hast du dich das vielleicht aber auch schon mal gefragt: Was genau macht manche Menschen eigentlich kreativer als andere? Darum geht es heute.
Du musst die Klebrigkeit überwinden
Wie ich in der letzten Ausgabe gezeigt habe, sind für kreatives Denken vor allem drei Netzwerke wichtig:
Das exekutive Netzwerk
Das Default-Mode-Netzwerk
Das Salienz-Netzwerk
Beim kreativen Denken kommt es auf ein gut ausbalanciertes Zusammenspiel an, das aus unserem Blick in die Vergangenheit und unserem Blick in die Zukunft besteht. Oder, um es etwas neurowissenschaftlicher auszudrücken: ein Zusammenspiel aus unserem Gedächtnis und unserem Kontrollzentrum.
In ihrem Buch „Kreativität“ schreiben der Neurowissenschaftler David Eagleman und der Musiker Anthony Brand: „Wie bei Diamanten entsteht Kreativität, indem wir Geschichte in neue Form pressen.“ Kreative Ideen entstehen nie aus dem Nichts. Sie basieren immer auf bereits Erlebtem.
Das Zusammenspiel ist deshalb so wichtig, weil es bei Kreativität darum geht, das bereits Erlebte in Erinnerung zu rufen, aber nicht dabei zu verharren. Es geht darum, die „Klebrigkeit“ des Vorwissens zu überwinden, um auf neue Ideen zu kommen. Es ist ein Blick in die Zukunft. Ein „Was wäre, wenn …?“ Das wusste auch Steve Jobs, als er meinte:
„Kreativität bedeutet einfach, Dinge zu verbinden. Wenn man kreative Menschen fragt wie sie etwas gemacht haben, fühlen sie sich ein wenig schuldig, weil sie es nicht wirklich gemacht haben. Sie haben einfach etwas gesehen. Nach einer Weile war es für sie offensichtlich. Das liegt daran, dass sie in der Lage waren, Erfahrungen, die sie gemacht haben, zu verknüpfen und neue Dinge zu synthetisieren.“
Was unterscheidet Steve Jobs Gehirn von anderen?
Nun, an dieser Stelle muss ich zugeben, dass ich das Gehirn von Steve Jobs nicht untersucht habe. Ich weiß: Schocker. Aber andere Studien zeigen, was in seinem Gehirn eventuell anders sein könnte als in den von weniger kreativen Menschen.
In einer fMRI-Studie (du weißt schon: die großen Röhren, in denen Scans von Gehirnen gemacht werden) wurden bildende Künstler gebeten, auf der Grundlage kurzer schriftlicher Beschreibungen Ideen für ein Buchcover zu entwickeln und zu bewerten. Bei anschließenden Gehirn-Scans konnte man sehen, worauf es bei Kreativität ankommt.
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