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Kommt, wir gießen einen Apfelbaum

Ich bin Logopädin. Viele von euch wissen das. Und diejenigen, die nicht genau wissen, was so eine Logopädin beruflich macht, haben in der Regel eine Idee davon. "Irgendwas mit Reden", habe ich wohl am häufigsten gehört.

Und das stimmt zum Teil. Einen großen Teil meiner Berufsausbildung ganz zu Beginn (ich hab ja noch ein bisschen länger anschließend studiert) habe ich mit Sprecherziehung und Stimmbildung verbracht.
Ich habe als studierte Logopädin Vorträge auf großen Kongressen gehalten, Fortbildungen über mehrere Tage gegeben, Seminare und Kurse geleitet und sogar auf Englisch meine Forschungsergebnisse vorgetragen. Sprechen ist für mich ein Klacks. Beruflich.

Ich habe gelernt, theoretisch komplexe Zusammenhänge nachvollziehbar zu erklären. Für Studierende, für Kolleg*innen mit jahrelanger praktischer Expertise, für wissenschaftliches Publikum und für die Eltern sprachauffälliger Kinder von nebenan. Ich fühle mich sicher, wenn ich weiß, wovon ich spreche. Ich mache das sogar ziemlich gerne, weil es mich jedes Mal berührt, wenn ich bei meinen Zuhörer*innen den Groschen förmlich fallen höre, meine Message ankommt oder neue Gedanken und Fragen entstehen. Und weil ich weiß, dass es Kindern mit Sprachproblemen zu Gute kommt, was ich da vermittele.

Über mich selbst zu sprechen. Darüber zu sprechen, wie es ist, wenn es keine Alternative gibt, das kenne ich nur aus jahrelanger Therapie. Meistens höre ich da nur mir selbst zu und das ist auch der Zweck des Gesprächs. Einem Publikum nachvollziehbar zu erzählen, wie ein Leben wie meines sich anfühlt, das ist im Vergleich dazu überhaupt kein Klacks mehr.

Ich habe das gespürt - schon in den ersten Tagen im Krankenhaus, als mir klar wurde, dass ich reden muss. Über meine Ängste und Gedanken. Und das notwendig ist, dass jemand anderes zuhört und versteht. Ich habe mich zugemutet und nicht selten war ich nicht mehr als eine Zumutung für mein*e Gegenüber. Zu schmerzhaft, zu wenig optimistisch, zu drastisch. Ich fühlte mich zurückgeworfen in mein ganzes vorangegangenes Leben als Mensch, der schon immer so viel mehr fühlt als viele andere. Über mich zu reden ist kein Klacks. Für andere manchmal unerträglich, wäre es für mich so wichtig gewesen, hätte mensch mir zugehört. Als ich ein Kind war, wenn ich in Not geriet, wenn eigentlich offensichtlich war, dass in mir nichts mehr stimmt.
Über mich zu schreiben und zu sprechen, orientiert mich. Gibt mir Form und Sinn. Ich verstehe mich durchs Erklären und beim Anblick der Menschen, die mir gegenüber sind.

Im Krankenhaus erschuf ich mir deshalb ein Mantra.

Hör' nicht auf, zu reden.

So lautete es und manchmal waren diese fünf Worte über Stunden hinweg das Einzige, dass ich neben dem Piepsen der Geräte am Krankenbett meines Kindes in meinem Kopf widerhallen hörte. Ich hatte keine Wahl. Ich war kein Kind mehr und meine Not war größer, als alles, was ich kannte.

Ich sprach und sprach. Über mein Kind, seine Krankheit, seine Entwicklung. Über alle Notwendigkeiten, alle Risiken und alle Maßnahmen konnte ich sprechen. Nach und nach auch über mich. Über Ängste, über Tränen, über Verluste und die Gleichzeitigkeit. Ich habe das vier Jahre lang geübt.
Und es wird nie ein Klacks sein.

Im besten Fall hört ein Mensch zu und versteht. Und das macht es machbar.
Das lässt mich aushalten, mich selbst darüber reden zu hören.
Über ein zu kurzes Leben, über Sekundenglück. Über das Beste und Schlimmste. Über Fritzis Sein und ihr Fehlen und über mich, mitten im Tornado. Ich kann das. Und es tut immer weh.

Ich habe einen kleinen Apfelbaum gepflanzt. Und er wird noch lange zittern, wann immer ich darüber spreche, was ich erlebt habe.

Ich möchte ihn hegen und pflegen, diesen Baum. Ich möchte mich sicher dabei fühlen können, darüber zu reden. Und ich werde das hier in unserer Runde tun.

In der Kategorie Aufs Ohr - Ins Herz will ich üben, zu euch zu sprechen. Ich möchte einen Podcast aufnehmen und allein der Mut fehlt mir jetzt noch. Ich habe so viele Ideen. Und ich bin so sicher, dass viele meiner Texte noch einmal ein ganz anderes Level erreichen, wenn sie gesprochen werden.

Bis dahin aber teile ich hier mit euch meine bisherigen Teilnahmen in Podcasts und Interviews von anderen Menschen, die mich eingeladen haben. Nach und nach erscheinen hier also Beiträge zu verschiedenen Möglichkeiten, mich jetzt schon über uns reden zu hören. Und so gut ich kann, erzähle ich euch die Geschichten drumherum.

Ich stärke und nähre den kleinen Apfelbaum, bis sein Stamm ein bisschen stärker ist. Und ich bin sicher, ihr übernehmt das in meiner Abwesenheit - vielleicht helft ihr mir immer mal wieder dabei. Kommt, wir gießen diesen Apfelbaum, bis sein Stamm stabil genug ist. So lange, bis ich aushalten kann, dass er im Wind noch immer zittert - weil ich weiß, dass er nicht bricht.

Tópico Aufs Ohr - Ins Herz

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