Adventskalender - 24. Türchen: Ein Trikot unterm Christbaum
von Sebastian Böhm
Hinter dem 24. Türchen des bisslHockey-Adventskalenders findet Ihr Vater und Sohn beim Eishockey, die Kampfkarpfen Fürth, Check Noris und ein ganz besonderes Trikot unterm Christbaum.
Bildquelle: Thomas Hahn
Ziemlich sicher gab es noch anderes Zeug, vielleicht die erste Compact-Disc-Anlage samt den Greatest Hits von Jimi Hendrix. Na ja, besser als Ace of Base oder Blümchen. Vielleicht ein Basketballtrikot, mit großer Wahrscheinlichkeit ein bis drei Bücher – und vieles weiteres, worüber sich ein 14-Jähriger gefreut oder wofür sich ein 14-Jähriger zumindest höflich lächelnd bedankt hat. Wenn der Baum dann irgendwann doch in den Ständer gezwängt war, entwickelte sich Weihnachten im Hause Böhm immer zu einem fröhlichen, ganz wundervollen Fest, so wie Weihnachten immer und überall sein sollte. Wirklich erinnerlich ist mir vom Heiligabend 1991 aber nur ein Schal geblieben, rot und blau, warm, auffällig, nicht wirklich schön und doch etwas ganz Besonderes.
Denn als Fans hatte man Vater und Sohn bis dahin nicht erkennen können. Trikots wurden im Lindestadion zwar auch schon von Zuschauern getragen, so omnipräsent wie heute waren sie nicht. Und von uns erst recht nicht. Wir standen nicht gedrängt im Fanblock, nicht einmal auf der Gegengerade. Wir standen auf einer Holztreppe im Eck unter der Schlittschuhschleiferei, neben den Augsburgern und Bayreuthern und später neben den Frankfurtern und Landshutern. Irgendwie war das angemessen, mein Vater und seine Freunde hatten diese paar Stufen schließlich zum Objektivblock erhoben. Das war ein schamloser Euphemismus, denn natürlich waren allein die Bayreuther, Augsburger, später die Landshuter und Frankfurter verschlagen, unfair und boshaft, während die Achtzger edel und anständig für den sportlichen Erfolg kämpften - und zusammen mit dem pöbelnden Objektivblock gegen die Inkompetenz der Schiedsrichter.
Der Schal änderte daran nichts. Nur war ich fortan als Fan des EHC 80 zu erkennen – selbst für die Kurzsichtigsten und Betrunkensten, so wie im Curt-Frenzel-Stadion nach einem glorreichen 3:2. Verpissen sollte sich mein 14 Jahres altes Ich da, und zwar schnell, „du und deine Polen“. Es ist überflüssig zu erwähnen, dass ein Pole damals im Nürnberger Aufgebot nicht zu finden war. Mein Vater hingegen blieb in zivil, bis heute. Ein Trikot aber will er sich kaufen, wenn die Ice Tigers Deutscher Meister werden. Und so enttäuscht er 1999 und 2007 auch gewesen sein mag, insgeheim war er vielleicht ganz froh, nicht künftig im Peltonen- oder im Savage-Trikot zum Eishockey gehen zu müssen.
Ich habe Trikots im Keller hängen – von den Fürth Bullfrogs (Böhm), von Check Noris (Böhmsson) und den Kampfkarpfen Fürth (Böhm), von Preussen Berlin (Malo), von den Boston Bruins (Al Iafrate) und den Edmonton Oilers (Doug Weight). Aber keines von den Ice Tigers, keines vom EHC 80. Lange hat mich beschäftigt, für welchen Spieler ich mich entscheiden würde, Thompson oder Karpuk, Garvey oder Droppa. Doch als ich mir selbst hätte eines leisten können, war ich vom Objektivblock bereits auf die Pressetribüne weitergezogen. Trikotsdesigns bewerte ich auch trotzdem wie ein Grönländer Flip-Flops. Es wird in meinem Leben keine Gelegenheit mehr geben, ein Eishockey-Trikot zu tragen. Selbst die schönen Kampfkarpfen-Trikots habe ich viel zu lange nicht mehr vom Bügel gezogen.
Eine Woche vor Weihnachten habe ich mit dem Kapitän der Ice Tigers Mittag gegessen. Er hat das Vitello tonnato empfohlen, eine Pizza und das Tiramisu. Ich habe Lasagne bestehlt, das billigste Gericht auf der Tafel. Es war nicht der Anlass für ein dreigängiges Festessen und er ließ sich nicht daran hindern, die Rechnung zu übernehmen. Vor der Lasagne hat Patrick Reimer erzählt, warum er nicht mehr Eishockey spielen wird. Er hat nicht erzählt, dass er nicht mehr Eishockey spielen will, denn das wäre eine Lüge gewesen. Patrick Reimer hat eine Entscheidung getroffen, weil er nicht wollte, dass andere diese Entscheidung treffen, dass er irgendwann zu einer Entscheidung gezwungen wird.
Am Ende des Interviews habe ich Reimer gefragt, was den Blödsinn ersetzen kann, der in einer Eishockeykabine erzählt wird, die Running Gags, die Unkorrektheiten, den Zusammenhalt. So viele Eishockeyprofis hatten mir am Ende ihrer Karrieren gesagt, dass sie vor der Stille Angst hätten. Dass sie wahrscheinlich vermissen werden, was von außen so langweilig erscheint, die Busfahrten, das Rumhängen vor Spielen, die Routine. Reimer hat all das bestätigt. Ich glaube aber, dass er das Spiel am meisten vermissen wird.
Reimer ist nicht Nationalspieler, Kapitän von Team Germany, Spieler des Jahres und Rekordspieler geworden, weil er der Disziplinierteste und Fleißigste war. Sondern weil ihn die Liebe zum Spiel hat hart arbeiten lassen. Das war sein Wettbewerbsvorteil, sein USP. Er wollte immer spielen – und immer gewinnen. Das will er immer noch. Bei den Ice Tigers wollte er es zwischendurch zu sehr. So wie in der Verlängerung gegen Schweden. Da zahlte sich sein Willen aber aus. Da wurde er einmal belohnt. Da trafen einmal seine Beharrlichkeit und das Glück aufeinander. Er hat schönere, raffiniertere Tore geschossen. Dieses eine aber war wichtiger als jedes andere. Dass er nach dem Finale drei Jahre jeden Tag an die letzten zwei Minuten der regulären Spielzeit gedacht hat, an das Power-Play, den Ausgleich, die Verlängerung, seine Strafe, die Niederlage – auch das ist Reimer. Dass er danach das Spielbrett nicht abgeräumt hat, sondern sich selbst und seine Kollegen gezwungen hat, diese Silbermedaille, diese unwahrscheinliche Errungenschaft zu feiern, zu umarmen, das hat ihn wahrscheinlich selbst überrascht.
Das Ende war erwartungsgemäß unschön, aber natürlich hat Eishockey-Nürnberg Thomas Sabo einiges zu verdanken. Das Winter Game. Drei Halbfinals. Relevanz. Den Sonderflug nach Oulu. Vieles war fucking awesome. Manches eher nicht. Letztlich aber hat Nürnberg diesem einzigartigen Geschäftsmann aus Lauf zu verdanken, dass einer der größten Spieler der deutschen Eishockeygeschichte nicht mehr zuerst mit der Düsseldorfer EG in Verbindung gebracht wird oder dem ESV Kaufbeuren, sondern mit den Ice Tigers. Reimer hätte Deutscher Meister werden können, dass er das in und mit Nürnberg schaffen wollte, spricht gegen den Profi, aber für ihn als Menschen und Sportler.
Während des ersten Drittels des Retro-Spiels gegen München habe ich ein Trikot bestellt - nicht mir, sondern meinem Vater. Wenn es nach Tom Rowe geht, erlebt er die erste Meisterschaft der Ice Tigers bei bester Gesundheit. Aber als ich dieses sehr schöne Trikot live und in Farbe gesehen hatte, wusste ich, dass ich seinen eigenen Wunsch ignorieren musste. Man wird meinen Vater in der Arena künftig in einem Trikot sehen. Der stets unterschätzte Mebus wäre möglich gewesen, der Nürnberger Treutle, der sehr lässige Stoa oder der ebenfalls sehr eigene Schmölz. Aber eigentlich war klar, welchen Namen und welche Nummer dieses Trikot tragen muss.
Ziemlich sicher bekommt mein Vater an Weihnachten 2022 noch anderes Zeug geschenkt. Aber ich würde mich freuen, wenn er sich irgendwann vor allem an seinen Reimer erinnern wird.
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