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Attualità aus Italien ⁄ Gedenktag für die unschuldigen Opfer der Mafia

📍Roma

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

eccomi, schon wieder ich in eurem Postfach. Ein zweites Mal diesen Monat. Es ist so viel passiert, dass ich nicht anders konnte und doch noch einen zusätzlichen Newsletter verschicken wollte.

Im vorletzten Newsletter schrieb ich über die, aus meiner Sicht, mangelhafte Aufarbeitung Italiens mit dem Faschismus. Ich schrieb auch, dass mir friedliche Demos, wie es sie etwa in München vor den Wahlen gab, in Italien fehlten. Heute startet mein Newsletter in Rom. Dort war es letztes Wochenende so weit: etwa 50.000 Menschen versammelten sich in Rom auf der Piazza del Popolo zu einer Kundgebung für den Zusammenhalt Europas. Von einer “marea blu” (Abre numa nova janela), war in den italienischen Tageszeitungen die Rede, von einer blauen Flut, die sich auf dem Platz versammelte. Blau, weil fast alle Menschen mit der Europaflagge geschmückt auf den Platz kamen. Das sah dann so aus (auf das Bild klicken, um zum Post zu kommen):

(Abre numa nova janela)

Initiiert wurde die Demonstration vom Journalisten Michele Serra und mit Unterstützung des römischen Bürgermeisters Roberto Gualtieri organisiert.

Außerdem: Kritik und ein Überwachungsskandal
Und nicht nur die Kundgebung in Rom hat in Italien für viel Gesprächsstoff gesorgt. Der Guardian (Abre numa nova janela)schrieb über den Bericht der Europäischen Union für bürgerliche Freiheiten (Liberties (Abre numa nova janela)). In diesem hieß es, unter anderem, Italien sei neben Bulgarien, Kroatien, Rumänien und der Slowakei einer von fünf Staaten in Europa, welche die Rechtsstaatlichkeit in fast allen Aspekten systematisch und vorsätzlich untergraben (Abre numa nova janela). Forscher wiesen darauf hin, dass die Regierung von Giorgia Meloni Vorschläge ausgearbeitet habe, um dem Justizministerium unbeschränkte Befugnisse gegenüber den Staatsanwälten zu geben, was die politische Kontrolle über die Justiz verstärken würde. Die italienischen Autoren wiesen auch auf „beispiellose Eingriffe in die öffentlich-rechtlichen Medien“ hin. Als Beispiel nannten sie die Zensur des „antifaschistischen Manifests“ des Autors Antonio Scurati und die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen den Moderator der Talkshow, in der die Rede gehalten werden sollte.

Für Empörung sorgte vor Kurzem auch der Überwachungsskandal um den Journalisten Francesco Cancellato. (Abre numa nova janela) Er wurde mit der Spionagesoftware Graphite (welche zur US-israelischen Firma Paragon Solutions gehört) ausgespäht. Cancellato ist Chefredakteur von fanpage.it (Abre numa nova janela), einem (investigativen) Nachrichtenportal, das eine junge Leserschaft hat. Als Journalist berichtet Cancellato über Korruption und Rechtsextremismus. Für Aufsehen hatte die Recherche von Cancellato und fanpage.it (Abre numa nova janela) über die Jugendorganisation der Regierungspartei von Giorgia Meloni (gioventù nazionale) gesorgt.
Übrigens: Auf der Rangliste der Pressefreiheit belegt Italien Platz 46 von 180. (Abre numa nova janela)

Femizid als eigener Straftatbestand
In Deutschland machte vor zwei Wochen auch diese Nachricht die Runde: Italien erkennt Femizide nun als eigenes Verbrechen im Strafgesetzbuch an. Das bedeutet: wer einen Femizid verübt, bekommt eine lebenslange Freiheitsstrafe.

Einerseits ist das ein guter Fortschritt, andererseits, und dieser Aspekt kommt manchmal zu kurz: Gesetze allein lösen das Problem nicht. Das kritisierten auch Opferorganisationen. Sie sagen, dass die rechte Regierung unter Meloni lieber nur auf Bestrafung setzt, statt sich zusätzlich auch um Aufklärung, Prävention und Maßnahmen in der Gesellschaft zu bemühen.

21 marzo
Gedenktag für die unschuldigen Opfer der Mafia
© Archivio Letizia Battaglia

Auf diesem Foto von Letizia Battaglia ist Rosaria Costa Schifani zu sehen. Sie ist die Witwe von Vito Schifani, ein Personenschützer, der beim Attentat am 23. Mai 1992 auf den Richter Giovanni Falcone ums Leben kam. Vito Schifani ist eines von unzähligen schuldlosen Opfern der Mafia.

Der heutige 21. März ist in Italien der Tag des Gedenkens und des Engagements für die unschuldigen Opfer der Mafia (Giornata nazionale della memoria e dell'impegno in ricordo delle vittime delle mafie). Er ist zugleich auch ein Zeichen der Zivilgesellschaft für Widerstand und Hoffnung. In Italien ist dieser Tag sehr präsent, überall im Land finden Gedenkveranstaltungen statt. Listen mit den Namen der unschuldigen Opfer werden verlesen. In Deutschland setzt sich der Verein mafianeindanke e.V. (Abre numa nova janela) für die Bekämpfung organisierter Kriminalität ein und begeht den Gedenktag mit der Zivilgesellschaft.

Denn ja, auch in Deutschland operiert die Mafia. Vermutlich hat sie hierzulande ein noch einfacheres Spiel als in Italien. Deutschland ist quasi ein Paradies für Geldwäsche. Wie das mit dem Immobilienmarkt und hohen Mietpreisen zusammenhängen könnte, zeigt eine neue Studie der Universität Trier (Abre numa nova janela). Dass das so ist, hat unter anderem damit zu tun, dass die Gesetzeslage in Deutschland eine andere als in Italien ist. Dort gibt es nämlich die sogenannte Beweislastumkehr. Beschuldigte müssen demnach die legale Herkunft der eigenen Vermögenswerte nachweisen, anstatt dass die Ermittlungsbehörden die illegale Herkunft nachweisen müssen. Seit 1992 gibt es diesen Grundsatz im italienischen Recht und er hat sich insbesondere bei der Bekämpfung von Geldwäsche bewährt.

Auch in Deutschland gibt es Opfer der Mafia

Zurück zum Gedenktag. Ich telefoniere mit Sandro Mattiol (Abre numa nova janela)i. Er ist Journalist und Autor und außerdem Vorstand von mafianeindanke e.V. (Abre numa nova janela) Er sagt: “In Deutschland fehlt ein Verständnis dafür, dass die Mafia Opfer fordert. In Italien gibt es eine sehr hohe Sensibilität dafür. Gemeint sind auch indirekte Opfer. Das können in Deutschland beispielsweise Mieter sein, weil durch das schmutzige Geld, das auf dem Mietmarkt gewaschen wird, die Mietpreise steigen.”

Mordopfer der Mafia gebe es in Deutschland aber auch. “Allerdings werden in diesen Fällen die Mitglieder von Mafiaclans gerichtlich nicht als solche gewertet. 2021 taucht die Mafia zum ersten Mal juristisch in einem Urteil auf (Abre numa nova janela). Man tut sich schwer, mafiöse Strukturen zu bestrafen, obwohl in Deutschland die Bildung einer kriminellen Organisation strafbar ist”, sagt Mattioli.

Wo der Spaß aufhört: Das Spiel “La Famiglia”
Mit Sandro unterhalte ich mich außerdem noch über ein anderes Thema, das Anfang des Jahres in Italien, aber auch in Deutschland für Gesprächsstoff gesorgt hat. Das Gesellschaftsspiel „La Famiglia: The great mafia war“ . Entwickelt und konzipiert von einem deutschen Spieleerfinder.

“Spiele und Filme oder Serien können dazu beitragen, ein Bewusstsein für die Bedrohung durch organisierte Kriminalität zu schaffen. Sobald das aber verharmlost oder glorifiziert wird, ist das ein Problem”, sagt Sandro. Kritik an dem Spiel übten italienische Medien, und auch mafianeindanke e.V. äußerte Bedenken an der Art und Weise, wie das Spiel die Mafia darstelle (Abre numa nova janela). Praktisch jedes Klischee wird aufgegriffen. Besonders schwerwiegend ist jedoch, dass das Spiel den Zweiten Mafia-Krieg in Sizilien zwischen 1981 und 1984 quasi als Spielkulisse nutzt. Während dieser Zeit kamen, und da sind wir wieder bei den unschuldigen Opfern, viele Menschen ums Leben.

“Unser Verein hat sich mit dem Spielemacher in Verbindung gesetzt. Wir sind mit ihm ins Gespräch gekommen und er konnte unseren Einwand nachvollziehen”, sagt Sandro.

Es ist die Verharmlosung und Normalisierung solcher Darstellungen, die dazu beiträgt, die Gefahren, die von der Mafia ausgehen, kleinzureden. Eine Gefahr, die auch hierzulande auf juristischer und politischer Ebene mehr Aufmerksamkeit erfahren sollte.

Wer sich noch näher mit den Machenschaften der Mafia in Deutschland auseinandersetzen möchte, dem empfehle ich die Lektüre von Sandro Mattiolis Buch Germafia - Wie die Mafia Deutschland übernimmt (Abre numa nova janela).

Roberto Saviano im Literaturhaus in München
Am vergangenen Dienstag stellte Roberto Saviano sein neues Buch im Literaturhaus München vor. Für die Süddeutsche Zeitung war ich vor Ort und berichtete von der Lesung und dem Buch. Den Text könnt hier (Abre numa nova janela) nachlesen (wer kein SZ-Abo hat und trotzdem lesen möchte, schreibt mir bitte).

Shenja Lacher, Roberto Saviano und Maike Albath im Literaturhaus in München. (Ich weiß, das Foto ist schief, scusate)

Ich habe Saviano das erste Mal 2012 im Audimax der LMU gesehen. Damals moderierte Giovanni di Lorenzo seine Lesung. Ich erinnere mich noch daran, wie er auf die Bühne kam, begleitet von drei Leibwächtern. In dem Jahr hatte ich gerade mit dem Studium begonnen und ich verschlang alles, was ich von Saviano in die Hände bekommen konnte. War ich in Italien in einer Buchhandlung, hielt ich zuerst Ausschau nach seinen Büchern.

Und nun, Jahre später, war ich nochmal bei einem seiner seltenen Besuche in Deutschland. Personenschützer waren auch dieses Mal wieder an seiner Seite. In seinem neuen Buch “Treue. Liebe, Begehren und Verrat - Die Frauen in der Mafia” (Abre numa nova janela)beschäftigt er sich mit der Rolle von Frauen und Mädchen in der Mafia. Sie haben vor allem eine Aufgabe: die Nachkommenschaft sichern.

In zwölf Kapiteln - jedes erzählt die reale Geschichte einer Frau - schildert Saviano unterschiedliche Lebensgeschichten der Frauen, Töchter und Schwestern mafiöser Familien. Die Geschichten sind tragisch und brutal. Während der Lesung in München schüttelten die Menschen im Publikum immer wieder entstetzt den Kopf. Würden die Geschichten, die Saviano beschreibt nicht wirklich wahr sein, könnten sie auch aus Thrillern stammen. Leider haben sie sich genauso zugetragen.

Saviano sagt während des Gesprächs einmal, nachdem er von Maike Albath gefragt wird, ob die Frauen innerhalb dieser kriminellen Strukturen denn selbst auch Macht hätten (manchmal haben sie das, sind aber weniger brutal als die Männer): “Wenn die Frauen als Kronzeuginnen auftreten, können sie alles auseinandernehmen. Die Frauen sind das Gedächtnis der Mafia-Familien.” Sich aus einer Mafia-Familie zu befreien ist schwierig. Das zeigt auch die im Buch erzählte Geschichte von Maria Cacciola.

Sie möchte ein freies Leben und vertraut sich der Polizei an, wird in ein Schutzprogramm aufgenommen. Dafür muss sie ihre Kinder zurücklassen. Sie vermisst sie aber so sehr, dass sie sich überreden lässt, zurückzukommen. Das dürfe sie nur, wenn sie ihre Aussagen zurücknimmt, sagt ihr die Familie. Maria willigt ein. Bezahlen wird sie mit dem Tod. In der unerbittlichen Denkweise der Mafia hat sie nämlich ihre Familie verraten. Wenige Tage nach der Rückkehr wird die Frau tot aufgefunden. Sie trank eine Flasche Salzsäure.

Anhand Geschichten wie dieser zeigt Roberto Saviano die krude Denk- und Handlungsweise der Mafia auf und erklärt ein System, das kein Interesse an Menschen oder echten zwischenmenschlichen Beziehungen hat, sondern das Familie und Heirat in erster Linie als Geschäft ansieht. Geheiratet wird in der Mafia nie aus Liebe. Nur aus wirtschaftlichem Interesse.

Das Buch liest sich schnell, Saviano erzählt spannend, fast schon filmisch. Zum ersten Mal aber, mehr noch als bei seinen anderen Büchern aus den letzten Jahren, ist mir bei diesem Buch eine Sache aufgefallen: Robert Saviano kann nicht mehr auf den Straßen recherchieren. Das merkt man diesen Geschichten an, sind es doch alles Fälle aus Vergangenheit, die in Italien zu ihrer Zeit Schlagzeilen gemacht haben. Dennoch verknüpft Saviano hier sein erzählerisches Talent gekonnt mit seinem Experten-Wissen, um die “Logik” der Mafia zu erklären.

Zum Schluss eine ergänzende Serienempfehlung, passend zum Thema: The Goodmothers auf Disney+. (Abre numa nova janela)

Diesen Monat gab es 2x autostrada del sole in eurem Postfach. Wir lesen uns im April wieder. Vielleicht auch mit einer Neuigkeit. Ideen gibt es gerade ganz viele. Und falls ihr selbst einen Wunsch habt oder Anregungen, schreibt mir.

Bis dahin: Grazie a tutti e tutte für’s Mitlesen und Weiterempfehlen. Als ich letztes Jahr im November gestartet habe, hätte ich nie gedacht, dass hier mal so viele Menschen mitlesen würden. Danke! ❤

Un abbraccio,
Ornella

Links & Quellen

Simone Alliva zur Demonstration in Rom, Tageszeitung Domani (Abre numa nova janela), 15.3.2025 (Italienisch)

Zum Femizid als eigener Straftatbestand, Tageszeitung Domani, 07.03.205 (Abre numa nova janela)

Liberties Rule of Law Report 2025 (Abre numa nova janela)

Reporter Ohne Grenzen zum Überwachungsskandal in Italien (Abre numa nova janela), 05.03.2025

Roberto Saviano stellt sein neues Buch vor, Süddeutsche Zeitung (Abre numa nova janela), 19.03.2025

Geldwäsche lässt Preise für Immobilien steigen, Tagesschau 20.03.2025 (Abre numa nova janela)

Gericht fällt erstmals Urteil zur 'Ndrangheta, Tagesschau (Abre numa nova janela)

Buch von Sandro Mattioli: Germafia - Wie die Mafia Deutschland übernimmt (Abre numa nova janela)

Neues Buch von Roberto Saviano, Hanser-Verlag (Abre numa nova janela)

Wer schreibt?

Ciao, ich bin Ornella und die Autorin hinter autostrada del sole.
Mit diesem Newsletter möchte ich ein vielschichtiges Bild von Italien zeigen. Abseits von vino, dolce vita und amore. Tipps für Reisen wird es bei mir also nicht, oder, wenn überhaupt, nur in Ausnahmefällen geben.
Stattdessen möchte ich Themen aus Italien aufgreifen, die in Deutschland in dieser Form weniger sichtbar sind. Ich möchte in die Tiefe gehen, euch mitnehmen nach Italien zu Menschen, Geschichten, Orten und Dingen, die ich erzählenswert finde, und euch dazu einladen, auf dieses Land ohne romantisierende Sonnenbrille zu schauen. Und wer weiß, vielleicht entdeckt ihr Italien dann von einer anderen, neuen Seite (und könnt mit dem Wissen beim nächsten Urlaub punkten)?

Foto: Jacky Huynh

Ich bin Tochter und Enkelin italienischer (Gast)arbeiter aus Sizilien, arbeite als Journalistin für verschiedene Medien (u.a SZ, fluter, The Weekender, etc.) und bin zweisprachig aufgewachsen. Studiert habe ich Italienische und Romanische Philologie. Schon immer bewege ich mich viel, bedingt durch meine Familiengeschichte, zwischen Deutschland und Italien. Ich kenne beide Länder sehr gut, bin in München und Süditalien Zuhause. Aus dieser Perspektive heraus möchte euch mitnehmen nach Italien. Schön, dass ihr dabei seid. 💙

Anmerkungen, Wünsche, Kritik, Liebesbriefe 💌 gern an: kontakt@ornellacosenza.com (Abre numa nova janela) oder via Instagram @ornella.cosenza (Abre numa nova janela)

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Lesungen

4. April 2025, 20 Uhr, Stadtbibliothek im HP8, München
»Und so blieb man eben für immer«
Lesung, Gespräch und Buchvorstellung (Abre numa nova janela)
Gemeinsame Lesung mit Jehona Kicaj (Abre numa nova janela)und Barış Yüksel (Abre numa nova janela)
**Eintritt frei, keine Voranmeldung**