Von Frauen und Inseln
📍un po' dappertutto / ein bisschen überall
📍Italienische Inselgruppen
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
in Italien schenkt man Frauen zum Frauentag einen Mimosenzweig. Ich liebe die strahlenden Mimosen und freue mich über Blumen. Am meisten aber freue ich mich an allen anderen Tagen darüber.
Ich könnte nun den 8. März zum Anlass nehmen, um über die Bedeutung des Frauentags in Deutschland und Italien zu schreiben. Ich könnte jetzt auch aufzählen, wie viele Femizide es seit dem 1. Januar in Deutschland und Italien gab. Nur bin ich müde davon. Ich bin müde von den halbnackt herumtänzelnden Veline auf Canale 5 in der italienischen Satire-Show Striscia la notizia, die mir schon als kleines Mädchen ein fragwürdiges Frauenbild als Abendprogramm auftischten. Ich bin müde davon, immer irgendwo reinpassen zu müssen. Müde davon, ein komisches Gefühl zu haben, wenn ich nachts alleine heimfahre.
Ich bin müde davon, dass die Gesellschaft von mir erwartet, dass ich hübsch, aber nicht zu schön, intelligent, aber nicht zu klug, laut, aber nicht zu sehr raumeinnehmend, höflich, aber nicht zu zurückhaltend, attraktiv aber nicht zu freizügig sein soll und so weiter… ihr wisst schon. Ich könnte diese Liste jetzt noch fast bis ins Unendliche weiterführen. Aber davon seht und lest ihr auf Social Media heute mit Sicherheit schon genug.
Der heutige Newsletter ist ein bisschen anders als sonst und nicht an einen konkreten Ort gebunden.
In der ersten Hälfte bin ich erst un un po' dappertutto, ein bisschen überall in Italien. Der zweite Teil des Newsletters ist ein kleines Inselhopping 🏝️.
Die wichtige Gemeinsamkeit: Im Mittelpunkt stehen heute die Arbeiten und Projekte von drei Frauen, die mich in den letzten Wochen inspiriert oder beschäftigt haben.
Hure oder Heilige
An dieser stelle möchte ich heute ein Buch empfehlen: Hure oder Heilige - Frau sein in Italien (Abre numa nova janela) von Barbara Bachmann (Abre numa nova janela)und Franziska Gilli (Abre numa nova janela).
Ich schätze die Arbeit dieser beiden Frauen sehr. Übrigens gibt es das Buch auch auf Italienisch und zwar hier (Abre numa nova janela). Erschienen ist es vor knapp vier Jahren und noch immer ist es, wie ich finde, aktuell. Denn genau wie die beiden Autorinnen im Vorwort schreiben: „…in wenigen Ländern Europas sind derart festgefahrene weibliche Stereotype so weit verbreitet wie in Italien.“
Barbara Bachmann, Journalistin, und Franziska Gilli, Fotografin, recherchierten drei Jahre für dieses Buch. Sie trafen Frauen und Männer, reisten dafür quer durch Italien. Herausgekommen ist eine Publikation, die einen Blick in die Vergangenheit der italienischen Gesellschaft wirft (etwa den Einfluss des Faschismus auf Rollenbilder) und die Gegenwart kritisch hinterfragt (z.B. wie die katholische Kirche bis heute in Italien patriarchale Strukturen stark prägt).
Man darf sich nun kein trockenes Theoriebuch vorstellen. Bachmann und Gilli sind nämlich, und das machte dieses Buch so spannend für mich, nah an den Menschen, mit denen sie gesprochen haben. Da ist zum Beispiel die Geschichte von Francesca, einer jungen Frau, die mit 13 Jahren magersüchtig wird und nach ihrem Platz in einer Welt und einem Land sucht, die voller Widersprüche sind, wie sie selbst auch manchmal.
Die sieben Kapitel des Buches orientieren sich an den sieben Todsünden (Kirche…!). Sie lassen sich sowohl chronologisch, als auch unabhängig voneinander lesen. Mehr möchte ich jetzt gar nicht mehr verraten. Einfach nur große Leseempfehlung.

„Jede Insel ist eine Welt für sich“
Nun möchte ich Ihnen die Arbeit einer dritten Frau vorstellen: Corinna Del Bianco. Kennengelernt habe ich sie im Italienischen Kulturinstitut in München (Abre numa nova janela). Dort stellt sie aktuell (noch bis 19. März) Fotografien ihres Langzeitprojekts Archipelago (Abre numa nova janela)aus. In München sind unter dem Titel In-Between Aufnahmen aus Archipelago zu sehen, die italienische Inselgruppen dokumentieren: Zehn Inseln aus dem Toskanischen und Kampanischen Archipel, die Äolischen und Ägadischen Inseln, sowie die Insel Pantelleria.

Corinna Del Bianco (Abre numa nova janela)ist Post Doctoral Researcher und Dozentin für Städtebau am Politecnico in Mailand. Sie forscht zur kulturellen Identität von Orten. Ihr Schwerpunkt liegt dabei auf der Wohnkultur in selbst geschaffenen städtischen Umgebungen. Ihr Langzeitprojekt Archipelago (Abre numa nova janela) gibt es seit 2018. Ziel des Projekts ist es, die Vielfalt der Inseln im Mittelmeer zu dokumentieren.
Sie beschäftigt sich dabei hauptsächlich mit Insel-Architektur und der Beziehung zwischen Bauwerken, Land und Meer. Ihre Arbeit zeit gleichzeitig auch den Wandel durch Auswanderung und Tourismus, dem die Inseln und ihre Bewohner und Bewohnerinnen unterworfen sind. Mit dem Projekt möchte Corinna Del Bianco mitunter auch ein Bewusstsein für die Geschichte, die lokale Produktionsweisen und die damit verbundenen kulturellen Identitäten der jeweiligen Inseln schaffen.
Zu Archipelago (Abre numa nova janela)habe ich ihr ein paar Fragen gestellt und vielleicht bekommt der eine oder die andere nach diesem Kurzinterview Lust in München die Ausstellung zu besuchen?
Ornella Cosenza: Sieht man deine Fotos im Italienischen Kulturinstitut in München, bekommt man Lust auf eine Reise ans Meer. Bei Archipelago, deinem Langzeitprojekt, geht es aber nicht um Urlaub...
Corinna del Bianco: Archipelago ist ein Projekt, das die Vielfalt der Mittelmeerinseln dokumentieren soll. Es ist in einer Zeit entstanden, in der ich mit einem Segelboot unterwegs war, meinen Segelschein gemacht habe und zwischen verschiedenen Inseln geübt habe. Ich wurde ich neugierig auf die Geschichte der Inselgemeinschaften und die Art und Weise, wie sie es geschafft hatten, synergetische Beziehungen mit der Umwelt zu schaffen, sowohl auf dem Land als auch im Meer. Jede Insel hat andere geografische Gegebenheiten, eine andere Geschichte und andere Ressourcen, aber sie alle sind durch die Tatsache verbunden, dass sie isoliert sind und daher gezwungen sind, fundiertere Resilienzstrategien zu entwickeln als das Festland. Es gibt zwar mittlerweile viele Strandtouristen auf den Mittelmeerinseln, aber ich hatte den Eindruck, dass nur wenige von ihnen sich fragen, wie diese Inseln 12 Monate im Jahr funktionierten, bevor es dort ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Tourismus gab. Da sind viele Geschichten, die verloren gehen und die es wert sind, erzählt zu werden, um die lokalen Kulturen und ihre Vielfalt aufzuwerten und ihre Erhaltung zu fördern. Archipelago ist ein Projekt, das ich mein ganzes Leben lang durchführen möchte, da es eine großen Anzahl von Inseln im Mittelmeer gibt. Von Jahr zu Jahr arbeite ich dazu in den italienischen Archipelen, und auch in anderen Inselgruppen.

Worauf hast du bei der Aufnahme der Bilder besonders geachtet?
Wenn ich auf einer Insel ankomme, habe ich in der Regel die Monate davor damit verbracht, die Geschichte der Insel und die Spuren der kulturellen Identität zu studieren. Der Schwerpunkt des Projekts liegt auf der Kulturlandschaft und auf der Beziehung der Gemeinschaft zu ihrer Umwelt. Ich konzentriere mich insbesondere auf die Art und Weise, wie die Menschen das Land bewohnen, sei es in Form von Wohnhäusern und architektonischen Formen, bestimmten Siedlungsmorphologien oder Agrarlandschaften.

Der Journalist Marco D'Eramo hat den Tourismus als wichtigste Industrie des Jahrhunderts (Abre numa nova janela)bezeichnet. Wie sichtbar ist dieses Phänomen auf den Inseln, die du besucht hast?
Der Tourismus stellt eine bedeutende Quelle des Wohlstands dar, die es ermöglicht hat, andere, oft anstrengendere und weniger rentable Tätigkeiten aufzugeben. Allerdings hat dieser Wirtschaftszweig auch zur saisonalen Entvölkerung der Inseln und zur Aufgabe ihrer Landwirtschaft beigetragen. Die Inselgemeinschaften schrumpfen, werden zunehmend benachteiligt und nehmen ihre Umwelt selbst immer weniger wahr. Einige Inseln, insbesondere die größeren, schaffen es, eine lebensfähige Gemeinschaft mit grundlegenden Dingen wie Gesundheitsversorgung und Bildungseinrichtungen aufrechtzuerhalten. Andere Inseln hingegen verzeichnen steigende Touristenströme, haben aber zunehmend Schwierigkeiten, die Nachfrage nach Ressourcen zu decken. Wasser ist zum Beispiel ein kostbares Gut, mit dem Einheimische sparsam umgehen. Wenn Touristen kommen, die sich der Ressourcenknappheit auf der Insel oft weniger bewusst sind, gehen diese mit dem Wasserverbrauch meist ganz anders um.
Welche Beobachtungen hast du gemacht und wie können Reisende ihr Verhalten ändern?
Wie ich bereits erwähnt habe, ist jede Inselverbindung einzigartig und historisch in Aktivitäten verwurzelt, die eher meeres- oder landorientiert sein können. Ich lade diejenigen, die sich für einen Besuch entscheiden, dazu ein, sie zu respektieren, indem sie vor ihrer Abreise recherchieren und versuchen, die Geschichte und die Lebensweise der Inselgemeinschaften zu verstehen, die ihre Produktion eher in die eine als in die andere Richtung ausgerichtet haben. Ich bin sicher, dass dies die Erfahrungen der Reisenden bereichern und das Bewusstsein der Inselbewohner schärfen wird.

Welche Gemeinsamkeiten hast du bei den Inseln im Mittelmeerraum festgestellt? Gab es etwas, das dir besonders aufgefallen ist?
Jede Insel ist eine Welt für sich. Trotz ihrer geografischen Nähe und der Homogenität ihrer architektonischen und morphologischen Formen stellt jede Insel eine einzigartige Realität dar, die historisch gesehen ihren eigenen Regeln und ihrer „Endlichkeit“ unterliegt. Leider werden diese Unterschiede heute in den meisten Fällen durch ein gemeinsames touristisches Schicksal zunichte gemacht.
Mehr zu Corinna Del Bianco gibt es auf Ihrer Webseite (Abre numa nova janela) oder auf ihrem Instagram-Profil (Abre numa nova janela). Alles zu Archipelago findet ihr hier (Abre numa nova janela).
➡️ Ausstellung IN-BETWEEN von Corinna Del Bianco (bis 19. März)
📍Italienisches Kulturinstitut München / Istituto Italiano di Cultura Monaco di Baviera (Abre numa nova janela)
🕙 Öffnungszeiten: MO-DO 10-13 Uhr, 15-17 Uhr, FR 10-13 Uhr. Eintritt frei.

Ciao, ich bin Ornella und die Autorin hinter autostrada del sole.
Mit diesem Newsletter möchte ich ein vielschichtiges Bild von Italien zeigen. Abseits von vino, dolce vita und amore. Tipps für Reisen wird es bei mir also nicht, oder, wenn überhaupt, nur in Ausnahmefällen geben.
Stattdessen möchte ich Themen aus Italien aufgreifen, die in Deutschland in dieser Form weniger sichtbar sind. Ich möchte in die Tiefe gehen, euch mitnehmen nach Italien zu Menschen, Geschichten, Orten und Dingen, die ich erzählenswert finde, und euch dazu einladen, auf dieses Land ohne romantisierende Sonnenbrille zu schauen. Und wer weiß, vielleicht entdeckt ihr Italien dann von einer anderen, neuen Seite (und könnt mit dem Wissen beim nächsten Urlaub punkten)?

Ich bin Tochter und Enkelin italienischer (Gast)arbeiter aus Sizilien, arbeite als Journalistin für verschiedene Medien (u.a SZ, fluter, The Weekender, etc.) und bin zweisprachig aufgewachsen. Studiert habe ich Italienische und Romanische Philologie. Schon immer bewege ich mich viel, bedingt durch meine Familiengeschichte, zwischen Deutschland und Italien. Ich kenne beide Länder sehr gut, bin in München und Süditalien Zuhause. Aus dieser Perspektive heraus möchte euch mitnehmen nach Italien. Schön, dass ihr dabei seid. 💙
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4. April 2025, 20 Uhr, Stadtbibliothek im HP8, München
»Und so blieb man eben für immer«
Lesung, Gespräch und Buchvorstellung (Abre numa nova janela)
Gemeinsame Lesung mit Jehona Kicaj (Abre numa nova janela)und Barış Yüksel (Abre numa nova janela)
**Eintritt frei, keine Voranmeldung**