Von allem etwas
Nach der Weihnachtspause werfe ich, ähnlich wie Janus, gleichzeitig einen Blick zurück und nach vorne in die Zukunft. Auf meinen Newsletter erhalte ich immer mehr Resonanz. Das ist schön und läßt für das Neue Jahr 2022 hoffen. Aber es kam auch Kritik. Weniger an den von mir geäußerten Meinungen, mehr jedoch an der Tatsache, dass ich manchem Lesenden im Verhältnis zuwenig von meiner Kunst und Literatur zeige. Eigentlich wollte ich da auch nicht so auf die Pauke hauen, denn wer MICH will, der findet im Internet schon genug Zeug. Andererseits sind doch manche nicht solche Recherche-Freaks wie ich, als alter Journalist, der es immer genauer wissen will. Ich soll liefern! Also, guter Vorsatz für 2022, es kommt noch mehr von mir in Bild und Wort.
Zu den Besonderheiten von Bekanntschaften oder Freundschaften gehört es, dass manche plötzlich versiegen. Da gibt es dann viele Gründe, Streit, Desinteresse oder andere Menschen sind plötzlich wichtiger. Kann man alles nachvollziehen. Dennoch ist es schade, wenn sich Dinge einfach wortlos ändern, weil Gründe oder Wünsche nicht offen angesprochen werden. Das Jahr 2021 sollte uns doch gezeigt haben, dass menschliche Beziehungen es immer wert sind gepflegt zu werden, egal ob jeden Tag oder nur zweimal pro Jahr. Nur Schweigen ist immer schlechter.
Familienbande
Eine bretonischer Kriminalgeschichte...
„Madame, was kann ich für Sie tun?“ sagte Corbeau in seinem Büro zu einer kleinen grauhaarigen Frau in den Siebzigern. Rosette Kermor fingerte nervös an ihrer abgegriffenen schwarzen Lederhandtasche herum und schluckte.
„Es geht um meine Rose.“ Corbeaus Gesicht zeigte Unverständnis. „Meine arme Rose, die vor 25 Jahren getötet worden ist. Und nie ist ihr Mörder, Gott möge ihn verfluchen, gefunden worden. Ich habe in der Zeitung gelesen...“
„Madame, ich bin erst seit fünf Jahren hier in Concarneau. Ich kenne den Fall leider gar nicht.“
Rose Kermor war an einem regnerisch-kalten Herbstmorgen in der Nähe der Criée erstochen worden. Ein betrunkener junger Fischer, Gwenn Le Coz, der aus der Bar Le Jockey gekommen war, hatte in der Nähe einen Mann weglaufen sehen. Er hatte den Mann als Yann Nicoëll beschrieben, den Sohn eines der reichsten Männer der Stadt, der als Fischer begonnen hatte und später aufgestiegen war zum Miteigentümer der Reederei Nicoëll&Alava. Doch Yann Nicoëll bestritt die Tat, sein Vater gab ihm ein Alibi, angeblich war er zuhause gewesen, der junge Fischer zog ein paar Tage später seine Aussage zurück, und der Untersuchungsrichter in Quimper hatte, nachdem weitere Ermittlungen ergebnislos geblieben waren, den Fall als ungelöst zu den Akten gelegt.
Ungelöste Fälle waren nicht das, woran Corbeau sich gerne die Zähne ausbeißen wollte, aber als Polizisten ließen ihn ungelöste Fälle aus tiefster Überzeugung nicht in Ruhe. So auch hier. Er schickte Madame Kermor zwar mit dem lauen Hinweis nach Hause, dass ein Mord nie verjähre und man bei neuen Erkenntnissen stets weiter ermitteln würde, aber eigentlich sah er noch nicht, was er hier noch tun sollte.
Trotz eines wunderbar gekochten Lieu noir mit einem leichten Muscadet sur Lie und einer Ile Flottante zum Abendessen, schlief er schlecht und sah im Traum ein blutiges Messer aus der Brust eines jungen Mädchens ragen.
Am nächsten Morgen forderte er missgelaunt die Akte des Mordes an Rose Kermor an. Als er drei Tage später den vergilbten Aktendeckel aufschlug, blickte ihn aus einem Porträtfoto das hübscheste Mädchen an, dass er je gesehen hatte. Schwarze Locken, ein ebenmäßiges Gesicht, eine schmale Nase und große Augen unter langen Wimpern. Die Tatortfotos waren weniger schön.
Corbeau las die nächsten zwei Stunden Protokolle und Verhöre, das Übliche wie in jedem Fall. Doch was Corbeau langsam in seinen Bann schlug, das waren die seltsamen Lücken und Ungereimtheiten. Auf Wunsch der Eltern war das Mädchen nicht obduziert worden.
Ein Vermerk des Untersuchungsrichters besagte, dass dies auch nicht nötig gewesen sei, weil die Todesursache doch klar gewesen sei, da der Dolch noch in der Brust des Opfers gesteckt hatte. Auch die Aussage des Fischers wurde nicht weiter beachtet, nachdem er sie zurückgezogen hatte und sich doch nicht mehr an das Gesicht des Mörders erinnern wollte. Seltsam. Die schnelle Einstellungsverfügung. Sehr seltsam.
Auf Nachfrage erfuhr Corbeau, dass der untersuchende Kommissar namens Jehan Galdos direkt nach diesem Fall auf Veranlassung des damaligen Präfekten nach Rennes versetzt worden war. Die ganze Art der Untersuchung des Falles warf in den Augen von Corbeau mehr Fragen auf, als sie beantwortete. Er rief Lieutnant Brissac zu sich.
„Ich habe mir den Fall Rose Kermor noch mal vorgenommen.“
Brissacs Gesicht verdunkelte sich. „Ach Du meine Güte. Das ist doch mindestens 25 Jahre her. Was soll denn da noch ...“
„Der Fall ist in meinen Augen sehr merkwürdig. Bevor ich der alten Dame sage, dass wir den Fall nicht lösen können, möchte ich, dass Sie ein paar Dinge für mich ermitteln.“
Am darauffolgenden Tag erschien Brissac aufgekratzt bei Corbeau und setzte sich ungefragt auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch.
„Also, fangen wir mal mit dem Reeder an. Der alte Francis Nicoëll ist vor fünf Jahren gestorben, sein Sohn Yann hat alles geerbt, und das war nicht wenig. Kurz danach hat er die Reederei nach Guilvinec verkauft. Er wohnt jedoch in Quimper, hat hier noch ein großes Haus in Le Cabellou. Der Fischer Gwenn Le Coz hat nach dem Mord vom alten Nicoëll einen Job auf einem seiner Schiffe bekommen und konnte sich kurz danach bereits ein kleines Häuschen in Tregunc kaufen. Als die Reederei verkauft wurde, haben die neuen Besitzer ihn jedoch entlassen, da er immer noch gerne ein Gläschen zuviel trank. Er ist jetzt arbeitslos. Der Kommissar Galdos, der damals nach Rennes versetzt worden ist, ging vor sieben Jahren in Pension. Der Untersuchungsrichter verzog übrigens fünf Jahre nach dem Mord nach Bordeaux, er ist dort vor zehn Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Der Vater des Opfers, François Kermor, fing an zu saufen und ist zwölf Jahre nach dem Mord ertrunken.“
Corbeau ließ sich alles durch den Kopfe gehen. Das klang eigenartig. Er beschloss, zuerst einmal mit dem pensionierten Kommissar zu sprechen, auch wenn er sich wenig davon versprach.
„Wo lebt dieser Kommissar Galdos denn heute?“
„Keine Ahnung.“ Brissac verzog das Gesicht. Etwas nicht zu wissen, war für ihn wie eine Niederlage. „Ich werde es aber sofort feststellen!“
„Ich bitte darum.“
Eine halbe Stunde später legte ihm Lieutnant Loïc Brissac einen Zettel hin.
„Die Kollegen in Rennes sagten mir, er wäre nach Concarneau zurückgekehrt. War dann ganz einfach, er stand im Telefonbuch, hier, er wohnt in einer Villa in Le Cabellou.“
Als Capitaine Léon Corbeau auf der Halbinsel Le Cabellou in die Rue des Ajoncs einbog und vor dem Haus hielt, staunte er nicht schlecht. Es war eine veritable Villa, mit einem alten Anker neben dem Tor, welches sich auf einen großen Garten öffnete. Aus der ersten Etage hatte man den freien Blick aufs Meer, er wußte, vue mer, c'est cher! Am Eingang glänzte das Messing einer großen Schiffslaterne. Solche Villen waren hier nicht gerade billig und vom Gehalt eines Kommissars sicher nicht so ohne weiteres zu finanzieren. Aber vielleicht hatte der Mann etwas geerbt?
Er sah im hinteren Teil des gepflegten Gartens einen untersetzten grauhaarigen Mann mit einem Stoppelbart und einem vom guten Essen wohl gerundeten Bauch unter dem typischen Ringelhemd an den Rosen herum schnippeln. Er öffnete die Gartenpforte und rief laut.
„Monsieur Galdos?“
Der Mann ließ von den Rosen ab und drehte sich mit abweisender Miene langsam zu ihm um.
„Was wollen Sie? Ich habe keine Arbeit!“ Er hielt Corbeau offenbar für einen der reisenden Handwerker, die im Sommer versuchten, Jobs für Reparaturen an den Ferienhäusern zu bekommen.
„Polizei! Ich bin Capitaine Corbeau aus Concarneau und hätte ein paar Fragen an Sie.“
Jehan Galdos starrte ihn misstrauisch an und stemmte die Hände in die Hüften.
„Ich bin pensioniert. Ich habe mit der Polizeiarbeit nichts mehr zu tun! Ich will nur noch meine Ruhe.“
„Kommen Sie, Monsieur le Commissaire, ein paar Worte unter Kollegen werden Sie doch wohl mit mir wechseln.“
Corbeau ging weiter in den Garten und blieb schließlich vor Galdos stehen. Der rührte sich nicht vom Fleck und knurrte schließlich: „Warum sollte ich? Also, machen Sie es kurz. Worum geht es?“
„Um den Mord an Rose Kermor.“
Galdos erbleichte und wich einen Schritt zurück. Er schwitzte, obwohl es bretonisch kühl war. Schließlich murmelte er: „Keine Ahnung. Wer soll das sein?“
Corbeau runzelte die Stirn. Wenn bisher noch unsicher gewesen war, ob an dem alten Fall etwas faul war, so hatte Jehan Galdos Reaktion ihn nun endgültig überzeugt. Hier war etwas ganz und gar oberfaul.
„Commissaire, keine Spielchen bitte. Sie wissen doch ganz genau, worum es geht, Ihre Reaktion hat Sie soeben verraten.“
„Ich weiß gar nichts. Außerdem ist das ewig her.“ Galdos schob das Kinn trotzig vor. „Ich kann mich an nichts erinnern.“
Corbeau wusste, dass er den Ex-Kommissar zu nichts zwingen konnte. Also beschloss er, ihm etwas Angst einzujagen.
„Der Präfekt kann sie heute nicht mehr schützen. Und ich werde Ihr ganzes Leben auf den Kopf stellen. Glauben Sie mir, ich werde etwas finden.“
„Warum tun Sie das?“ Galdos sackte in sich zusammen. „Ich konnte doch gar nichts gegen die tun.“
„Gegen wen?“
„Sie haben wirklich keine Ahnung, oder?“ Galdos nickte geistesabwesend. „Wenn ich etwas sage, bin ich sofort ein toter Mann.“
Corbeau fragte sich, ob das nun Theater war, um nichts sagen zu müssen, oder ob Galdos wirklich Angst hatte. Und wenn, vor wem? Er musste ihm noch mehr Feuer unterm Hintern machen.
„Wenn Sie wirklich in Gefahr sind, dann sollten Sie mir jetzt helfen. Oder glauben Sie etwa, es wäre unbemerkt geblieben, dass ich mich nach Ihnen erkundigt und Sie nun hier aufgesucht habe?“
Galdos schlug die Hand vor den Mund und wich zurück. Schließlich schien er zu einem Entschluss zu kommen. Er straffte sich und zeigte zum Gartentor.
„Verlassen Sie mein Haus. Ich habe Ihnen nichts zu sagen! Nichts!“
Corbeau zuckte mit den Achseln.
„Sie müssen selbst wissen, was Sie tun. Mein Besuch bei Ihnen wird sicher nicht geheim bleiben.“
Galdos schrie „Merde! Saloppard!“ und verschwand in seinem Haus.
Zurück im Kommissariat befahl Corbeau den Lieutnant Brissac zu sich.
„Ich habe mit diesem Ex-Commissaire Jehan Galdos gesprochen. Er schlottert vor Angst. An der ganzen Sache ist etwas sehr eigenartig. Offenbar hat man damals wirklich etwas vertuscht. Ich wüsste nur zu gern, was und warum.“
Lieutnant Brissac schlug sich mit der Hand auf den Schenkel.
„Nicht mit uns, nicht wahr? Wir werden stochern, bis wir das faule Nest gefunden haben, in dem sich der Mörder verkriecht.“
„Allerdings. Wenn ich mir das so ansehe, hat damals möglicherweise auch der Untersuchungsrichter und der Präfekt mit drin gesteckt. Der ist zwar tot, kann uns so aber nicht mehr daran hindern, zu ermitteln.“
„Wo fangen wir an?“ Leutnant Loic Brissac war nun wie ein hungriger Wolf, der eine Fährte aufgenommen hatte.
„Ich finde die Akten ziemlich dürftig.“ Corbeau blätterte in dem Bericht. „Was ist aus der Tatwaffe geworden? Ich finde keine Hinweise zu Fingerabdrücken. Keine Spuren, die man heute zu einer DNA-Untersuchung verwenden könnte. Nichts. Kannte das Opfer den jungen Nicoëll? Hatte sie etwa andere Feinde? Nichts steht dazu drin.“
„Ich werde alles durchforsten!“ Brissac sprang auf. „Den bekommen wir!“
Capitaine Corbeau führte ein paar Telefonate. Darunter eines mit dem alten Monsieur Le Kinkiz, der ehrenamtlich im Stadtarchiv arbeitete und angeblich jeden Concarnesen und jedes Histörchen der letzten fünfzig Jahren kannte.
„Ja ja, die arme Rose Kermor. Hübsches Ding, ich kann mich gut an sie erinnern. Das war damals eine schreckliche Bluttat. Wirklich ganz schrecklich.“
„Damals hat man den jungen Nicoëll verdächtigt.“
„Ich weiß, aber ich glaube nicht, dass er es war.“
„Warum?“
„Der war und ist ein Waschlappen. Der hatte nicht den Mumm dazu.“
„Erstochen! So was schreit doch geradezu nach einer Eifersuchtstat, finden Sie nicht?“
„Der alte Nicoëll hat damals Spanier beschäftigt. Genaugenommen Basken, wenn Sie wissen was ich meine.“
Offenbar wollte Monsieur Le Kinkiz eine Verbindung zur ETA andeuten, von der man wusste, dass sie ein paar Sympathisanten unter extremen Bretonen hatte.
„Was soll das heißen? Hatte Nicoëll etwas mit der ETA zu tun? Und wenn, was?“
„Kutter haben schon früher mal etwas geschmuggelt. Schnaps, Zigaretten.“ Der alte kicherte. „Natürlich auch Sprengstoff und Waffen, alles war damals möglich.“
Corbeau erschien das doch sehr weit hergeholt. Andererseits hatte er gelernt nichts auszuschließen. Er dankte dem Alten und versprach, sich mit ihm mal auf einen Lambig, dem bretonischen Konkurrenten zum Calvados, zu treffen. Dann kramte er in seinem Notizbuch, bis er eine kaum noch lesbare Nummer fand, die er anschließend wählte. Eine leise Stimme meldete sich.
„Hallo? Hier Léon Corbeau, bist Du es Pierre?“
„Corbeau? Bist Du es, Léon? Wo steckst Du denn? Habe ja ewig nichts mehr von Dir gehört.“
„Ich bin vor ein paar Jahren nach Concarneau versetzt worden.“
„Oh Gott, ins Finistère? Ans Ende der Welt? Du Armer!“
„So schlimm ist es hier gar nicht. Eigentlich habe ich mich hier gut eingewöhnt. Ich mag die Leute.“
„Na gut. Dein Problem. Was willst Du wissen? Du rufst doch nicht einfach nur so an? Crepe Rezepte kenne ich nicht!“
„Da könnte ich Dir helfen. Aber im Ernst, es geht um die Bretonen und die ETA, genaugenommen um kriminelle baskische Aktivitäten hier in Concarneau. Waffenschmuggel übers Meer und so was. Habt Ihr da etwas in Euren Akten? Irgendeinen Namen, einen Verdächtigen?“
Am anderen Ende Ende wurde schallend gelacht, was schließlich in einen heiseren Husten überging. Nach ein paar Sekunden antwortete Corbeaus Freund.
„Eigentlich darf ich Dir dazu gar nichts sagen. Alles rund um die ETA ist super-geheim.“
„Schon gut. Aber wenigstens einen kleinen Hinweis, inoffiziell versteht sich, damit ich irgendwo ansetzen kann. War da vielleicht auch mal ein Kommissar namens Jehan Galdos verwickelt? Vor ungefähr 25 Jahren.“
„Ich schau mal nach und ruf Dich morgen an. Salue!“
Am nächsten Morgen stürmte Lieutnant Loïc Brissac ins Büro.
„Sie werden es nicht glauben. Ich habe den Pathologen aus Quimper aufgetrieben, der damals die Leiche untersucht hat. Er durfte sie zwar nicht öffnen, aber auch oberflächliche Untersuchungen und Röntgenbilder waren möglich. Sie hatte blaue Flecken und eine gebrochen Rippe, offenbar ist sie geschlagen worden. Der Arzt sagt, sie sei auch vergewaltigt worden. Er hat die Ergebnisse noch, mehrere Seiten. Ich werde sie persönlich bei ihm abholen, denn diese Dinge standen nicht im offiziellen Bericht des Untersuchungsrichters.“
Corbeau wunderte sich nicht mehr darüber. Die Bretagne war übersäht mit Geheimnissen und so mancher finsteren Geschichte.
„Wer war eigentlich dieser ominöse Untersuchungsrichter?“
Lieutnant Brissac lachte breit und schlug sich grinsend auf die Schenkel.
„Das wollte ich Ihnen gerade sagen, sozusagen als besonderen Leckerbissen. Er hieß Alberto Urteaga. Netter Name, nicht wahr? Raten Sie mal, er war gebürtig aus dem Pays Basque! Verheiratet war er mit einer ... Leonie Nicoëll, einer Nichte des Reeders. Er lebt allerdings auch nicht mehr, Krebs mit 69 Jahren. Merde.“
Corbeau lief es kalt den Rücken herunter. Das waren nun doch ein paar Zufälle zu viel. Eine Stunde später rief sein Freund Pierre Garotte aus Paris an, der dort beim Geheimdienst arbeitete. Corbeau und Pierre Garotte – er vermutete, dass das ein Deckname war, denn wer hieß schon so - kannten sich von ihrer Zeit beim Militär, dann hatten sich ihre Wege getrennt, aber sie waren in lockerem Kontakt geblieben, nach dem Motto eine Hand wäscht die andere. Gelegentlich jedenfalls.
„Also pass mal auf. Wir hatten damals diesen Francis Nicoëll tatsächlich in Verdacht, Waffen und Sprengstoff für die ETA zu schmuggeln, mit seinen Kuttern quer über die Biskaya. Wir haben ihn aber leider nie in flagranti erwischen können. Einer unserer jüngeren Agenten hatte deshalb Rose Kermor als Informantin angeworben, weil der alte Nicoëll damals scharf auf sie war. Rose hatte nichts für die Basken übrig, denen eins auszuwischen gefiel ihr. Es schien anfangs auch zu klappen, bei einem Schäferstündchen war er nämlich ziemlich angetrunken und brabbelte drauflos. Wildes Zeug. Dummerweise kam unser Verbindungsmann kurz danach bei einem Einsatz in Brest ums Leben, so dass der Kontakt zu Rose abriss. Nicoëll muss wohl irgendetwas gemerkt haben. Kurze Zeit später hörten wir von ihrem Tod.“
„Warum wurde damals denn nichts unternommen? Es war doch ein brutaler Mord!“
„Die Chefs haben es so entschieden und wir hatten an anderer Stelle gerade noch viel größere Probleme. Du weißt, das Grandcroix-Attentat auf den Innenminister, das hat den Präsidenten damals verdammt nervös gemacht. Alles konzentrierte sich deshalb auf Paris. Ein kleiner Mord im Finistère war da sekundär. Das Mädchen tut mir ehrlich leid. Wenn Du den Scheißkerl festnagelst, gebe ich einen aus!“
So war das eben, so blieben Fälle ungelöst und Akten verstaubten. Irgendwo anders ein medienwirksames Attentat und schon war das Schicksal einer kleinen Informantin unwichtig. In Corbeau stieg heiße Wut auf. Er war nicht Polizist geworden, um Akten abzulegen, sondern um Verbrechen aufzuklären und die Täter hinter Gitter zu bringen.
„Die Wette gilt, mon vieux!“
Corbeau berichtete Lieutnant Brissac sofort von seinem neuen Wissensstand.
„Gut, aber was sollen wir tun? Wir haben keine handfesten Beweise, es ist ja auch schon so lange her.“
Sie gingen im „Amiral“ einen Kaffee trinken und sprachen dabei über die Qualität der Austern und ob der neue Poisonnier im Gewerbegebiet bei der Dechetterie etwas taugte. Der Fall wurde als Gesprächsthema ausgeklammert. Als sie zahlten, schnippte Corbeau mit den Fingern.
„Ich hab's. Da wir keine Beweise haben, werden wir den Kerl eben reinlegen. Egal ob der alte oder junge Nicoëll nun der Täter war, wir machen ihnen jetzt Feuer unterm Hintern.“
Der lokale Reporter von der Tageszeitung Le Télégramme war Corbeau noch einen kleinen Gefallen schuldig. Er rief ihn an und diktierte dem Reporter nach einer kurzen Erklärung eine Nachricht, die am nächsten Tag erscheinen sollte.
„Aus gut unterrichteten Kreisen ist zu hören, dass Capitaine Leon Corbeau von der Police Nationale, nach neuen Hinweisen aus dem Hauptquartier der Brigade Opérationnelle Centrale (BOC), die sich geheimdienstlich mit Terrorismus beschäftigt, die Ermittlungen im Mordfall Rose Kermor wieder aufgenommen hat. Offenbar besteht ein konkreter Tatverdacht. Rose Kermor wurde vor 25 Jahren erstochen aufgefunden. Obwohl es damals Verdächtige gab, konnte man nichts beweisen und der oder die Täter wurden nie ermittelt. Damals sollen angeblich sogar polizeiliche Unterlagen verschwunden sein und Einfluss von höherer Stelle zur Einstellungen der Ermittlungen geführt haben. Alle Verdächtigen von damals werden ab sofort erneut überprüft. Nach so langer Zeit dürften sich die Täter jetzt jedenfalls nicht mehr sicher fühlen können. Capitaine Léon Corbeau genießt einen untadeligen Ruf als energischer und erfolgreicher Ermittler.“
Kaum war der Beitrag am nächsten Tag erschienen, rief der Präfekt aus Quimper bei Corbeau an.
„Was soll denn das heißen, Capitaine Corbeau? Einfluss von höherer Stelle? Wie können die Schmierfinken so was behaupten? Meinen die mich?“
„Herr Präfekt, Sie waren damals schließlich noch gar nicht im Amt.“
„Stimmt auch wieder. Aber es klingt eben nicht gut. Wissen Sie mehr?“
„Ich habe wirklich keine Ahnung. Haben Sie denn schon direkt in der Redaktion nachgefragt?“
„Nachfragen? Nein, nein, ich werde mich hüten … dann heißt es doch wieder Zensur … nein, nein, ohne mich!“
Der Präfekt ging nur mit guten Meldungen an die Öffentlichkeit, die weniger angenehmen Dinge sollten an seinen Untergebenen hängen bleiben.
„Sie könnten ja Ihre Meinung dazu in einer eigenen Pressekonferenz ...“
„Um Gottes Willen! Das wäre ja ein gefundenes Fressen für die Presseleute. Nein, nein, kein Kommentar von mir!“
„Sie sehen mich ratlos, Herr Präfekt.“ Corbeau konnte sich dabei ein Grinsen nicht verkneifen. Der verärgerte Präfekt schien das gespürt zu haben und beendete das Gespräch wortlos.
Corbeau rief sofort seinen Redakteurs-Freund an und riet ihm scheinheilig, doch bei der Präfektur einen Kommentar zum Fall zu erbitten. Er würde vermutlich keinen erhalten und könne das dann ja so interpretieren, dass an der Sache offenbar doch mehr dran sein müsse, wenn der Präfekt so zugeknöpft ist. Der Journalist lachte und versprach ihm, es genau so zu machen. Lieutnant Brissac hatte zwischenzeitlich im Umfeld von Nicoëll Vater und Sohn herum telefoniert. Sicher würde die viele Fragerei bis zu den Nicoëlls gelangen und sie aufscheuchen. Jedenfalls hoffte das Corbeau. Er sollte damit Recht behalten.
„Was fällt Ihnen ein, Lügen über mich zu erzählen!“ Eine Frau brüllte mit kratziger Stimme ins Telefon. „Lügner, alle!“ Corbeau blieb gelassen.
„Keine Ahnung mit wem ich die Ehre habe. Wer sind Sie denn?“
„Eloise Nicoëll, wer denn sonst. Sie verunglimpfen die Ehre meines verstorbenen Mannes! Lügen sind alles, Lügen!“
„Ich weiß wirklich nicht, was Sie damit meinen Madame.“ Das brachte sie erst recht in Rage.
„Die Nachbarn tuscheln schon. Überall werden dumme Fragen gestellt.“
„Wenn dem so ist, dient es sicherlich der Wahrheitsfindung.“
„Hah! Wir werden ja sehen!“ Sie legte auf und Corbeau machte sich ungerührt eine Notiz. Wer war Eloise Nicoëll wirklich? Nur brave Ehefrau oder mehr? Hatte sie von der Affäre ihres Mannes mit Rose Kermor gewusst? Er beschloss, der alten Dame mal einen Besuch abzustatten.
Sie wohnte in einem der stattlichen Häuser am westlichen Rand von Concarneau und genoss von dort einen weiten Blick aufs Meer von Fouesnant bis zu den Glénans am Horizont. So was hätte Corbeau sich auch gerne geleistet. Er klingelte und ging zur Haustür. Von drinnen erklang die ihm bereits bekannte heisere Stimme.
„Verschwinden Sie, ich weiß wer Sie sind! Bullen!“
Corbeau klopfte ungerührt weiter an der Tür.
„Madame, soll ich Sie offiziell mit einem Streifenwagen aufs Kommissariat bringen lassen? Wäre Ihnen diese Art Aufsehen lieber, oder wollen Sie lieber hier in Ruhe mit mir sprechen?“
Es dauerte ein paar Sekunden, dann öffnete sich die Tür. Mürrisch sagte Sie: „Kommen Sie rein. Machen Sie die Tür hinter sich zu! Ich dulde keine Unordnung.“
Corbeau sah sich um. Alles war ordentlich und sauber, kein Stäubchen verunzierte die glänzende Kommode im Gang.
„Mit größtem Vergnügen, Madame.“
„Alberne Bemerkungen kann ich auch nicht leiden.“
Er folgte ihr ins Wohnzimmer, wo Sie sich auf einem großen dunkelbraunen Ledersessel nieder ließ und ihn mit einem kurzen Nicken zu einem unbequemen Stuhl dirigierte. Corbeau ignorierte das und ließ sich auf dem näher stehenden breiten Sofa nieder.
Eloise Nicoëll starrte ihn finster aus ihren dunkelblauen Augen an und verschränkte demonstrativ die Arme. Corbeau betrachtete sie einen Moment amüsiert und beschloss dann, nicht lange um den heißen Brei herumzureden. Eloise war eine dieser typischen eisenharten Bretoninnen mit kurz geschnittenen grauen Haaren, sehr praktisch im Sturm. Diese Frauen der Fischer waren es gewohnt die Zähne zusammenzubeißen, die Kinder streng zu erziehen und ihren Männern den beliebten Apfelschnaps Lambig zu verbieten. Letzteres meist erfolglos. Trotzdem die Familie zusammenzuhalten, das war nicht einfach, das machte diese Bretoninnen oft so herb.
„Wussten Sie eigentlich von der Affäre Ihres Mannes mit Rose Kermor.“
Sie machte Anstalten aufzuspringen, ließ ich dann aber mit einem Seufzer in die Tiefen des Sessels zurücksinken.
„Sie sind unverschämt!“
„Ich muss Sie das fragen. Es geht schließlich um Mord. Da kann man keine Rücksicht nehmen.“
Madame Nicoëll machte eine wegwerfende Handbewegung.
„Sie spielte keine Rolle. Nur die Familie zählte! Auch für ihn.“
„Aber er hatte mit ihr doch offenbar … also ich meine ...“
Eloise Nicoëll zupfte an ihrer Bluse und rieb an ihren Ehering.
„Männer sind eben so. Die brauchen das manchmal. Na und?“
Corbeau beugte sich vor und sagte leise: „Eifersucht könnte allerdings ein Mordmotiv sein.“
„Eifersucht? Da hätte ich viele ermorden müssen!“ Sie lachte schallend. „Francis war hinter jedem Unterrock hinterher. So war er nun mal. Solange die Familie an erster Stelle stand, war mir das völlig egal. “ Sie schnaufte und fügte grimmig hinzu: „Was er von diesen Mädchen bekam, das musste ich ihm wenigstens nicht geben. Die Männer sind doch alle Schweine! Kaum lupft so eine Schnepfe den Rock, lassen sie die Hosen runter!“
Corbeau ersparte sich einen Kommentar und betrachtete stattdessen ihr herbes, fast männliches Profil. Das brachte ihn auf einen neuen Gedanken.
„Hatten Sie etwa selbst einen Liebhaber? War Ihnen deshalb alles egal?“
„Ich? Sie träumen wohl! Die Familie war mir nie egal!“
Als er später Lieutnant Brissac davon erzählte, grinste der süffisant.
„Sie hätten sie wohl eher nach einer Liebhaberin fragen sollen.“
„Wirklich? Ist sie lesbisch?“ Daran hatte Corbeau noch gar nicht gedacht.
„Sagen wir mal, es gab Gerüchte, dass Francis Nicoëll sich deshalb so oft woanders bediente.“
Corbeau strich Eloise mit Bedauern von seiner Liste derjenigen, die ein Motiv hatten. Lieutnant Brissac hatte aber noch eine weitere Neuigkeit.
„Ich habe nicht nur in den Akten gewühlt, ich habe mir auch noch einmal den Obduktionsbericht angesehen.“
„Ich denke, es gab gar keine Obduktion.“
„Nein, aber Röntgenaufnahmen hatte man dennoch gemacht. Der Pathologe hatte mit Hinweis auf eine der Aufnahmen an den Rand des kurzen Berichts 'Schwanger?' geschrieben. Ich habe in Quimper nun einen Radiologen gebeten, die Aufnahmen noch einmal genau auf diese spezielle Frage hin zu untersuchen. Er sagt, er habe keinen Zweifel, sie war offenbar schwanger, ca. im 4. Monat.“
„Trotzdem bringt uns das nicht viel weiter. Die ursprüngliche Aussage des Zeugen war doch, das er nicht den Vater, sondern den Sohn Yann Nicoëll vom Tatort hatte weglaufen sehen.“
Brissac lehnte sich zurück und zählte an den Fingern ab.
„Uneheliche Kinder sind erbberechtigt. Das macht Yann Nicoëll als Erben verdächtig und seine Mutter, die natürlich alles ungeteilt für ihren Sohn erhalten wollte, ebenso. Wir könnten auch eine DNA-Untersuchung machen lassen, um sicher zu gehen.“
„Ich dachte, es ist nach so langer Zeit nichts mehr vorhanden?“
„Wenn ein Pathologe nicht untersuchen darf, ist er stinksauer.“ Brissac lächelte harmlos. „Also findet er Mittel und Wege, trotzdem alle Spuren zu sichern, genetisches Material wie Haare, Blut usw. ebenfalls aufzuheben.“
„Was denn? Das hat der Arzt gemacht? Trotz des Verbots durch den Untersuchungsrichter?“
Brissac nickte und hielt Capitaine Corbeau ein Formular hin, in welchem er die erneute Untersuchung aller vorhandenen Spuren beantragte. Corbeau unterschrieb sofort.
„Hoffen wir, dass der heutige Untersuchungsrichter da keine Probleme macht.“
„Ach, mon Capitaine, nach dem Bericht in der Zeitung wird er sich hüten.“
Corbeau ließ aber ein Gedanke nicht los. Was, wenn sie ganz falsch lägen? Wenn Nicoëll gar nicht am Tatort gewesen war? Er rief seinen Journalisten-Freund an und bat ihn um ein paar alte Fotos.
„Hey, das sieht jetzt aber schon ziemlich ernst aus. Ich bring Ihnen die Fotos morgen früh vorbei. Bin gespannt wohin das führt.“
Corbeau rief sodann seinen Geheimdienstfreund Pierre an.
„Sag mal, wie hieß damals der Führungsoffizier von Rose, der, den man in Brest umgebracht hat.“
„Das ist geheim.“ Pierre war äußerst kurz angebunden. „Mit Deinem Presserummel hast Du mir ganz schön Ärger gemacht.“
„Unmöglich. Es gibt keine Quelle, es wurden keinerlei Namen genannt.“
„Stimmt, aber so doof sind meine Vorgesetzten nun auch nicht.“
Corbeau gab nicht auf. „Ich muss unbedingt den Namen dieses Mannes wissen.“
Pierre seufzte. „Ich weiß nicht, was das zu Deinem Fall beitragen soll.“
„Überlass die Zusammenhänge einfach mir.“
„Dein zweiter Vorname ist wohl Dreistigkeit? Na gut. Er hieß … aber das musst Du unbedingt für Dich behalten!“
„Ja, ich schwöre es,“
Als Corbeau den Namen des Agenten hörte, glaubte er sich verhört zu haben.
„Bist Du ganz sicher? Das wäre ja innerhalb ...“
„Eben, das war viel zu riskant. Deshalb wurde Rose Kermor eingesetzt.“
Am nächsten Morgen ließ Corbeau den Ex-Kommissar Galdos zu sich bringen. Der Mann war bleich und knetete seine Hände.
„Was wollen Sie denn noch von mir?“
„Wir haben mittlerweile einige neue Details im Fall Rose Kermor. Diese lassen Ihre damaligen Handlungen allerdings in einem seltsamen Licht erscheinen.“
„Ich habe nichts getan!“
„Genau. Sie haben nichts gemacht, obwohl Sie hätten mehr tun können.“
„Der Untersuchungsrichter hatte befohlen ...“
Corbeau drohte mit dem Zeigefinger. „Nicht doch. Ich denke eher, Sie haben ihm nahegelegt, nichts weiter zu unternehmen.“
„Warum sollte ich das tun?“ Galdos kniff die Augen lauernd zusammen.
„Weil alles in der Familie bleiben sollte.“
„Verstehe ich nicht.“ Die Schweiperlen auf der Stirn straften ihn Lügen.
„Monsieur Galdos, wo sind Sie geboren?“
Galdos schob das Kinn vor. „Was tut das denn zur Sache? In Frankreich, so wie Sie auch!“
„Genau genommen in St. Jean de Luz. Überraschenderweise wurde dort auch der Untersuchungsrichter Urteaga geboren. Und Eloise Nicoëll, geborene Urteaga, auch. Der Untersuchungsrichter Urteaga war bekanntlich ein Neffe von Eloise Nicoëll, exakt der Sohn ihres Bruders. Eine richtige baskische Zelle im Finistère.“
„Na und? Selbst wenn, was soll denn das mit dem Mord an Rose Kermor zu tun haben?“
„Ich komme gleich drauf. Ich fand es jedenfalls sehr interessant, dass Sie am 24. Juni 1986 in Brest waren.“
„Ja, ich war damals der Marine zugeteilt, ich leistete meinen Dienst bei der Militärpolizei. Und, was soll das Ganze heißen?“
Corbeau zog aus den Akten ein Foto hervor. Es zeigte einen jungen Mann in Uniform. Galdos wurde blass und kniff die Lippen zusammen.
„Ich sehe, Sie erkennen ihn. Jean Alava, der einzige Sohn des Partners von Francis Nicoëll. Auch Alava war ein Baske, aber er lehnte vermutlich die Radikalen ab. Solche Typen wie Sie! Typen, die Waffen für Attentate besorgten und Verdächtigte versteckten, und später Mordermittlungen behinderten.“
Galdos hatte sich von seinem Schrecken erholt und verzog seine Miene zu einem schrägen Grinsen.
„Er war ein Volksverräter. Er verdiente den Tod.“ Galdos beugte sich vor und schlug mit der Faust auf den Tisch. „Aber ich habe ihn nicht getötet! Das können Sie mir nicht anhängen.“
„Nein, das war der Mann, den Ihr alle auf baskisch Hiltzaile, den Killer, genannt habt. Nicht wahr?“
Galdos legte seine Hände flach vor sich auf den Tisch und senkte den Kopf und wiederholte: „Ich habe niemanden getötet.“
Corbeau holte ein zweites Foto aus der Akte. Es war eine Aufnahme der Radarüberwachung, eine Leihgabe der Verkehrspolizei.
„Diese moderne Gesichtserkennungssoftware ist wirklich erstaunlich. Eigentlich wären es ja Hunderttausende von Aufnahmen, gewesen, die man scannen musste, aber ich habe die Suche auf den Finistère eingegrenzt und dann ging es viel schneller.“
„Was soll das bedeuten?“ Galdos war verunsichert.
„Naja, Sie und Rose Kermor im selben Wagen? Einen Monat vor Ihrer Ermordung? Seltsam, in ihrem Bericht sagen Sie kein Wort davon, dass Sie Rose vorher bereits kannten.“
„Ich weiß wirklich nicht, was das heißen soll?“
„Wir haben Roses Freunden Ihr Foto gezeigt und man hat Sie sofort wiedererkannt. Sie waren Roses Liebhaber! Sie waren auch der Vater ihres ungeborenen Kindes.“
Galdos wehrte mit beiden Händen ab.
„Nein, das stimmt nicht. Schwanger? Unsinn? Sie war nicht schwanger. Das hätte ich gewusst!“
„Sie haben es gewusst! Rose wollte nämlich geheiratet werden! Aber Sie waren schon verheiratet! Doch da kam Hiltzaile, der Killer, und eröffnete Ihnen, dass er Avala vor seinem Tod gefoltert hatte und der ihm den Namen einer Agentin gegen Euch Basken verraten hat – Rose Kermor. Deshalb musste sie sterben! Praktisch für Sie, nicht wahr?”
“Hirngespinste sind das alles!”
“Sie sind immer schon gerne etwas zu schnell gefahren. Das hat mir die nötigen Indizien geliefert, um weiter forschen zu lassen.”
Corbeau holte weitere Fotos aus der Akte – Brissac war wirklich fleißig gewesen.
“Sehen Sie, das ist ein Foto von Yann Nicoëll. Seine Ähnlichkeit mit Hiltzaile, dem Killer, wäre ihm damals beinahe zum Verhängnis geworden. Denn hier haben wir noch ein schönes Verkehrsüberwachungsfoto von Ihnen und, ja, wer mag das wohl sein? Dieses Foto hat mich überhaupt erst darauf gebracht, dass es eine Familienangelegenheit sein könnte. Allerdings eine ziemlich üble Sippe.”
Galdos war in sich zusammensunken und schüttelte immer wieder den Kopf.
“Ich wußte wirklich nicht, dass Rose schwanger war. Ich hätte sie doch geschützt vor dieser Bestie!”
“Ja, die Ähnlichkeit von Yann Nicoëll mit seinem Onkel, dem Untersuchungsrichter Urteaga, oder sollte ich lieber sagen Hiltzaile, der Killer, war schon erstaunlich. Kein Wunder, dass der Fischer Gwenn Le Coz die beiden in der Mordnacht verwechselt hat.”
Jehan Galdos nickte, es war vorbei, er keinen Sinn mehr darin etwas abzustreiten.
“Ich nehme an, Sie kommen mit einem blauen Auge davon. Strafvereitelung im Amt, das ist wohl verjährt. Nur eines wüßte ich gerne. Alle Beteiligten sind doch tot. Wovor haben Sie eigentlich immer noch so eine Angst?”
Galdos hob langsam den Kopf und kicherte histerisch.
“Sie kapieren es immer noch nicht. Hiltzaile hat zwar zugestochen und Avala und Rose getötet, aber der Befehl kam immer von der Chefin. Sie hat stets darauf geachtet, dass alles in der Famlie bleibt, natürlich nur in ihrer Familie.
Sie wollte den alten Avala aus dem Firma drängen, da passte es gut, seinen einzigen Sohn zu erledigen. Rose hat ihr vorgespielt, eine ernsthafte Affäre mit Francis zu haben. Wenn sie schwanger geworden wäre, hätte ihrem Bastard ein Erbteil zugestanden.”
Corbeau zog scharf die Luft ein und erinnerte sich wieder daran, was Eloise Nicoëll gesagt hatte: “Nur die Familie zählt!” Dass sie damit davon kommen sollte, das wurmte ihn besonders.
In diesem Moment riss Lieutnant Brissac die Tür auf.
“Capitaine, Sie werden nicht glauben, was soeben passiert ist. Ein Wagen mit spanischem Kennzeichen hat Eloise Nicoëll überfahren, als sie die Strasse vor ihrem Haus überqueren wollte. Die junge Fahrerin stieg aus, um zu helfen, aber jede Hilfe kam zu spät, Eloise Nicoëll starb wenige Minuten später.”
Corbeau dachte einen Moment nach.
“Lassen Sie mich raten. Die junge Spanierin hieß mit Nachnamen Avala?”
“Woher willen Sie das? Seltsam war nur, dass laut der Zeugen Eloise Nicoëll immer wieder 'Hiltzailea' gestöhnt haben soll. Wissen Sie, was das heißt?”
Corbeau nickte.
“Mörderin!”
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Bretonischer Abend
Ein typisches bretonisches Haus am Meer bei Sonnenuntergang...
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Und noch'n Gedicht ...
Brach liegend
Die leichte warme Brise,
spielte mit ihren Locken,
strich über ihre Wiese,
die morgens noch trocken.
Rasch Nach Hause gehend
sucht der alte Wanderer,
das Haar im Wind wehend,
das letzte Sein als anderer.
Als fällt die rote Sonne,
singt er leis zum Abschied
ihr zur ewgen Wonne
sein letztes Liebeslied.
Sie aber löscht das Licht,
ihr Schoß nicht liegt brach,
dem nächsten jungen Wicht,
dem ergibt sie sich, ach!
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