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Fighting Ansi, finding Ansi

Ich stehe in einem Boxring, mit Handschuhen an den Händen, der Boden voller Blut. Mir gegenüber sehe ich alle Menschen, die mir jemals lieb und wichtig waren. Sie sehen mich vorwurfsvoll an und ich weiß, dass sie einer nach dem anderen gegen mich antreten werden. Doch ich will gar nicht gegen sie kämpfen. Ich will gegen niemanden kämpfen.
Ich blicke mich hilfesuchend um, doch hinter mir ist niemand. Meine Ecke des Boxrings und der dahinterliegende Teil der Arena sind wie ausgestorben. Ich könnte gehen. Doch dann würde ich all die Menschen verlieren. Ich könnte mit Absicht verlieren oder aufgeben, aber auch dann wäre ich sie los. Wie bin ich nur in dieser Situation gelandet? Mir wird schwarz vor Augen, ich sinke zu Boden und die Zeit dreht sich zurück…

Auf einmal stehe ich wieder in einer Ecke in einem Boxring in einer Boxarena. Es ist ziemlich laut, hinter mir müssen viele Leute sein, die auf mich einreden, mich anfeuern und mich heißmachen wollen. Manche Stimmen kommen mir bekannt und vertraut vor, andere habe ich noch nie gehört.
 Ich schaue an mir herab und sehe, dass ich Boxhandschuhe trage. Ich spüre, wie ich nach hinten gezogen und auf einen Hocker gesetzt werde. Von allen Seiten wird an mir gezogen und herumgefummelt. Ich kriege einen Mundschutz in den Mund gestopft, mein Gesicht wird mit Wasser eingesprüht und mein Körper aufgelockert. Ich verstehe nicht genau, was die ganzen Stimmen sagen, aber ich spüre, was sie wollen. Sie wollen, dass ich kämpfe, dass ich zuschlage und vernichte. Eigentlich habe ich wenig Lust darauf, aber alle scheinen es von mir zu erwarten.
Ich hebe zum ersten Mal den Blick und sehe in der anderen Ecke des Ringes eine andere Person. Sie scheint sich in einer ähnlichen Position zu befinden wie ich, auch sie hängt spannungslos in der Ecke und wird von einem Mob bearbeitet, der sie gegen mich aufhetzt. Auch die andere Person hebt nun den Kopf und sieht mich an. Er sieht mir fast ein bisschen ähnlich und ich frage mich, wie es dazu kommt, dass wir zwei uns hier gegenüberstehen.

Eine Glocke ertönt. Ich werde hochgehoben und nach vorne geschubst. Das andauernde Stimmengewirr hinter mir nimmt keinerlei Abbruch, sondern wird sogar noch stärker, als ich langsam einen Schritt nach vorne gehe. Mein Gegenüber tut es mir gleich, seine Schritte ähnlich unsicher wie meine.
Ich schaue in seine Augen und sehe mich selbst. Ich verstehe nicht.

Ich sehe ihn an und will nicht gegen ihn kämpfen. Er ist wie ich, es fühlt sich an, als wäre er tatsächlich ich. Ich lasse die Hände sinken und sehe mich um. Jetzt weiß ich, welche Stimmen mir bekannt vorkamen. Zwischen all den verzerrten Gesichtern sehe ich meine Familie und all die Menschen, die mir wichtig sind. Sie nicken mir aufmunternd und vertrauensvoll zu. Du kannst das. Du wirst es schaffen. Wir stehen hinter Dir.
Ein angenehmes Gefühl breitet sich in mir aus. Ich drehe mich wieder um und erschrecke für einen Moment. Wer auch immer das vorher war, dem ich gegenüberstand, es hat nichts mehr damit zu tun. Ich sehe eine absolut böse, verabscheuenswerte Kreatur. Aufregung und Angst breiten sich in mir aus. Jetzt glaube ich zu verstehen. Ich beginne locker auf den Fußballen hin und her zu wippen, meine Arme auszuschütteln und spüre, wie die Menge hinter mir begeistert brüllt.

Die Kreatur vor mir hat offensichtlich Angst und weicht zurück. Ich spüre Abscheu, fast schon Ekel, wenn ich sie ansehe. Ich atme noch einmal tief durch und dann beginne ich zu kämpfen. Mein Gegner hat keine Chance. Schon mit den ersten Schlägen spüre ich, dass er mir unterlegen ist, sich weder wehren wird noch kann. Er geht nach wenigen Schlägen das erste Mal zu Boden und steht mit wackeligen Beinen wieder auf. Für einen kurzen Moment halte ich inne, doch dann gebe ich mich wieder den Anfeuerungen hinter mir hin und mache weiter. Es dauert nicht lange, vielleicht eine Minute, bis die Kreatur wieder zu Boden geht. Während er fällt, schicke ich noch einen weiteren brutalen Haken hinterher und weiß, dass er nicht mehr wieder aufstehen wird. Ich gehe zurück, in Richtung des tosenden Applauses und fühle mich gut. Ich bin wohl doch ein Boxer, ein Kämpfer, so soll es sich anfühlen. Ich lasse mich auf den Hocker sinken und gebe mich den wohltuenden Berührungen und schmeichelnden Worten hin. Ich sehe, wie mein Gegner aus dem Ring getragen wird und für einen kurzen Moment begegnen sich unsere Blicke. Auf einmal sehe ich wieder mich selbst, tief in diesen dunklen, leidenden Augen. Ein beklemmendes Gefühl überkommt mich und ich will diesen Blick festhalten, genauer hinsehen. Doch in diesem Moment wird mir wieder Wasser ins Gesicht gesprüht und unter den kräftigen Berührungen der Schultermassage vergesse ich wieder.

Es fühlt sich gut an, so umsorgt zu werden, ich fühle mich sicher und wohl.
Doch dann sehe ich wie mir gegenüber eine weitere Person den Ring betritt. Ich muss wohl noch einmal kämpfen. Scheinwerfer leuchten auf, die Glocke ertönt und ich werde wieder in Richtung Ringmitte geschubst. Hinter mir das gewohnte Crescendo an Stimmen und Geräuschen. Ich versuche meinen Gegner zu mustern, allerdings ohne ihm in die Augen zu schauen. Ich will den Schmerz nicht fühlen, wenn ich mich selbst in den Augen erkenne. Er versucht, meinen Blick einzufangen, doch ich drehe mich weg, fange noch einmal die aufmunternden Blicke Menschen hinter mir ein. Mach ihn fertig. Er hat es verdient. Hauptsache ich kann mich schnell wieder in meine Ecke verziehen. Wie lange es wohl dauert, bis ich das hier geschafft habe?

Auch dieser Kampf dauert nicht lange. Ich lasse ihn all meine Wut und Verachtung spüren und genieße den frenetischen Beifall von außen, als ich über dem leblosen Körper stehe und auf ihn herabschaue. Ich fühle mich stark. Als ich mich umdrehe, um in meine Ecke zu gehen, sehe ich aus dem Augenwinkel, wie bereits ein weiterer Gegner den Ring betritt. Ich schaue die Menschen an und versuche herauszufinden, wie oft das noch passieren soll. Einfach weiter. Du machst das gut. Wir unterstützen Dich.

Also geht es weiter, Kraft sammeln für die nächste Runde. Möglichst wenig hinschauen und möglichst viel zuschlagen. Ich fühle mich stark, beinahe unverwundbar. Und trotzdem ist da eine leise Stimme des Zweifels, die möchte, dass ich innehalte. Doch ich höre nicht hin und mache weiter. Nächste Runde, nächster Gegner. Und danach noch eine. Und noch eine. Ich merke, dass es mich langsam ein bisschen mehr Kraft kostet, dass die Gegenwehr ein wenig stärker wird. Doch jedes Mal, wenn ich hinter mich sehe, durchschießt eine neue Welle der Kraft meinen Körper. Ich will sie nicht enttäuschen und ich will nicht auf das angenehme Gefühl verzichten, zu ihnen zurückzukehren und ihre Zuneigung zu genießen.

Immer wieder gibt es Momente, die mich zum Zweifeln bringen. So sehr ich auch dagegen ankämpfe, manchmal kann ich nicht anders, als genauer hinzusehen und irgendwen oder irgendetwas zu erkennen. Manchmal bin es ich selbst, manchmal Menschen, die mir im Verlauf meines Lebens begegnet sind. Meistens welche, die ich nicht so gerne mochte. Mit denen ich noch offene Rechnungen habe oder die mich schlecht behandelt haben. Sie sitzen im Publikum oder stehen hinter meinem Gegner. Irgendwann steigen sie sogar in den Ring. Dann wird es hinter mir am lautesten. Jetzt wird abgerechnet. Zahl es ihm heim. Lass ihn spüren, was er Dir angetan hat.
Das Gefühl von Zugehörigkeit und Überlegenheit sowie die Gewalt erfüllen mich, doch hinterlassen jedes Mal ein bisschen Leere in mir. Wer bin ich? Kann ich etwas, außer zu kämpfen und zu vernichten? Für wen oder was kämpfe ich überhaupt? Warum? Ich verstehe nicht.

Doch ich kann nicht anders und mache weiter. Manchmal bekomme ich sogar einen Schlag ab oder einer von mir wird abgewehrt. Doch all das kann mich nicht aufhalten… bis ich auf einmal sehe, wie ein Zuschauer aus meiner Ecke die Seiten wechselt. Ich halte inne, lasse die Deckung fallen und blicke fassungslos zur Seite. Wie kann er es wagen? Ich habe keinen einzigen Kampf verloren, es war nicht einmal knapp. Ich habe alles gemacht, was von mir erwartet wurde. War das nicht genug? In diesem Moment trifft mich ein heftiger Schlag in die Seite, für einen kurzen Moment bleibt mir die Luft weg. Ich drehe mich um und sehe mich einem alten Schulkameraden von mir gegenüber. In diesem Moment weiß ich, dass er es war, der mich eben verlassen hat und jetzt wagt er es auch noch, sich mir gegenüberzustellen? Wut durchströmt meinen Körper und als ich auf ihn losgehe, weicht er ein bisschen zurück. Es wirkt fast, als wolle er gar nicht kämpfen, sondern sei hier, um mir etwas mitzuteilen. Das kann ja wohl nicht war sein? Ich lasse ihm keine Chance und schicke ihn blutend aus dem Ring.

Doch immer wieder beobachte ich nun, wie Menschen die Seiten wechseln. Ich lerne, damit umzugehen und lasse es sie spüren, wenn sie mir dann gegenüberstehen. Doch trotzdem scheinen meine Gegner immer mehr Zulauf zu bekommen. So sehr ich mich auch anstrenge, so gefährlich ich auch wirke – es werden nicht nur mehr auf der anderen Seite, sondern sogar zeitgleich weniger auf meiner. Immer häufiger sind die Menschen, die die Seiten wechseln welche, die mir nahe waren oder sogar sind. Die ich zu meinen engsten Vertrauten zähle.

Als ich meinen ehemaligen besten Freund bewusstlos zu Boden geschickt habe, lasse ich mich in meine Ecke sinken und erwarte die gewohnte wohltuende Behandlung, doch nichts passiert. Ich öffne verwirrt die Augen und sehe mich um. Da ist niemand. Weder hinter mir noch neben mir. Alle Menschen, die ich sehe, sind mir gegenüber. Alle meine Gegner, die ich bereits zu Boden geschickt habe. Alle meine Freunde und meine ganze Familie. Alle Menschen, die ich kenne, gekannt habe oder noch kennen werde. Sie stehen mir gegenüber und blicken mich an.
Ich frage mich, wie lange ich mir die Stimmen und den Applaus nur eingebildet habe und wann das letzte Mal ein Gegner wirklich versucht hat, Gegenwehr zu leisten.
Ich will nicht mehr, doch sie alle blicken mich erwartungsvoll an. ich weiß nicht, was ich tun soll, das Einzige, was ich kann, ist kämpfen. Ich weiß nicht, was von mir erwartet wird. Ich weiß nicht, wer ich bin. Ich weiß eigentlich gar nichts. Also stehe ich einfach da und sehe hin. Zum ersten Mal versuche ich nicht, meinen Blick zu verstecken oder wegzuschauen. Ich sehe hin. Ich sehe sie alle an, ich sehe in ihre Augen und ich sehe mich in ihren Augen. Und aus den vielen Augen ergibt sich etwas Größeres und dann begreife ich, was das Größere ist. Da bin ich. Ich weiß wieder, wer ich bin. Ich weiß jetzt, warum und gegen wen ich gekämpft habe. Ich habe gegen mich selbst gekämpft, weil ich nicht wusste, wer ich bin. Und jetzt habe ich mich gefunden.

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