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14:00

Musti steht schlecht gelaunt am Tresen und tippelt mit den Fingern. Die letzte Stunde hat er alles vorbereitet, was vorzubereiten war – jaja, die Stühle runterstellen, die Kaffeemaschine anwerfen, ein bisschen wischen, ein bisschen kucken, ob das Schnapsflaschenregal aufgeräumt gehört, der ganze Kram eben, den er seit 12 Jahren beinah täglich macht, bevor es dann losgeht, das Elend, der Spaß, je nachdem. Er hat beschissen geschlafen und sich heute morgen einen Zehennagel eingerissen, da hatte er eigentlich schon keinen Bock mehr. Und dann noch die Beerdigung; sowas kann er nicht. Musti ist sehr schlecht im Traurigsein. Es nervt ihn, wenn er traurig ist, und nicht nur,dass er traurig ist, nervt ihn dann, sondern alles. Er wünschte, es krabbelte eine Fliege über den Tresen, damit er sie totschlagen könnte; aber er weiß auch, dass er das nicht tun würde. Es hilft aber schon, sich das vorzustellen.

Draußen sitzt schon Erwin und wartet auf sein Spülbier. Erwin lebt gegenüber, betreutes Einzelwohnen, und hat nicht viel Geld. Aber er säuft halt gern, und außerdem ist er sehr gern unter Menschen, also findet er Mittel und Wege. Zum Beispiel setzt er sich am Wochenende immer zehn vor zwei schon auf die Terrasse, egal ob es Sommer ist oder ob es schneit, um den Schluck Bier abzugreifen, den Musti durch die Leitung jagt, um sie nochmal zu reinigen. „Ist doch schade, wennde das wegkippst, das gute Bier!“, sagt Erwin immer. Musti muss zusehen, dass er seine Zapfanlage viertel vor durchspült, damit der Erwin nicht mitkriegt, dass er ihm nicht den verkeimten Scheiß hinstellt, sondern ein normales Bier: auch Erwin hat seinen Stolz; zumindest bis er das dritte in der Birne hat. Dann kommt es schon vor, dass er die übrig gelassenen Reste anderer Gäste leersaufen will.

Erwin ist einer von denen, die Musti Dunkelsäufer nennt: okaye Leute eigentlich, bei denen dann irgendwann – meist nach dem zweiten, spätestens nach dem vierten Bier – etwas kippt. Er stellt sich das so vor, dass ab einem gewissen Pegel eine Ebene in ihnen kippt, und auf dieser Ebene liegt eine schwere Eisenkugel, an irgendeiner Schnur befestigt, und die pendelt sich dann einmal komplett durch die Persönlichkeit und haut alles, was fein und zart ist in den Leuten, kaputt: und was übrig bleibt, ist Trauer und Wut. Und dann muss man diese Leute in den Arm nehmen und ihnen sagen, dass sie schlafen gehen sollen, damit sie einem nicht durch die Bar pendeln. So ist das.

Erwin hat einen Hirnschaden, das macht ihn nochmal unkontrollierter. Nach dem ersten Bier erzählt er jedem, dass er beim Fußball mit dem Schädel gegen einen Pfosten gerannt ist, und daher die Einblutung. Man merkt es ihm ziemlich bald an, dass da mal was kaputt gegangen ist, Einblutung ist wahrscheinlich das komplizierteste Wort, das er kennt. Für Eintracht Braunschweig habe er gespielt, sagt er immer, Musti hat das immer für Aufschneiderei gehalten. Aber da irrt er sich, Erwin hat tatsächlich 15 Bundesligaspiele gemacht, als Stürmer, sogar zwei Tore geschossen; seine Verletzung aber hat er sich zugezogen, als er besoffen gegen einen Baum gefahren ist. Kopf aufs Lenkrad, Frontalhirnschaden. Seitdem ist das mit der Impulskontrolle eher kompliziert beim Erwin. Er versucht es ja, aber das ist sehr anstrengend, das kostet sehr viel Kraft; da hilft das Bier.

Während Musti so vor sich hindenkt, klopft es an der Tür; Erwin tippt mit seinem Zeigefinger auf sein Handgelenk und macht dann eine fragende Geste. Ach richtig, er hat ja noch gar nicht aufgeschlossen. Einmal atmet er noch durch: los geht’s.

Auf dem Weg zur Tür kommt er noch an Gerardos Foto vorbei, das er an der Ecke des Tresens aufgestellt hat. Nachher wird er ihm noch einen letzten Beam Cola hinstellen, wahrscheinlich muss er Erwin vorher sagen, dass er ihm aufs Maul haut, wenn er den anrührt. Bloß damit Erwin gleich schon mal Bescheid weiß.

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