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14:08

Einer fehlt noch, dann ist die erste Runde komplett, die noch gar nicht weiß, dass sie eine Runde wird. Wer fehlt, ist Ralf, der ist heute früh dran. Normalerweise kommt er erst so gegen 15:30, aber heute hat er den Morgen verbaselt, kam einfach nicht rein in den Tag, sowas kommt vor. Er kennt das, er ist Ende 50, er weiß ja nicht viel, denkt er, aber das weiß er: alle zwei drei Monate passiert ihm das und dann geht er halt früher in die Kneipe.

Ralf arbeitet auf dem Bau, immer noch, er ist Maler. Gelernt hat er mal Dachdecker, aber irgendwann auch gemerkt: Herrgott, das kannst Du auch nicht machen bis zur Rente, da hat er umgesattelt. Er wohnt seit 40 Jahren in seiner Zweizimmerwohnung ums Eck und hat auch sonst nicht viel zu erzählen, denkt er, obwohl es nicht stimmt. Er weiß nur nicht, wie man erzählt, das ist alles. Ralf hält sich für nicht sonderlich schlau, und genau deswegen geht er gern in Kneipen: er liest nämlich schon immer gern die BZ, und dann versteht er was nicht, und irgendwer erklärt es ihm dann. Und danach hat er entweder ein grünes oder ein blaues Gefühl. Grün heißt: was ihm erklärt wurde stimmt nicht so ganz, das muss nochmal wer anders erklären. Blau bedeutet: das könnte immerhin so stimmen. Das ist das Farbleitsystem, das Ralf in seinem Bauch hat.

Was Ralf auch in seinem Bauch hat, ist Krebs. Das weiß er seit ein paar Wochen. Als er das erfuhr, fand er es nicht schlimm, nicht einmal verwunderlich. Sowas passiert, davon liest man jeden Tag in der Zeitung, warum sollte es ausgerechnet ihm nicht passieren. Man könnte operieren, aber es ist arg spät, Erfolgsaussichten sind so (da hat der Arzt eine Geste gemacht, als würde er anzeigen, was in einem Schnapsglas noch drin ist, wenn man es ausgesoffen hat). Bestrahlen kann man auch. Aber will er das, jeden Tag kotzen und all der Scheiß, und dann sind die Chancen so. Er hat noch ein halbes Jahr oder ein Jahr oder irgendwie sowas, hat der Arzt gesagt, das kann er auch genießen. Das wäre auch eine Möglichkeit.

Ralf lebt gerne, aber er hat keinen Grund leiden zu wollen, um unbedingt am Leben zu bleiben. Dass er stirbt bedeutet ihm nichts. Er hat zwei Tage nach der Diagnose versucht darüber nachzudenken was er eigentlich noch will: und da war eigentlich nur eine Sache, und das war nicht alt sterben. All der Verschleiß, er spürt es ja jetzt schon, obwohl er schlau genug war, nicht bis jetzt in der Hitze oder bei eiskaltem Wind auf Dächern rumzukraxeln; die Gelenke knacken und der Rücken und die Muskeln halten den ganzen Scheiß auch nicht mehr in der Spur, das ist einfach so.

Es ist nicht so, dass er nicht wüsste, wie Krebs aussieht. Er hat ja viele Kollegen sterben sehen, an Hautkrebs vor allem, das bringt das Dachdeckersein so mit sich. Und das Mannsein auch, das hat er gelernt, Männer gehen halt zu spät zum Arzt. Aber sterben will er, wenn der Rest des Körpers noch in die Kneipe kann; das hat er in der Pandemie gelernt. Die paar Wochen, als alles dicht war, das war ihm nichts. Da wusste er nicht wohin mit seinen Fragen.

Es ist alles ganz normal, denkt Ralf, auch das mit dem Krebs ist normal. Das ist halt so, was will man machen. Bloß Schmerzen, das will er nicht. Der Rest ist schon okay. Jetzt trinkt er erstmal seine drei, vier Tulpen, dann kocht er was mit Sahne, und dann kuckt er mal, ob er noch einen Spaziergang macht oder so, irgendwann schlafen. Wie immer, wie immer.

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