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Über Jungsbücher und Mädchenschulen

Mit "Jungenspezifischer Literaturauswahl" wirbt eine private Realschule in Paderborn in ihrem Flyer für ihr pädagogisches Konzept (s.Bild), und wie ich es auch drehe und wende, mir fällt nichts dazu ein, was kein Stereotyp wäre. An was also denken die Urheber*innen des Textes dabei konkret? Werden hier Aristoteles, Goethe, Brecht & Co gelesen? Was natürlich völlig überraschend wäre, und so anders als in "normalen" Schulen. Denn dort stehen ja neben der klassischen Literatur auch eine sehr große Zahl moderner Autor*innen auf der Liste, darunter Bücher über gesellschaftliche Privilegien, über Geschlechterhierarchie und Patriarchat. Nicht. 

Flyer der St. Michael Realschule Paderborn

Sind denn weibliche Vorbilder für Jungs inakzeptabel?

Und was bedeutet dann wohl analog "mädchenspezifische Literaturauswahl"? Emily Brontë, Nesthäkchen und die Lustige Strickliesel? Oder lesen Mädchen Sophie von La Roche, Bettina von Arnim, Simone de Beauvoir und Anne Frank, was Jungs ja nicht erlaubt ist? Achso, erlaubt schon, aber die wollen das gar nicht? "Frauenliteratur" erschwert Jungs womöglich das Lesen, weil sie zwingend männliche Vorbilder brauchen? Eine Frau als Vorbild und Identifikationsfigur ist Jungs nicht zuzumuten? Ja, ja, das ist natürlich nachvollziehbar, wo kämen wir denn dahin, wenn Männer sich von Frauen inspirieren lassen würden! Wenn schon ein kleiner Junge, man stelle sich vor, eine Frau als Vorbild wählen würde! 

Weil das nicht möglich ist, nur deshalb konnten in den letzten Jahrhunderten Mädchen nicht lesen lernen, das lag an Rulaman, Wilhelm Tell, Werther und Homo Faber, das hatte nie damit zu tun, dass Mädchen nicht zur Schule durften und dass Literatur, Wissen insgesamt männlich konnotiert war! I wo denn!

Die Marketingstrategie der "Jungsbücher" geht auf

Dieses Denken, dass nämlich Jungen Sonderliteratur bräuchten, um ans Lesen herangeführt zu werden, greifen Verlage gerne auf. Sie druckten deshalb in den letzten Jahren Unfassbares mit Titeln wie "Leselerngeschichten für Jungs", "Silbengeschichten für Jungs", "Das Vorlesebuch für kleine starke Jungs", "Jungsgeschichten, die stark machen"… undsoweiterundsofort. Als ob die Literaturgeschichte und Bücherregale bis heute nicht voll wären mit Werken männlicher Autoren. Aufgrund der Rollenaufteilung hatten die mehr Zeit, Zugang zu Universtiäten, Bibliotheken, nebenbei noch Gratis-Kinderbetreuung und mehr Geld zur Verfügung. An der fehlenden Literatur kann es also nicht liegen, dass Jungen (Pisa-)Studien zufolge später und weniger lesen als Mädchen. Aber das ist offenbar egal, solange die "Jungsbücher" voller Abenteuer auf dem Flohmarkt oder Müll landen, weil Mädchen ja bekanntermaßen Aufregung nicht gut vertragen. Weil deshalb lieber nochmal Geld ausgegeben wird für pinke Geschichten rund ums Reiten, Backen und Verlieben. Vor allem Letzteres ist ein Thema, das Jungs niemals nicht interessiert - Gefühle und so, weiß man doch, ist ein Frauending - Klischee Olé! Botschaft einer Marketingstrategie, die aufgeht - schlimm genug. Aber was hat Schule damit am Hut? Wie kann es sein, dass solche Ideen im Konzept einer Realschule bzw. Gymnasiums landen? 

Geschlechtergetrennter Unterricht ohne anhaltende Wirkung

"Geschlechtergetrenntes Literaturangebot" klingt vermutlich vor allem für jene relevant, die auch Geschlechtertrennung im Unterricht sinnvoll finden. Denn leider hält sich hartnäckig die Hoffnung, dass es sich, wenn nicht gar für die gesamte Schulzeit, so doch in manchen Fächern lohne, sie geschlechtergetrennt zu unterrichten, und alle Jahre wieder zerren Politiker*innen das Thema medienwirksam aufs Tablett. Studien zeigten, dass Mädchen im Physikunterricht ohne Jungen selbstbewusster auftreten. Dieselben Studien belegen aber auch, dass der Effekt sehr gering ist und wieder verpufft, sobald die Geschlechtertrennung endet und Frauen in Uni und Beruf wieder auf Männer treffen. Geschlechtergetrennung im Unterricht bringt also nicht nur nichts, er schadet sogar auch, denn "sie verstärkt Rollenstereotype und legitimiert institutionellen Sexismus" (Studie 'The Pseudoscience of Sinlge-Sex Schooling', 2011) 

Von wilden Jungs und braven Mädchen

Rollenstereotype wie zum Beispiel das vom aktiven Jungen, der immer in Bewegung ist, ja sein muss, aufgrund seiner Natur! Im abgebildeten Flyer nennt das Gymnasium die "Berücksichtigung wettbewerbs- und bewegungsorientierter Elemente im Unterricht" als ein besonderes Angebot für Jungen. Aufklärungsarbeit über die #RosaHellblauFalle ist bitter nötig, solange es Eltern gibt, die explizit ein Schulkonzept mit Lehrkräften wählen, die davon ausgehen, das Mädchen länger am Stück stillsitzen können als Jungen. Denn das ist doch das Pendant zum bewebungsfreudigen Jungen, oder nicht? Stillhalten, ruhig sein, nicht stören - braves Mädchen! 

Merkwürdig an der Diskussion obendrein, dass für die Geschlechtertrennung im Unterricht mit Empowerment, der Selbstermächtigung von Mädchen argumentiert wird - ein Aspekt, der in genau derselben Weise eingebracht wird, wenn es an anderer Stelle um Inklusion und Diversity geht. Inklusion setzt auf den produktiven Umgang mit Vielfalt und auf gemeinsames Lernen in heterogenen Gruppen. Geschlechtergetrennter Unterricht macht das Gegenteil. 

Letzte Hoffnung: die Pädagog*innen wissen es besser und der Flyer verpricht bloß, was Eltern hören wollen? Wohl kaum, denn zu verbreitet ist der Glaube an die angeblich unterschiedliche Funktionsweise der Gehirne, auf die Lehrende unterschiedlich eingehen müssten. "Jungen und Mädchen lernen unterschiedlich und die  Entwicklungsprozesse verlaufen besonders in der Vorpubertät und in der  Pubertät verschieden. Dies belegen viele entwicklungsphysiologische  sowie -psychologische Studien und auch die aktuelle Hirnforschung (Abre numa nova janela)", schreibt auch das St.Hildegardis-Gymnasium Duisburg auf seinen Seiten und möchte "Jungen und Mädchen in ihrer Verschiedenartigkeit" fördern.

Doch solche Befunde sind mit Vorsicht zu betrachten und die Frage nach Henne oder Ei muss erlaubt sein: War da zuerst diese angebliche "Verschiedenartigkeit" oder war es zuerst das (Bildungs-)umfeld, das Unterschiede im Lernen erwartet, noch bevor das Kind seine Schultüte gebastelt hat? Tatsächlich gibt es nur sehr wenige Unterschiede in den Gehirnen von Mädchen und Jungen, und keiner davon ist für das Lernen relevant. Tatsächlich werden durch Monoedukation vor allem Schüler*innen und Eltern mit einem höheren Sozialstatus angesprochen - wer es sich leisten kann, trennt Kinder nach Geschlecht. Die guten Noten und die untypischere, weniger stereotype Studien- und Berufswahl (von Mädchen!) rechtfertigen scheinbar die Trennung, doch übersehen werden die Privilegien, die die tatsächliche Ursache dafür sind. 

Wer es sich leisten kann…

Der positive Effekt der Monoedukation verschwindet also schnell wieder, sobald der soziale Aspekt herausgerechnet wird. Auch die Nachanalysen von PISA-Daten »für Länder, die sowohl koedukativen als auch monoedukativen Unterricht anbieten, haben gezeigt, dass etwaige Geschlechterunterschiede bei Berücksichtigung des Sozialstatus fast völlig verschwinden«. Die Hamburger Erziehungswissenschaftlerin Hannelore Faulstich-Wieland bezeichnet den getrennten Unterricht deshalb als eine »Dramatisierung von Geschlecht«, bei der außer Acht gelassen werde, dass der Lernerfolg von vielen Faktoren abhänge, beispielsweise der Sozialstruktur einer Klasse oder der aktuellen psychischen Befindlichkeit der jeweiligen Schüler*innen."

Wenn also der gemeinsame Unterricht Geschlechterstereotype fördert, weil er den Druck erhöht, sich rollenkonform zu verhalten, dann kann die Lösung nicht in der Trennung liegen, da hier bisher keine positiven Effekte belegt werden konnten. Und wie könnte Trennung je eine akzeptable Form von Wahlmöglichkeit sein? Die Lösung muss deshalb in der Aufklärung und Reflexion stereotyper Verhaltensmuster liegen - von Schüler*innen, aber zuallererst von Lehrkräften in der Ausbildung. Nennen wir das Ziel also für den Moment "Genderreflexive Koedukations-Pädagogik".

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