Warten und gehen - Eine Adventsreihe
Spätestens in der Pandemie lernten wir: Spazieren ist Therapie für alle Lebenslagen. Manchmal kann es einen sogar davon abhalten, den Mann, die Kinder, die Katze anzuschreien. Nach einem Marsch durch die Natur betritt man durchgelüftet und ordentlich sortiert das Zuhause, welches man eine Stunde vorher in zerfranstem und desolatem Zustand verlassen hat.
Wann immer ich in meiner alten Heimat bin, laufe ich denselben Weg. Erst marschiere ich den Fahrradweg entlang, dann biege ich in einen Feldweg ein. Weg vom Verkehr. Vorbei an den Feldern, die einst mein Vater bestellt hat. Dann schlängelt sich der Weg leicht bergauf, bis er um eine langgezogene Kurve zurück ins Dorf führt.
In der Woche vor dem Tod meines Vaters bin ich diesen Weg täglich gegangen. Wann immer ich Luft holen, mich sammeln und hemmungslos trauern musste. Das Warten war mühselig, es kam mir vor wie während einer Geburt. Du weißt, das Baby kommt, aber nicht wann. Du weißt, er stirbt, aber nicht wann. Bis es so weit ist, übst du dich im Warten, tust dein Bestes und läufst viele Runden.
Vor einem Acker an einem Berghang blieb ich stets stehen. Mitten im monotonen Getreidefeld diese eine ungebärdete Wildnis-Insel: Birken, Buchen, Haselnusssträuchern, Brombeergebüsch. Ich weiß, dass dies die steilste Stelle im Feld ist und mein Vater sie einst bewusst verwildern ließ, weil sie schwierig zu bestellen war. Als Kind malte ich mir aus, wie das Kleingetier Zuflucht auf dieser Insel fand, wenn mein Vater sich mit seinem dröhnenden Mähdrescher durch die Weizenreihen fraß.
Heute pflegen andere Menschen diesen Acker. Aber die Insel besteht immer noch. Aus den kleinen Schösslingen sind stattliche Bäume gewachsen, in denen Greifvögel und Siebenschläfer nisten.
Wann immer ich nun meine Mutter besuche, gehe ich diese eine Strecke und nehme wahr, wie sie sich mit dem Vergehen der Zeit ändert. Die Heckenrosen, die mir Ende September zunickten, haben sich in leuchtende Hagebutten verwandelt. Der Ahorn hat alle seine Blätter abgeworfen und sich in seine Tiefen zurückgezogen. Die Vögel sind verstummt, nur das Krächzen der Krähen und das Rätschen des Eichelhähers dringen aus den Wäldern.
Auch am letzten Wochenende zog es mich wieder hinaus in die Felder. Wir hatten meine Mutter besucht, die Kinder haben einen Stand auf dem Adventsmarkt auf unserem ehemaligen Hof betreut. Der Frost lag über dem Land und biss mir in die Nasenspitze. Mein Laufweg ist Zeuge meines Wartens. Meiner Ungeduld. Meiner Tränen. Meiner Gebete. Meiner Hoffnung. Meiner Verzweiflung. Meiner stillen Freuden. Er rollt sich vor mir auf wie ein Teppich, auf dem alles Platz hat. Das Wunderbare. Das Unaussprechliche. Und das Warten. Vor allem das Warten.
Wenn ich eines in diesem Jahr gelernt habe, dann das: Warten kann ein sehr aktiver Zustand sein. Ob du nun auf ein Baby wartest oder auf den Tod. Auf Heilung oder eine Beförderung. Auf Veränderung oder den Ruhestand. Die Wartezimmer unseres Lebens sind die Übergänge zwischen zwei Lebensräumen. Sie verleiten einen dazu, die Hände in den Schoß zu legen, sich einen Platz im Eck zu suchen und die Zeit abzusitzen. Aber ich glaube, Warten ist eine Einladung, diese Übergangsräume zu gestalten. Auch wenn wir nicht für immer in ihnen bleiben. Eine schwangere Frau baut das Babybett auf, lernt Atemtechniken, beschäftigt sich mit Ernährung, redet mit dem Ungeborenen, kocht Mahlzeiten vor, strickt Babymützchen. Jemand, der den herannahenden Tod spürt, ordnet seine Dinge, verschenkt Besitz, sammelt seine Lieben um sich, erzählt Geschichten.
Das Jahr schließt mit einer Wartezeit. Das Warten auf die Ankunft dessen, der das menschliche Dilemma kennt und Alternativen für uns hat. Jesus nennt diese Alternative das Reich Gottes. Und – oh – wie ich mich manchmal nach diesem Reich sehne! Wo die Letzten die Ersten sein werden. Und alle Tränen abgewischt werden.
Ein bisschen blitzt es hier und da schon durch. Wie kleine Bauminseln inmitten von Monokulturen. Denn der Mensch bleibt nicht untätig, während er auf das Reich Gottes wartet. Er gestaltet und betet und sucht Heilung. Er kocht Dutzende Mahlzeiten für hungrige Münder und schaut nach dem kranken Nachbarn. Er baut aus dem Schutt des Zerstörten neue Häuser und versucht seinen Fußabdruck auf dem ächzenden Planeten zu verkleinern. Er singt am Bett von Kindern und übt sich in unbeholfener Gnade. Er wird nicht müde, den Entrechteten zur Seite zu eilen.
Und jetzt in der Adventszeit, während wir auf Weihnachten, auf Jesus und das "Reich-das-noch-nicht-da-ist" warten, legen wir auch nicht die Hände in den Schoß. Wir holen Tannengrün in unsere Häuser und schmücken die Räume mit Kerzen und Sternen und vergoldeten Nüssen. Wir backen und planen Geschenke und stellen Stiefel vor die Tür und lesen die uralten Geschichten, weil wir als Menschengemeinschaft gar nicht anders könnenals uns Erzählungen wie eine wärmende Decke übers verschrammte Gemüt zu ziehen.
Du weißt nicht, wann du in deinen nächsten Lebens-Raum eintreten wirst. Und du weißt auch nicht, wann dieses Versprechen einer neuen Welt endlich in großem Stil Einzug halten wird. Manchmal spürst du, wie Kräfte und Hoffnung schwinden und Zynismus an dir zupft wie ein ungeduldiges Kind.
Aber vielleicht können wir gemeinsam in den nächsten Wochen das aktive Warten neu einüben? Kerzen anzünden und nicht auf die Dunkelheit schimpfen. Gute Worte lesen und die Push-Nachrichten ausstellen. Eine Sache fasten und Pakete für Bedürftige packen. Uns gute Mahlzeiten kochen und früh zu Bett gehen. Liebevolle Geschenke aussuchen und Unnötiges aus dem Kalender streichen.
Gnädig mit dir selbst und anderen umgehen.
Und natürlich immer eine Runde durch die Felder spazieren.
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