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Breslau in Schwarz/Weiß und in Farbe

In der Sterbewoche meines Vaters im vergangenen September habe ich viel mit meiner Mutter geredet. Über das schwer auszuhaltende Gegenwärtige, über Vergangenes, über die Zukunft. 

„Was wünschst du dir?“

„Noch einmal nach Breslau zu fahren.“

„Ok.“

Und letzte Woche haben wir diesen Wunsch umgesetzt.

Wir sind nach Breslau gereist. Die Stadt, in der meine Mutter die ersten sieben Jahre ihres Lebens verbracht hatte. Ihre Heimat, wie sie sagt. (Und weil sie aus dieser gerissen wurde, spüre wohl auch ich als Folge eines transgenerationalen Traumas eine lebenslange "Heimatlosigkeit". Das hat nicht nur Nachteile, denn es befähigt mich, meine Zelte immer wieder irgendwo neu aufschlagen zu können.)

Ich packte also mein Auto voll bis unters Dach, denn unsere Reisetruppe umfasste drei Generationen: Meine Mutter, mich, meine zwei Töchter und meine Nichte. 

Vor acht Jahren waren wir als Großfamilie schon einmal in Breslau. Darüber habe ich hier (Abre numa nova janela) geschrieben. 

Wir legten einen Zwischenstopp bei Schloss Moritzburg ein, wo Aschenbrödel gedreht wurde. Wunsch der Kinder. Ich bin ihm gerne gefolgt. Ein Must-See! 

Ich hatte ein Hotel (Abre numa nova janela) ausgesucht, welches hinter der Elisabethkirche lag, in der  meine Mutter getauft wurde. Sie hatte aus ihrem Zimmer direkten Blick auf Kirche und Dominsel. Wenn das mal nicht ein grandioser Reiseauftakt war! 

  Breslau ist berühmt für seine Zwerge. Es soll von ihnen rund 600 Stück geben. 

Auch die weniger pittoresken Ecken mochte ich gerne.

Dieser Zwerg nächtigte vor unserem Hotel. Ich wünschte ihm jeden Abend bei unserer Rückkehr eine gute Nacht. 

Ich bin natürlich in Buchläden hängengeblieben. In diesem wunderbaren unabhängigen Buchladen mit Cafe (Abre numa nova janela) auf dem Rynek gibt es auch deutsche und englische Literatur. Große Empfehlung!

 Wir frühstückten jeden Morgen im Paloma (Abre numa nova janela) mit Blick auf das berühmte Rathaus. Dieses Cafe punktet mit seiner eigenen Rösterei und sagenhaften Croissants und Shakshuka und Cinnamon Buns und Pins, an denen wir natürlich nicht vorbeigehen konnten. Überhaupt habe ich selten so gut gegessen wir in Breslau. Hier findest du alles von neuseeländisch über vegetarisch bis vietnamesisch. In der Markthalle (Abre numa nova janela) (große Empfehlung!) isst man besonders günstig und authentisch polnisch. 

Der zweite Tag stand im Zeichen der Geschichte meiner Mutter. Meine Kids waren bei der ersten Breslau-Fahrt noch zu klein, um die Bedeutung dieses Ortes zu verstehen. Aber jetzt sind sie in einem Alter, in dem sie sich für die deutsche Vergangenheit und vor allem für Zeitzeugen-Berichte interessieren. "Mum, wenn ich schon eine Oma habe, die den Zweiten Weltkrieg erlebt hat, dann möchte ich ihre Geschichte hören." 

Die erste Station war die Straße, in der meine Mutter schöne Jahre verbracht hatte und von wo aus sie Hals über Kopf im tiefsten Winter flüchten musste.

In Herrnstadt /Wasosz, wo meine Mutter viel Zeit bei ihren Großeltern verbracht hatte.

Eine fast gelungene Foto-Recreation: Meine Mutter, Tante und Großmutter (die ich leider nie kennenlernte, weil sie kurz nach dem Krieg an Tuberkulose verstarb).  

In Tschechkowitz (Eichenhag), wo meine Großmutter aufwuchs.

Dieses alte Rittergut in Gurkau verfällt seit 80 Jahren. Wer mag hier gewohnt haben? Ein Lost Place. Mein Großonkel lebte in der Nachbarschaft und meine Mutter verschwand oft mit ihren Geschwistern in den Schlosspark, um dort zu spielen. 

Letztens sprach ich mit einer Freundin über ein Gefühl, welches einen manchmal unvermittelt auf Reisen befallen kann. Ein Gefühl der Vertrautheit und melancholischen Sehnsucht. So geht es mir mit Breslau und der Weite der umliegenden Landschaften. Dort erlebe die Gleichzeitigkeit von alten Bildern in schwarz-weiß, über die sich neue Farbbilder legen. Der Schmerz der Vergangenheit und die Lebendigkeit der Gegenwart. 

Ich kann euch Polen und seine Städte wärmstens ans Herz legen. Nicht nur, dass man hier im Vergleich zu anderen europäischen Ländern günstig Urlaub machen kann, sondern auch wegen der Freundlichkeit, Kulinarik, Kunst, Geschichte, Vielfalt und diesem Gefühlsmix von Melancholie und Moderne. 

Nach dieser besonderen Reise möchte ich dir etwas ans Herz legen: 
Verschiebe das Gute nicht auf später. 
Sei Zeuge deiner Familiengeschichte. 
Lass die Erinnerungen mit den Alten nicht sterben. 

Und schließe Herz und Augen auf für dieses seltsame, herzzerbrechende, wunderschöne Leben.

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