Postkarten aus England
Wie kann es sein, dass die Sommerferien bereits wieder vorüber und wir mir-nichts-dir-nichts im September gelandet sind? Vor einer Woche waren wir…..lass mich kurz nachdenken!……in York. In dieser einen Woche ist soviel passiert, dass mir der Kopf brummt: Covid-Erkrankung in der Familie. Rückreise mit der Fähre und Bahn. Orga-Berge. Schulbeginn. (Ich habe nun zwei Kinder in der siebten und neunten Klasse.) Ist das zu fassen?
Und mein neues Buch “More Coffee & Jesus” ist raus! Ich habe im Winter viele Texte geschrieben, kurze Essays, die ganz wunderbar zu einer Tasse Kaffee (oder Early Grey) passen. Du kannst es hier (Abre numa nova janela) in meinem Shop bestellen*:
*Ich werde erst Mitte nächster Woche den Versand in Angriff nehmen können. Deshalb dauert es dieses Mal ein wenig länger….sorry für die kleine Verzögerung im Voraus!
Und nun sichte ich die Bilder, die vielen vielen Fotos (hauptsächlich von Blumen und Gärten und Cottages). Ich brauche das nach dem Urlaub. Mich hinsetzen und jedes einzelne Foto bearbeiten und betrachten. Nochmal bewusst zurückreisen, die einzelnen Momente im Herzen einrahmen. Gerade weil einen der Alltag nach vorne, immer nach vorne zerren will. Den Mount-Everest-Wäscheberg und die Wehen der ersten Schulwoche für einen halben Nachmittag zur Seite schieben, sich einen Earl Grey kochen, dazu etwas Shortbread und dankbar zurückblicken. Und dann das löschen, was man nie mehr anschauen wird wie z.B. unschmeichelhafte Fotos des eigenen Doppelkinns oder das dreißigste Bild einer blühenden Hortensie.
Und weil es ein wenig einsam an diesem Schreibtisch ist, nehme ich dich mit auf meinen kleinen Rückblick. Einverstanden? Vielleicht steckst du ja schon länger wieder im Alltag als wir und hast eine Mini-Auszeit mit einem kleinen mentalen Trip nach England nötig. Wenn du nicht schon anglophil angehaucht bist, so wirst du nach diesen Fotos deinen Job hinschmeißen, ein kleines Cottage in den North Yorkshire Moors kaufen und Blumenzüchterin werden. Also, schnall dich an, mach dir einen Yorkshire Tea and let’s go.
Das war unser Ferienhäuschen irgendwo zwischen Hull und York. Ein feuchter Traum aller Cottage-Core-Fans, ich schwör!
“Mama, hier ziehen wir für immer ein, ja?” Meine Teenie-Kinder waren gegen ihr Naturell ganz aus dem Häuschen. Ich auch, ich auch. Unsere Vermieterin Louise hat das Cottage vor wenigen Jahren mit viel Liebe zum Detail eingerichtet. Und wenn Louise mal wieder die garteneigene Ernte über den Kopf wuchs (sie hat keinen Garten, sondern einen PARK!), dann stellte sie uns einen Korb mit frischem Obst und Gemüse vor die Tür.
Dieser kleine, entzückende Ort hatte alles, was unsere introvertierten Herzen brauchten: Stille. Schönheit. Wasser. Fish and Chips. Idyllische Spazierwege. Und ein Büchertauschregal in der Kirche. Win-win-win.
Englisches Wetter ist unser Wetter. Gib mir einen grauen Regentag. Den ziehe ich einem mitteleuropäischen 37-Grad-Saunatag jederzeit vor. Von mir aus tut es auch ein sonniger Tag an der Küste, wo mir der Wind die Fish-and-Chips-Tüte aus der Hand reißt. So wie an den Bempton Cliffs, einem Naturschutzgebiet, wo im Sommer die Papageientaucher brüten. Diese waren aber bereits abgereist und wir nahmen mit den Basstölpeln vorlieb. Aber auch das: Sehr beeindruckend, wie sie da auf ihren millimeterbreiten Felsvorsprüngen im Wind hockten und ihre Brut betüddelten. Kann man stellvertretende Höhen- und Platzangst für Basstölpel empfinden?
Wenn man in den hübschen Marktflecken Beverley fährt, so führt der Weg dorthin wie ein mittelalterlicher Scherz durch eine Kuhweide. Du fährst also nichtsahnend durch grüne Auen und plötzlich stehen vor dir auf der Straße Kühe. Korpuliernd. Ich war zu baff um rechtzeitig die Kamera zu aktivieren. Der Engländer zeigte Verständnis, wartete geduldig bis sie ihr Geschäft erledigt und die Fahrbahn geräumt hatten. Lass dich davon nicht abschrecken. Beverley ist die Anreise wert, auch wenn Kühe den Weg dorthin blockieren.
Ach, und York. Das schöne, schöne York. Manche munkeln gar, diese Stadt sei die heimliche Hauptstadt Englands. Ich glaubs direkt. Zumindest wenn man den Hauptstadt-Status an der Anzahl der Touristen und Straßenkünstler misst. Was wir an York geliebt haben: Antiquariate, Cream Team, Cream Tee, Cream Tea, das Münster, Spazierengehen auf der Stadtmauer, all die kleinen quirky Lädchen und die herzlichen Menschen.
Aber mein heimlicher Favorit, die Überraschung der ganzen Reise, war für mich Hull. Denke dir einfach, dass York mit Heidelberg vergleichbar ist und Hull mit Bremerhaven. Der Charme von Hull erschließt sich einem nur, wenn man genauer hinschaut und das Marode (und Museen) mag. Außerdem ist hier der Pionier und Vordenker William Wilberforce geboren. Eine Force of Nature! Er hatte sich jahrelang für die Abschaffung der Sklaverei im britischen Hoheitsgebiet eingesetzt, bis diese 1807 gesetzlich verboten wurde. Ihm zu Ehren wird jedes Jahr das Freedom Festival gefeiert. Und wie es das uns zugeneigte Schicksal wollte, fand es just zu dem Zeitpunkt statt, als wir in der Stadt weilten. Mit herrlichem Brimborium im gesamten Stadtgebiet: Straßenkünstler, Umzüge, Fressbuden, Musik, Installationen, Theater, Diskussion-Foren und dem Good-Things-Market.
Ich habe im Urlaub spontan mit dem Zeichnen und Skizzieren begonnen. Und daran große Lust gefunden. Das ist immer so bei mir. Ich entflamme plötzlich für eine Sache und ich mache sie mit ganzem Herzblut, ohne den Anspruch es gut können zu müssen. Einfach die Lust am Machen, am Sich-Verlieren. Kleine, sinnvolle Freuden. Ganz nebenbei hat mich das Skizzieren gelehrt, Details wahrzunehmen. Und Unwichtiges wegzulassen. Irgendwie eine gute Lektion, die ich mit in den Alltag nehmen will.
Den Abschluss unseres Englandreigens bildet ein Ausflug in die North York Moors. Genauer gesagt in das Bilderbuchstädtchen Helmsley und nach Rievaulx Abbey. Dorthin verschlug es unsere Älteste und mich, während der andere Teil der Familie eine COVID-Erkrankung auskurierte (getreu meines Mottos: “COVID – Ruining Plans since 2020”).
Schon vor knapp 1000 Jahren wussten die Leute, welches Fleckchen Erde sich für den Rückzug vor der Welt eignet. Chapeau, ihr lieben Mönche. Alles richtig gemacht. Und ganz nebenbei habt ihr ein irres Bauwerk hingeklotzt. Ohne Turmdrehkran und Architektursoftware. Da wird man kurz still vor Staunen. Bis sich der Hunger zu Wort meldet und ruft: Ein letztes Mal Fish and Chips! Und Essig-Kartoffelchips! Und Scones mit Clotted Cream!!! Und Marmite-Toast!!!
Nächste Woche melde ich mich zurück mit dem gewohnten Format. Dann gibts hier wieder Grannys Tipps und auch die Links der Woche. Ich brauche noch etwas, bis ich wieder in meine Routinen hineinfinde. Aber dafür waren wir jetzt gemeinsam in England. It was a blast, my dear. See you in a weeks time. Until then: bye bye.