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Die Reitstunde und mein people-pleaser Syndrom

Ich stehe mitten in einer großen Reithalle. Drei Pferde galoppieren wie wild um mich herum. Ein großes, braunes und zwei kleine graue Ponys. Das braune Pferd ist der Anführer, die anderen beiden versuchen mit ihm Schritt zu halten. Sie sind aufgeregt. Und das macht mich auch nervös. Ich kenne mich nicht aus mit Pferden. Meine letzte Reitstunde ist 25 Jahre her und selbst da war ich mehr unsicher als begeistert gewesen. Mein Pferdewissen habe ich von der Zeitschrift “Wendy” und unzähligen Barbie-DVDs, die sich meine Kinder immer und immer wieder anschauen.

Ich soll mit den Pferden interagieren, so lautete mein Auftrag. Und mir ein Pferd aussuchen, das ich bevorzuge. Ich spüre, ich will das braune, große Pferd. Es ist wunderschön. Es ist stark und strahlt Sicherheit aus.

Die beiden kleinen Ponys laufen in einer Reihe hinter ihm her. Eines von ihnen bleibt immer mal neugierig bei mir stehen, schnuppert an mir, lässt sich streicheln. Mein Herz geht auf: Es ist so süß!

Für wen soll ich mich entscheiden?

Es folgen Teambildende Maßnahmen und ich stelle fest, wie ich versuche, immer alle im Blick zu haben. Menschen und Tiere. Ich versuche, das Richtige zu tun, nichts falsch zu machen und dabei darauf zu achten, dass es allen gut geht und sich niemand übergangen fühlt. Wie es mir dabei geht ist zweitrangig. Sogar weshalb ich hier stehe, vergesse ich.

Für was soll ich mich entscheiden, welche Schritte stehen an und in welche Richtung möchte ich mich weiter entwickeln? Ich weiß es nicht, weil ich viel zu sehr damit beschäftigt bin, dass es allen anderen gut geht und alle zufrieden sind. Weil ich möchte, dass jeder ein gutes Gefühl hat, wenn er mit mir zu tun hat.

Ich bin mit 23 Mama geworden. Vergisst man dadurch sich selbst, weil man direkt gelernt hat, viel Verantwortung zu tragen? Oder ist das people-pleaser Syndrom in der Kindheit begründet?

Ich bin in einer privilegierten Situation. Mein Mann unterstützt mich in allem. Ich könnte auswandern, Hausfrau sein, mich in einem großen Betrieb anstellen lassen, promovieren, Schriftstellerin sein oder Immobilien kaufen. All diese Sachen kosten natürlich Ressourcen oder Energie, Geld oder Verzicht. Aber rein theoretisch kann ich alles machen. Die Frage ist nur: Was will ich?

Irgendwann mal wollte ich Pastorin werden. Und als ich das nicht mehr sein durfte, wollte ich Pfarrerin werden. Das war naheliegend. Doch der Pfarrberuf mit all seinen Anforderungen, der vielen vielen Bürokratie und den vielen Stunden Arbeit würde mich nicht glücklich machen. Ich möchte mich auch nicht mehr unter ein Glaubenssystem begeben, das zu sehr in mein Privatleben drängt. Ich wurde Schriftstellerin. Das ist mir passiert. Es war mein Kindheitstraum. Und ich bin mir trotzdem unsicher, ob es das ist, was ich bis zum Ende meines Lebens tun möchte.

Welches Pferd wähle ich? Welchen Beruf? Und habe ich eigentlich eine Midlife-Crisis oder eher eine Buch-abgegeben-Krise? Vielleicht muss ich ja gar nicht wählen?

Ich springe mit dem braunen Pferd über ein Hindernis. Es bleibt mit dem Hinterhuf hängen und zieht die Stange mit sich. Innerlich seufze ich. Fehler machen dürfen, für mich eintreten und gleichzeitig akzeptieren, dass ich mir wünsche, dass es Menschen gut geht in meiner Gegenwart: Das alles weiß ich, und trotzdem fällt es mir schwer, mir das zuzugestehen. Ich muss mich nicht optimieren, ich darf “auf dem Weg” sein und kann im Lebensfluss schwimmen. Der Frühling steht an, ein Kind hat Geburtstag und danach ist schon Ostern. Die Jahre rasen vorbei und vielleicht muss ich keinen kompletten Lebensentwurf planen und fertig haben und mich immer daran halten, sondern kann in Jahresplänen denken und vielleicht auch vielmehr

IN FREUDE! Was macht mir Spaß? Was will ich gern machen, worauf habe ich Lust?

Denn dann wird es fließen und wird sich vielleicht von ganz allein ergeben. Vielleicht, ganz vielleicht bin ich oft viel zu ernsthaft und viel zu verkopft.

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