Von Rezepten lernen: Schwarzwälder

Mit dem Rezept des “Schwarzwälders” (Opens in a new window) eröffne ich eine lose Reihe von Beiträgen, in denen ich mehr oder weniger zufällig ausgewählte Blogrezepte im Detail vorstelle. Ziel soll sein, einmal ganz genau alle Zutaten, Mengenverhältnisse, Vorstufen und Vorgehensweisen unter die Lupe zu nehmen und zu erklären, warum ich das Rezept genau so und nicht anders entwickelt habe oder was wie warum Sinn ergibt und im Teig passiert.
Ein schöner Nebeneffekt: Du lernst so Stück für Stück etwas über Rezeptentwicklung und über die Art, wie ich gutes Brot verstehe.
Auf geht’s!
Rohstoffe
Sehen wir uns die Rohstoffe an:
Weizenvollkornmehl
Dinkelvollkornmehl (und etwas Dinkelmehl im Anstellgut)
grobes Roggenschrot (und etwas Roggenmehl im Anstellgut)
Salz
Wasser

Eine übersichtliche Liste. Warum gerade diese Getreideprodukte? Das ist einfach beantwortet. Ich hatte davon noch genug übrig. Kurz vor der Abreise in den Schwarzwald habe ich die Reste aus der Backstube eingepackt und musste damit etwas machen.
Warum keine Hefe? Ich wollte ein reines Sauerteigbrot backen. Das passte besser zum historischen Holzofen.
Mengenverhältnisse
In welchem Verhältnis stehen die Zutaten zu einander?
54% Weizenvollkornmehl
24,75% Dinkelvollkornmehl (und 0,25% Dinkelmehl aus dem Anstellgut)
20% grobes Roggenschrot (und 1% Roggenmehl im Anstellgut)
2,1% Salz
76,25% Wasser (75% normal und 1,15% aus dem Anstellgut)
Rechnen wir alle Getreideprodukte zusammen, ergeben sich 100%. Das ist die Bezugsgröße für alle anderen Zutaten. In diesem Rezept ist das überschaubar: Wasser und Salz. Salz wird in der Regel mit 1,8-2,2% eingesetzt. Dann entspricht der Brotgeschmack ungefähr den Gewohnheiten. In diesem Rezept habe ich mich für 2,1% entschieden, um etwas mehr “Würze” zu haben und den Teig etwas stabiler zu bekommen (Salz strafft den Kleber).
Die Wassermenge ist immer kritisch und äußerst abhängig von der Mehlqualität. Ich bin beim ersten Versuch zunächst mit 70% herangegangen und habe dann während des Mischens beobachtet, wie sich der Teig verhält, zumal der Teig nach dem Formen ohne Gärkorb frei auf Brettern reifen können musste. Durch das Vollkornmehl und das ans Schrot gebundene Wasser konnte ich mich noch auf gut 75% steigern (also gut 75 g Wasser auf 100 g Mehl).
Ziel ist immer eine bestimmte Teigkonsistenz. Diese ist abhängig vom Gebäck, das gebacken werden soll und beruht weitgehend auf Erfahrungswerten.
Grundregel: Erstmal weniger Wasser und dann nachschütten, bis die Konsistenz passt.
Der Teig war angenehm klebrig, hatte aber dennoch eine straffe Struktur und Stand.
Zutatenverteilung
Es könnte so einfach sein, wenn man sich die Zutatenübersicht ansieht. Warum habe ich dann neben dem Hauptteig noch zwei Sauerteige und ein Brühstück ins Rezept gebaut?
Mindestens ein Sauerteig wäre nötig, um den Teig zu lockern, da keine Hefe im Spiel ist. Hier hätte ich zwischen Dinkel- oder Roggensauerteig wählen können. Die Versäuerung hätte dann insgesamt genauso hoch sein müssen, wie sie es im aktuellen Rezept mit beiden Sauerteigen ist, also 21,25% (10+1% Schrot/Mehl aus dem Roggensauerteig und 10+0,25% aus dem Dinkelsauerteig).
Hätte ich also nur einen Roggensauerteig verwenden wollen, hätte ich auf das Brühstück aus Schrot verzichten müssen. Das aber war mir wichtig, weil ich einerseits viel Wasser binden wollte, um ein saftiges Brot bei einem gleichzeitig nicht zu weichen Teig erreichen wollte. Andererseits wollte ich das Schrot möglichst weich in den Teig geben. Das klappt zwar auch mit Einweichen im Sauerteig, aber besser und angenehmer zu kauen ist es über ein Brühstück.
Andere Möglichkeit: nur der Dinkelsauerteig. Die Mehlmenge hätte ausgereicht, aber die Versäuerung wäre für mein Säureempfinden mit gut 20% zu hoch gewesen. Dinkel- oder Weizensauerteige hinterlassen bei identischer Versäuerung mehr geschmacklich wahrnehmbare Säure (“schärfer”) als Roggensauerteige. Deshalb bin ich bestrebt, die Versäuerung runterzuschrauben. Das aber hat zur Folge, dass sich die Reifezeit des Brotteiges verlängert, weil der Sauerteig auch mein Lockerungsmittel ist. Weniger Sauerteig ist gleichbedeutend mit weniger Lockerungsmittel, ergo mehr Reifezeit. Das war durch die äußeren Rahmenbedingungen ausgeschlossen. Es gab nur ein bestimmtes Zeitfenster vor Ort, auch weil wir noch gut mit dem Holzofen zu tun hatten. An der Versäuerung war also nicht zu rütteln. Die Höhe der Versäuerung im Verhältnis zur gewünschten Reifezeit ist im Wesentlichen wieder ein Erfahrungswert und stark vom konkreten Rezept abhängig (z. B. reift der Teig bei Vollkornmehl oder hoher Teigausbeute (Opens in a new window) viel schneller).
Die Lösung war: beide Sauerteigarten einsetzen, je zur Hälfte. Das hat neben den schon genannten Punkten auch den Vorteil, dass zwei verschiedene Sauerteige in einem Brot einen komplexeren Geschmack erzeugen und die Krume bei weizen-/dinkellastigen Broten lockerer (weniger “zäh”) gelingt, als würde nur ein Sauerteig genutzt (diese Beobachtung gilt, wenn einer von beiden Sauerteigen ein Roggensauerteig ist). Eine handfeste Erklärung habe ich zu dieser Beobachtung bislang nicht ausfindig machen können.

Noch wenige Worte zum Brühstück:
Neben der schon genannten Wasserbindung und dem Aufweichen des Schrotes kommt ein weiterer Vorteil hinzu (wenn auch bei Grobschrot weniger ausgeprägt). Die nunmehr verkleisterte, also aufgebrochene Stärke kann im Brühstück selbst wie auch im Hauptteig bereits von getreideeigenen Enzymen (Amylasen) in Zucker gespaltet werden (vorwiegend Maltose). Diese Zucker helfen nicht nur dem mikrobiellen Stoffwechsel während der Teigreifung, sondern verbessern auch die Intensität der Krustenfarbe und die Knusprigkeit. Nebenbei gibt ein Roggenschrotbrühstück eine malzig-herbe Nuance ins Geschmacksprofil, die ich sehr mag.
Sauerteigführung
Sobald Roggen zu einem Sauerteig verwandelt werden soll, steht seit Jahren eine von mir weiterentwickelte Variante der Monheimer Salzsauerführung auf Platz 1 der Hitliste der besten Sauerteigführungen. Sie vereint die Einfachheit einer Einstufenführung (einmal anmischen und stehenlassen) mit der geschmacklichen Komplexität und Triebkraft einer Dreistufenführung (dreimal mit unterschiedlichen Teigausbeuten, Wasser- und Reifetemperaturen anmischen und stehenlassen).

Das vergleichsweise heiße Wasser bringt den gemischten Sauerteig auf eine Temperatur von 35°C, die sich ganz automatisch über die folgenden 12 Stunden auf Raumtemperatur (20°C) senkt. Der Sauerteig durchläuft also den Temperaturbereich (30-35°C), der ideal für die Milchsäurebakterien ist, um viel milde Milchsäure zu produzieren und damit das für den sauren oder milden Geschmack zuständige Verhältnis aus Milch- und Essigsäure zu Gunsten der Milde zu verschieben. Er durchläuft aber auch die Temperaturzone, die Hefen lieben, um sich zu vermehren (22-26°C).
Das Salz bremmst die Milchsäurebakterien in ihrer gesamten Säureproduktion, während sich die Hefen davon nicht beeindrucken lassen (das würden sie erst bei 6-8%, hier haben wir aber nur 2% der Sauerteigschrotmenge bzw. 0,2% der Gesamtgetreidemenge im Rezept).
Damit der vom Salz gebremste Sauerteig trotzdem nach 12 Stunden bei 20°C reif ist, kommt relativ viel Anstellgut zum Einsatz (20% der Sauerteigschrotmenge bzw. 2% der Gesamtgetreidemenge im Rezept).

Beim Dinkelsauerteig ist es einfacher. Salz hat in Dinkel- und Weizensauerteigen nicht diesen offensichtlichen Effekt wie bei Roggensauerteig, ohne dass ich bis dato eine schlüssige Erklärung dafür hätte finden können. Ich wollte dennoch einen möglichst milden Sauerteig herstellen. Deshalb habe ich mich für eine weiche Führung entschieden (gleiche Teile Mehl und Wasser, also Teigausbeute 200), zumal ich auch nur weiches Dinkelanstellgut dabei hatte.
Goldene Regel: Nimm’ möglichst das Anstellgut für deinen Sauerteig, das die gleiche Zusammensetzung hat, wie der Sauerteig, den du damit herstellen möchtest. Weich zu weich, fest zu fest.
Weil es praktisch ist, dass beide Sauerteig zur gleichen Zeit angemischt und reif sind, war nun die Frage nach der Anstellgutmenge an der Reihe. Sie bestimmt im Wesentlichen die Reifezeit (neben der Temperatur und dem Wassergehalt/Teigausbeute). Temperatur (20°C) und Teigausbeute (200) waren gesetzt, die Zeit auch (12 Stunden). Aus der Erfahrung anderer Rezepte hätte ich mich für etwa 10% der Sauerteigmehlmenge als Anstellgut entschieden. Das wäre aber schiefgegangen, denn im Sauerteig steckt Vollkornmehl. Vollkornmehl ist enzymstärker als Auszugsmehl und beschleunigt die Teigreife. Deshalb habe ich nur 5% Anstellgut verwendet (oder 0,5% bezogen auf die Gesamtmehlmenge im Rezept).
Hauptteig

Von entscheidender Frage beim Mischen und Kneten des Hauptteiges ist die ideale Teigtemperatur und damit zusammenhängend die passende Wassertemperatur. Alle anderen Zutaten im Rezept haben ca. 20°C, auch die Vorstufen (beide Sauerteige und das Brühstück). Bei weizenlastigen Sauerteigbrotteigen ist eine Teigtemperatur von 27-28°C wünschenswert, damit das Brot richtig mild wird. Würdest du die Zutaten einfach nur mischen, dann wäre eine Wassertemperatur von rund 79°C nötig. Da der Teig nach Rezept aber auch noch maschinell geknetet wird, hängt die richtige Wassertemperatur vor allem von der zu erwartenden Teigerwärmung durch die Knetmaschine ab. Diese Kneterwärmung ist wieder ein individueller Erfahrungswert. Um dafür ein Gefühl zu entwickeln, hilft es, immer wieder die Teigtemperatur zu messen, bei verschiedenen Teigkonsistenzen, Teigmengen, Geschwindigkeiten und ggf. auch in verschiedenen Knetern, sofern mehrere zu Hause stehen. Ich habe als Kneterwärmung 4°C angenommen, da der Teig durch den Dinkel- und Roggenanteil nicht so ausdauernd wie ein reiner Weizenteig geknetet werden muss. Mit dieser Kneterwärmung ist “nur noch” eine Wassertemperatur von 50°C nötig. Aber auch das ist noch kritisch für die triebigen Sauerteige.
Deshalb ist die richtige Reihenfolge beim Einwiegen wichtig. Zunächst wird das Brühstück in die Knetschüssel gegeben, dann das heiße Wasser darauf (ggf. etwas umrühren, um die Temperatur zu senken), dann das Mehl als Trennschicht und dann erst die Sauerteige auf das Mehl. Durch das Mischen gleicht sich die Temperatur rasch an (auf 24°C). Während des anschließenden Knetens kommen weitere 4°C hinzu, um schließlich 28°C Teigtemperatur zu erhalten.

Der weitere Ablauf ist schnell erklärt. Ein reines Sauerteigbrot mit Weizen-/Dinkeldominanz profitiert davon, in der Stockgare (1. Teigruhe) schon kräftig Schwung holen zu können. Die Stockgare sollte also recht lang andauern und zwar so lang, bis sich das Teigvolumen knapp verdoppelt hat. In der ersten Hälfte dieser Zeit wird der Teig aufgezogen (gedehnt und gefaltet), um ihm mehr Stabilität zu geben. Dies ist ein wichtiger, nicht zu unterschätzender Arbeitsschritt, der mit etwas Routine quasi nebenbei und unmerklich innerhalb weniger Sekunden von der Hand geht.
Nach dem straffen Rundwirken ruht der Teigling mit Schluss nach unten nochmals, dieses Mal im Gärkorb. Schluss nach unten, damit das Brot später beim Backen schön rustikal aufreißt. Denn dann ist der Schluss oben. Wäre er das schon während der Stückgare (2. Teigruhe) im Gärkorb, würde er sich bereits öffnen und der Teigling seine durchs Wirken eingebrachte Spannung verlieren (und damit Volumen). Die Volumenzunahme liegt in der Stückgare bei ca. 60-70%, damit der Teig noch ausreichend stabil ist, um im Ofen den kräftigen Trieb aufzufangen.
Guter Dampf (Opens in a new window) hilft dem Ofentrieb und dem Aufplatzen des Schlusses genauso wie heißes Anbacken auf dem Backstein. Die Backzeit und Ausbacktemperatur sind Richtwerte, die für jeden Ofen individuell angepasst gehören.
Fertig ist das Brot!
