Liebe Pfefferhasis und Newsletter-Mäuse,
Sonntagabend, Zeit für ein neues Kapitel meiner Serie "Argumentieren gegen Rechts". In Woche 1 ging es um Boomer, die "Schmerzen" beim Gendersternchen haben (Opens in a new window), Woche 2 widmete sich dem Strohmann-Argument "Wir können nun mal nicht die ganze Welt aufnehmen" (Opens in a new window), Woche 3 griff den Pseudozusammenhang in "Für Flüchtlinge wird Geld ausgegeben, aber deutsche Rentner müssen Flaschen sammeln!" (Opens in a new window) auf und heute soll es um die "Hufeisentheorie" gehen, die oft gepaart mit Whataboutism einhergeht. Ein klassisches Beispiel dafür ist der folgende Satz:
"Es gibt doch auch viel linke Gewalt, warum redet niemand darüber?"
Diese Aussage erfüllt gleich mehrere Funktionen in der rechten Argumentationsstrategie:
sie lenkt vom Thema (Rechte Gewalt) ab, bzw. soll die Diskussion auf ein anderes Thema umlenken (Linke Gewalt) (=Whataboutism)
sie setzt rechte und linke Gewalt gleich (= Hufeisentheorie)
sie unterstützt den Opfermythos (dazu in einem der nächsten Newsletter mehr), indem behauptet wird, Gewalt von Rechts würde überproportional thematisiert, während die Linke verharmlost würde
Bleiben wir erst kurz beim Whataboutism. Dabei geht es darum, die Diskussion von einem Thema weg, hin zu einem anderen zu lenken. "Aber was ist mit…" ist eine typische Einleitung eines Whataboutism-Arguments. Hier ist es entscheidend, auf dem eigentlichen Thema zu bestehen.
"Wir reden aber gerade nicht von linker Gewalt, sondern es geht um rechte Gewalt. Bitte lass uns beim Thema bleiben."
So behalten wir die Kontrolle über das Gespräch. Wenn wir uns auf den Whataboutism einlassen, wird diese Strategie immer wieder angewandt. Sie dient ja vor allem der Ablenkung, um echten Austausch geht es nicht.
Kommen wir jetzt zum Thema "Hufeisen". Hier muss ich ein klein wenig ausholen. Insbesondere liberal- bis rechtskonservative Stimmen stellen das Spektrum politischer Überzeugungen häufig als ein Hufeisen dar: Die gemäßigte Mitte als Ideal und von ihr abweichend die Strömungen links und rechts. Die Enden des Hufeisens stehen sich gleichberechtigt gegenüber, "linksextrem" auf der einen und "rechtsextrem" auf der anderen Seite. Die Hufeisentheorie stellt beide Seiten als mehr oder weniger wesensgleich dar und lässt Links- und Rechtsextremismus als gleichermaßen problematisch für die Demokratie erscheinen. Die "Hufeisen-Theorie" ist eine fahrlässige Vereinfachung des politischen Systems. Indem Rechts- und Linksextremismus als "gleich schlimm" dargestellt werden, werden Menschenfeindlichkeit, Vernichtungsfantasien, NS-Verherrlichung und White Supremacy verharmlost. Seit 1990 gab es in Deutschland mindesten 219 Todesopfer rechter Gewalt (Opens in a new window). Die linke Gewalt, die sich überwiegend gegen Sachen richtet, damit gleichzusetzen ist eine Verhöhnung aller Opfer von rassistischer, antisemitischer und anderer menschenverachtender Gewalt.
Die "Hufeisen-Theorie" suggeriert außerdem, es gäbe eine "neutrale" Mitte zwischen Faschismus und Antifaschismus. Es wird der Anschein erweckt, beides seien "Extreme", von denen sich gemäßigte Bürger*innen fernhalten sollten.
Wen unser Gegenüber rechte und linke Gewalt gleichsetzt oder es so aussehen lassen will, als wäre beides gleichermaßen demokratiegefährdend, müssen wir dem entschieden entgegentreten. Gewalt ist nicht gleich Gewalt und auch wenn wir natürlich darüber streiten können, ob Gewalt, z.B. in Form von Sachbeschädigung oder Straßenblockaden, ein legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung ist, so dürfen wir uns nicht darauf einlassen, rechte Gewalt, die sich sehr häufig direkt gegen die körperliche Unversehrtheit und das Leben von Menschen richtet, zu verharmlosen.
In diesem Fall rate ich übrigens eher davon ab, mit Zahlen zu argumentieren. Denn auch wenn die Anzahl rechtsextremer Straftaten (25.700) die als linksextrem eingestuften (4.250) weit übersteigt, basieren diese Zahlen doch auf Polizeistatistiken und sind nicht neutral. So wird z.B. die Beteiligung an einer Straßenblockade gegen einen Neonaziaufmarsch als "linksextrem" kategorisiert, unabhängig davon, wer da eigentlich sitzt.
Halten wir uns also lieber an die Qualität der Gewalt, wenn rechts und links verglichen werden sollen, als an die Quantität.
"Linke Gewalt richtet sich in erster Linie gegen Sachen, manchmal gegen den Staat, ab und zu gegen Nazis. Rechte Gewalt richtet sich fast immer gegen Menschen, gegen Einzelne oder Gruppen, wie bspw. Bewohner*innen von Geflüchteten-Unterkünften. Ich finde nicht, dass man das vergleichen kann. Damit wird die menschenfeindliche Motivation von rechter Gewalt gefährlich verharmlost."
Ich hoffe, das hilft ein bisschen weiter. Ich kann darüber hinaus diesen lesenswerten Text von Kira Ayyadi (Opens in a new window) empfehlen.
Im Wochenrückblick geht es u.a. um rechtextremes Kampfsporttraining in einer Berliner Sporthalle, einen Appell des Journalisten-Verbandes an seine Mitglieder, Polizeimeldungen nicht ungeprüft zu übernehmen, das Dilemma der Friedensbewegung und wie immer um mehrere Femizide.
Weil heute der erste Sonntag des Monats ist, verlose ich wieder ein Buch aus meinem Stapel unter allen Steady-Supporter*innen (Opens in a new window). Heute hat Ella K. (Silent Support Hasi) gewonnen. Ich schicke dir das Buch "Das Patriarchat der Dinge – Warum die Welt Frauen nicht passt" von Rebekka Endler (Opens in a new window) zu.
Das wars für heute, ich hoffe, ihr kommt gut durch die Woche, passt auf euch und aufeinander auf
Ulla
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