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Vom Markt und was er für Venedig bedeutet - bis zu Melonis Heiligsprechung

Wollte jetzt erst mal mit einem schönen Bild anfangen, nach dem sich ja alle sehnen, wenn es um Venedig geht. Die Wohnungsnot, ja klar, man hat schon von der Airbnb-Plage gehört, aber wenn die Hotels so teuer sind, was kann man da anderes machen, als auch eine Wohnung zu mieten?

Selbst einige meiner guten Freunde, begeisterte Leser von “Als ich einmal in den Canal Grande fiel” (Opens in a new window), gestanden mir beim Abendessen tapfer, dass ihnen nichts anderes übrig geblieben sei, als für ihren Venedigbesuch eine Ferienwohnung zu mieten. Der Markt, der Markt, der Markt!

Ja, der Markt regelt alles. Also fast. Und damit er das schafft, wurden ihm in Venedig sämtliche Hürden aus dem Weg geräumt. Besonders verdient gemacht hat sich dabei der ehemalige Parteichef der demokratischen Partei Bersani (Opens in a new window), mit einem Gesetz (Opens in a new window), das seinen Namen trägt. Es ist ein Gesetz, das der unternehmerischen Freiheit und dem freien Warenverkehr alle Hürden aus dem Weg räumen sollte. Mit diesem Gesetz hat Bersani im fernen Jahr 1998 das europäische Gesetz zur Handelsliberalisierung in Italien durchgesetzt, was bedeutete, dass die bestehenden Handelsbeschränkungen für Venedig abgeschafft wurden.

Um das tägliche Leben der Venezianer nicht zu ersticken, war bis dahin für jedes Stadtviertel eine maximale Anzahl von Restaurants/ Souvenirgeschäften festgelegt. Außerdem kamen venezianische Gewerbe vom Bäcker bis zum Muranoglasbläser in den Genuss von Steuererleichterungen, mit denen der Wettbewerbsnachteil einer Stadt, die im Wasser liegt, ausgeglichen werden sollte. Damit machte Bersanis Gesetz Schluss - und hat den vielen venezianischen Bürgermeister und Stadträten, die sich in den verschiedenen Stadtverwaltungen abgelöst haben, die Ausrede für ihre offensichtliche Unfähigkeit und Ineffizienz geliefert: Leider leider seien ihnen die Hände gebunden, um die Kommerzialisierung Venedigs zu bremsen. Das Ergebnis dieses Gesetzes können Sie bei jedem Venedig-Besuch selbst in Augenschein nehmen: keine Spur mehr von venezianischem Leben.

Zu den Handelserleichterungen gehörte auch die Verordnung zum „Umbau von Wohnungen in hotelgewerblicher Absicht“, die der venezianische Stadtrat im Jahr 2001 erließ, dadurch konnten allein im Zeitraum von zwei Jahren 80 000 Quadratmeter Wohnfläche in Hotels, Pensionen und Locanden verwandelt werden. Das entspricht einer Fläche von 20 Fußballfeldern. Der Rest folgte später und führte dazu, dass heute vier von zehn Wohnungen in Venedig nicht von Einwohnern bewohnt werden (Opens in a new window), dazu gehören Ferienwohnungen, auch Zweitwohnungen und Wohnungen, die nur vorübergehend an Studenten vermietet werden. (Interessant ist an dieser Statistik für mich, dass Venedig nur noch von Palermo übertroffen wird, wo mehr als 45 Prozent der Wohnungen in der Altstadt nicht mehr von Einwohnern bewohnt werden - sich also in Ferienwohnungen verwandelt haben. Wer nach Palermo fährt, wird das historische Zentrum der Stadt nicht mehr wiedererkennen.)

Und während die Venezianer verzweifelt auf der Suche nach Wohnungen sind, verfallen die Sozialwohnungen: 2000 Sozialwohnungen stehen in Venedig leer. Falls Sie Venedig besuchen, können Sie diese verrottenden Sozialwohnungen unter anderem auf der Giudecca besichtigen. Die venezianische Bürgerinitiative Ocio (Opens in a new window), die sich mit dem venezianischen Wohnungsproblem beschäftigt, macht immer wieder deutlich, dass der soziale Wohnungsbau seit Jahrzehnten praktisch brachliegt und die leer stehenden Sozialwohnungen schließlich privaten Bietern zum Kauf angeboten werden.

Gesagt, getan: Weil das Geld für den von Brugnaro gewünschten Bau des Sportpalastes auf dem Festland nicht reicht (Kosten: 320 Millionen Euro, finanziert vor allem mit den Geldern des Sondergesetzes zum Erhalt von Venedig), will der Bürgermeister nun Sozialwohnungen zum Kauf anbieten (Opens in a new window): Wohnungen, die mit staatlichen Geldern gebaut wurden, können nach dem Willen des Bürgermeisters von ihren Bewohnern mit einem Skonto von 40 Prozent erworben werden. Angeblich gilt das nur für Wohnungen, die sich auf dem Festland befinden. Mal abgesehen davon, dass sich Mestre schon lange zur Schlafstadt für Touristen verwandelt hat, geht es Brugnaro vor allem um Geld für den Sportpalast: Brot und Spiele für das Festland.

Darüber und vieles mehr haben Christopher Weingart und ich mit vielen Venezianern für unser Feature “Die letzten Venezianer. Eine Stadt kämpft ums Überleben” (Opens in a new window)gesprochen. Der Deutschlandfunk sendet es am 22. April um 19.15 Uhr. Hier sind wir zur Recherche unterwegs:

Zu Wort kommen Venezianer wie Francesco Penzo von Ocio, Silvio Testa (Opens in a new window), Journalist und Autor, Begründer und einstiger Sprecher der Bürgerinitiative No Grandi Navi (Opens in a new window), Lidia Fersuoch vom Kulturschutzbund Italia Nostra, natürlich auch der smarte Stadtrat für Tourismus Simone Venturini - und nicht zuletzt der Regisseur und Bühnenbildner Ezio Toffolutti (Opens in a new window). Seine neueste Inszenierung hat übrigens am 2. Mai in Venedig im Theater Malibran mit Kurt Weills Oper “Der Protagonist” (Opens in a new window) Premiere.

Und während wir uns in Venedig noch mit Brugnaro herumschlagen, versuchen sich die italienischen Medien in der hermeneutischen Auslegung der letzten epochalen Ereignisse den Rang abzulaufen: Melonis Aufwartung bei Trump und der Besuch von J.D. Vance in Rom. Als Leser kommt man zwangsläufig zu dem Schluss, dass Melonis diplomatische Leistung einem Epochenbruch gleichkommt, vergleichbar nur noch mit der Erfindung des Rades. Giorgia Meloni steht kurz vor der Heiligsprechung: “Eine Reise, die die Regierungschefin stärkt”schreibt der Corriere della Sera und jubelt: “Meloni bei Trump. Er kommt nach Rom. Die Annäherung an Brüssel”. Die Repubblica überschüttet Meloni mit Beifall: “Die Premierministerin hat ein Ja bekommen. Er kommt nach Rom, um mit der EU zu reden”, während Il Giornale “Mission erfüllt” jauchzt und ankündigt: “Wir sind dabei, ein ernstzunehmendes Land zu werden”.

Von all diesen Jubelarien lässt sich auch der Rom-Korrespondent der Süddeutschen infizieren und kann sich nicht mehr einkriegen: “An Trump-Versteherin Meloni führt in Europa kein Weg mehr vorbei” (Opens in a new window).

Wobei zu bedenken ist, dass es für Staatschefs inzwischen schon als Erfolg und Anerkennung gilt, wenn einer das Oval-Office ohne Schrammen und Beulen verlässt, also ohne zuvor beleidigt, verhöhnt oder lächerlich gemacht worden zu sein. Trump ist für Giorgia sehr wichtig, denn letztlich ist er es, der ihre Position stärkt, im Inland wie im Ausland: “Italien hat klarerweise nicht die politische und wirtschaftliche Macht, die strukturellen Voraussetzungen oder die Haltung, um informell die Verhandlungen über die Zölle für die ganze EU zu leiten, und Frankreich und Deutschland haben keine Absicht, ihre Rolle aufzugeben. Genau deshalb bittet Meloni Trump, ihr die politische Rückendeckung zu geben, die ihr fehlt, um ihre Position zu stärken”, ist in Domani zu lesen. Und weiter: “Der Aufstieg und die Etablierung ihrer Regierung sind das Ergebnis einer klugen Arbeit zur Beruhigung der Brüsseler Bürokratie und der europäischen Regierungen, die durch die Vermittlung von Teilen des Establishments erreicht wurde, die garantiert haben, dass sie keine Gefahr für den Zusammenhalt Europas darstellt, sondern eine Ressource, die es zu integrieren gilt. Meloni ist sich auch bewusst, dass die Leine der EU-Kommission kurz ist. Es stehen noch drei Raten des Europäischen Aufbauplans (fast 60 Milliarden) aus, es gibt die heikle Frage des Auffanglagers in Albanien (das von Ursula von der Leyen legitimiert wurde), und in den höchsten Kreisen der Kommission steht einer ihrer Praetorianer: Realismus und Vorsicht legen nahe, sich getreu im Rahmen der EU zu bewegen, ohne unabgestimmte Abweichungen.”

Die Frage hier ist nur, wer mehr von der “Normalisierung” der Ex-Post-Neofaschistin Melonis und ihrer Brüder Italiens profitiert: Die EU oder die europäische Rechte? Denn eines muss klar sein: Meloni ist und bleibt eine glühende Nationalistin, ihre pro-europäische Haltung speist sich allein aus den Geldern der Next Generation EU (Opens in a new window) - dem, Ironie des Schicksals, der (bereits verwässerte) Green-Deal zugrunde liegt, der für Melonis Blutsbrüder die Inkarnation des Teufels darstellt.

Unterm Strich bleibt also von Melonis Kniefall vor Trump nicht viel übrig: zu den angekündigten Zöllen hat Trump nichts Konkretes gesagt, viel mehr war er nur begeistert, zu hören, dass Meloni, die einst „die Giganten des Internets“ treffen wollte, jetzt verspricht, die Big Tech nicht mit einer Digitalsteuer anzutasten. (Dass es mit der Digitalsteuer nicht so einfach ist, wie viele hoffen, ist hier übrigens gut dargelegt (Opens in a new window)).

Und zum Schluss noch eine Leseempfehlung zu Ostern und zum Frieden: “Die weißen Tauben flattern nach rechts Der Kampf für den Frieden galt mal als linkes Projekt, inzwischen haben ihn Rechte gekapert. Wie konnte das passieren?”

https://www.zeit.de/kultur/2025-04/friedensbewegung-ostermarsch-pazifismus-friedenstaube (Opens in a new window)

Jetzt bleibt mir nur noch, Ihnen mit diesem schönen Bild von der Giudecca frohe Ostern zu wünschen!

Herzlichst grüßt Sie aus Venedig, Ihre Petra Reski

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