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Gerade bin ich von einem Kurzurlaub im Salento (Südspitze Apuliens) zurückgekehrt. Der Salento sieht aber nicht nur so aus, sondern auch so: 

Über Jahre habe ich mich mit dem sogenannten „Rätselhaften Sterben der Olivenbäume“ beschäftigt, weil dieser Fall für mich der beste Beweis dafür ist, dass Umweltdelikte ganz legal begangen werden können - unter den Augen aller:  Auf der einen Seite steht eine Phalanx aus interessengeleiteten Forschern, Behörden, Interessenverbänden, Agrarmultis und politischen Parteien (allen voran die apulische Regionalregierung), die in der Feuerbakterie, Xylella fastidiosa, die einzige Ursache für das Vertrocknen tausender alter Olivenbäume sieht, weshalb sie die Olivenbäume schnellstens fällen will. Ihr gegenüber stehen Bürgerinitiativen, unabhängige Wissenschaftler, Staatsrechtler, Umweltschützer und Vertreter eines nachhaltigen Olivenanbaus, die nicht an der Existenz der Feuerbakterie zweifeln, wohl aber an der Schuldzuweisung, dass ausschließlich die Feuerbakterie für das Vertrocknen der Olivenbäume verantwortlich sei. Staatsanwälte ermittelten, dass die Forschung  auf „unglaublichen Schlampereien“ basiere, weshalb „begründete Zweifel an den Schlussfolgerungen“ berechtigt seien: Anzeigepflichtverletzung, Stillschweigen und Dokumentenfälschungen wurden festgestellt – wobei sogar das Wort omertà fiel, was bizarr anmutet, wenn richterlich gerügt wird, dass seitens der Forschungseinrichtungen und Behörden ein mafioses Stillschweigen praktiziert wurde. Es wurden nicht nur Unregelmäßigkeiten beim Einsatz öffentlicher Gelder festgestellt, sondern auch Falschaussagen und Urkundenfälschungen, weshalb jetzt die Staatsanwaltschaft Bari ermittelt. 

Aufgrund von Bodenproben, die im Rahmen eines Projekts im Verbund mit der Krebsliga entnommen wurden, konnten  Schwermetalle im Boden des Salento nachgewiesen werden: Im Salento sterben nicht nur die Olivenbäume, sondern auch die Menschen - in der Provinz Lecce und damit im Notstandsgebiet des Xylella-Befalls herrscht eine erhöhte Lungenkrebsrate bei Männern. Die Ursachen dafür sind unbekannt, allerdings ergaben Untersuchungen eine alarmierende Vergiftung der Böden mit Dioxin, Arsen und Schwermetallen – eine ökologische Zeitbombe, die in den Böden des Salento ruht. 

Staatsanwälte ermittelten, dass ab dem Jahr 2010 im Salento nicht genehmigte Pflanzenschutzgifte getestet wurden; ab 2011 auch offiziell ein Mittel von Monsanto: Roundup, mit dem Wirkstoff Glyphosat, den Experten der Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ einstufen. Wo die „Experimentierfelder“ liegen, darüber schweigen die Genehmigungsbehörden bis heute. 

Die Rettung der Olivenbäume liege, so meinen die Aktivisten, nicht im Kahlschlag, sondern in der Heilung der kranken Bäume. „Begeht nicht den gleichen Fehler wie wir: Das Fällen der Bäume allein bringt nichts. Man muss mit dem Bakterium leben und daran arbeiten, die Pflanzen zu stärken“, sagte einer der anerkannten Xylella-Forscher. Die zahlreichen Therapien renommierter Forscher, mit denen es gelungen ist, vertrocknete Olivenbäume wiederzubeleben (Opens in a new window), werden indes totgeschwiegen, weil sie in den Augen der Befürworter eines Kahlschlags der Ketzerei gleichkommen. Denn wo kein Drama ist, da fließen keine Gelder, vor allem nicht für den Einsatz genmanipulierter und damit patentrechtlich geschützter Sorten. 

Die Xylella fastidiosa werde instrumentalisiert, um die Landschaft umzubilden, sagen die Gegner der Abholzungspläne der Olivenbäume. Schließlich erlebt der Salento seit einigen Jahren einen Tourismusboom, der zur Folge hat, dass Olivenbäume Hotelanlagen, Golfplätzen und Resorts im Weg stehen.

Offenbar verbergen sich also mächtige Interessen hinter dem Programm zur Abholzung der Olivenbäume im Salento. Und weil manchen das Abholzen noch nicht schnell genug geht, werden Olivenbäume in Brand gesetzt. Im letzten Semesterbericht der Direzione Investigativa Antimafia heißt es: „Der Alarm bezüglich der Brände von Olivenbäumen, die von dem Xylella-Bakterium befallen sind, bleibt bestehen.“ Im Salento häufen sich die Brände, Tausende von Olivenbäumen und Hunderte von Hektar werden von den Flammen verzehrt. Allein im Mai dieses Jahres brachen 900 Brände in landwirtschaftlichen Gebieten der Provinz Lecce aus, berichtete der italienische Landwirtschaftsverband.

Ungeachtet der erstaunlichen Ergebnisse staatsanwaltlicher Ermittlungen, die Interessenskonflikte zwischen den beteiligten Forscher und Agrarmultis offenlegten, lautet das von den italienischen Medien verbreitete Dogma: »Es gibt keine Rettung für die Olivenbäume«. Dem schlossen sich via Copy&Paste auch die deutschen Medien an, vom Spiegel (Opens in a new window) über die Süddeutsche Zeitung (Opens in a new window) bis zur ZEIT (Opens in a new window). Wie bedeutend die Rolle der Journalisten bei der Etablierung des dominanten Narrativs war, erschließt sich auch daraus, dass der Agrarmulti Monsanto offenbar Listen mit Kritikern führte – unter denen sich auch Deutsche befanden.

Ich habe über diesen Umweltskandal viele Artikel (Opens in a new window) und für GEO eine sehr aufwendige Reportage (Opens in a new window) geschrieben. Wer an den Hintergründen interessiert ist, dem schicke ich sie auf Anfrage gerne zu. 

Und in diesem Zusammenhang ist eine Randnotiz der italienischen Politik nicht uninteressant, die auch in deutschen Medien (Opens in a new window) ankam: Außenminister Luigi Di Maio (Opens in a new window) verließ die Fünfsterne-Bewegung und gründete mit 60 weiteren Fahnenflüchtigen eine eigene Partei.  

Ich habe die Fünfsterne seit ihrer Gründung mit Sympathie verfolgt, aber zunehmend irritierte mich, wie viele Fünfsterne-Abgeordnete, die ich noch als bärtige Aktivisten in Flusenpullovern auf irgendwelchen Kundgebungen beobachtet hatte, immer öfter mit einem Glas Champagner in der Hand in römischen Salons auftauchten.  Die Transformation der Fünfsterne erfolgte in atemberaubender Geschwindigkeit. Schon die Anhänger der Lega hatten schmerzlich erleben müssen, wie wohl sich die Abgeordneten und Minister der Lega im Schoß des räuberischen Rom fühlten, der Roma ladrona: Angesichts von Dienstwagen, Leibwächtern, Freiflügen und Kofferträgern war keine Rede mehr von Separatismus. 

Luigi Di Maios flexible Haltung war mir nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Xylella-Angelegenheit aufgefallen. 2018 haben die Fünfsterne nicht zuletzt mit ihrer Gegnerschaft im Hinblick auf die Abholzung der Olivenbäume einen spektakulären Wahlsieg in Apulien errungen. Kaum waren sie an der Macht, sprach sich Di Maio für ein "chirurgisches Fällen" der Olivenbäume aus. Heute wird zumindest im Salento wohl kaum noch jemand die Fünfsterne wählen. 

In Italien hat es allein in dieser Legislaturperiode bisher 413 Fraktionswechsel zwischen Parlament und Senat gegeben, während in Deutschland in den letzten Jahrzehnten nur etwas mehr als eine Handvoll deutscher Abgeordneter einen  Parteiwechsel gewagt hat. Wie man am Beispiel Di Maios sehen kann, hat er auf grandiose Weise gelernt, wie man "die Politik" zu seinem eigenen Vorteil nutzen kann, und je länger man im Parlament sitzt, desto besser wird man darin. 

Di Maios atemberaubender Opportunismus macht ihn fast zur Romanfigur - prinzipienlos, den eigenen Vorteil suchend, ist er dennoch, als Meister im Ergreifen der günstigen Gelegenheit, der Bewunderung vieler Italiener sicher. Denn, wie es einst Giuseppe Prezzolini (Opens in a new window) in seinen "Lebensregeln der Italiener" festhielt: "Der Italiener betreibt einen solchen Kult um die Gerissenheit, dass er sogar diejenigen bewundert, die sie zu seinem Nachteil einsetzen." 

Meanwhile in Venice: Da hat sogar der Präfekt festgestellt (Opens in a new window), dass der exzessive Tourismus der Stadt nicht gut tut: Der übermäßige Tourismus sei "das größte Problem" in Venedig, weil er die Stadt zerstöre, zu wirtschaftlichem und sozialem Verfall führe und die Illegalität verbreite". In seiner Rede vor dem Umweltausschuss des Parlaments sprach er von der Entvölkerung der Stadt: Weil Wohnungen nur noch als Airbnb vermietet werden, finde sich niemand mehr, der in Venedig arbeiten möchte - weshalb selbst die venezianische Präfektur an manchen Tagen schließen musste, weil sie nicht mehr über genügend Personal verfüge. Er erinnerte an den Artikel 41 der Verfassung, der vorsehe, dass das Privateigentum auch einem gesellschaftlichen Nutzen unterworfen sein müsse. Venedig sei ein Kulturerbe der Menschheit, und man könne nicht davon ausgehen, dass Privatpersonen ohne Bedingungen oder Einschränkungen über die Nutzung dieser Wohnungen entscheiden könnten, sagte der Präfekt - was eigentlich normal sein sollte und eine vielleicht längst überfällige Feststellung ist. In den Ohren der Immobilienbesitzer aber kam es so an, als hätte der Präfekt zum Sturm auf die Bastille aufgerufen. 

Im Grunde hat der Präfekt nur das gesagt, was ich auch in meinem Buch geschrieben habe - und das ja jetzt auch auf Italienisch zu lesen ist (Achtung: Werbeeinblendung!)

https://www.zolfoeditore.it/scheda-libro/petra-reski/venezia-atto-finale-9788832206449-1237.html (Opens in a new window)

Und wenn Sie diesen Newsletter lesen, befinde ich mich bereits auf dem Weg nach Polen, genauer gesagt, nach "Ein Land so weit" (Opens in a new window), der Heimat meiner ostpreußischen Familie, wo ich am 1. Juli in Sorquitten aus meinem Buch lesen (Opens in a new window) werde. Am Tag zuvor lese ich in Allenstein (Opens in a new window),  bei Borussia, der Stiftung, die das zivilgesellschaftliche Engagement in Polen, Litauen, Russland, der Ukraine und Weißrussland unterstützt und mein Buch "Ein Land so weit" ins Polnische übersetzen ließ, wo es unter dem Titel "Daleki Kraj" (Opens in a new window) erschienen ist. An dieser Stelle noch mal Dank an die wunderbare Übersetzung von Magdalena Sacha!

Ich freue mich sehr auf diese Reise - und darüber, dass mein Buch, dass ich ja immerhin vor 22 Jahren geschrieben habe, immer noch aktuell ist. Fluchtgeschichten erzählen Menschheitsgeschichte: Heimatverlust, Wurzellosigkeit, all das ist den Deutschen vertraut, deren Eltern einst Teil jener „Flüchtlingswelle“ nach 1945 waren. Es sind diese Fluchterfahrungen, unsere eigene kollektive Geschichte von Flucht und Vertreibung, die deutsche Familien mit Flüchtlingen gemeinsam haben - die aus Bosnien oder Syrien kamen und jetzt aus der Ukraine nach Deutschland flüchten.

Nach Kriegsende trafen 14 Millionen Vertriebene in Restdeutschland ein – meine Familie war eine davon. Die Heimatlosigkeit meiner ostpreußisch-schlesischen Eltern und Großeltern hat mich geprägt: Die Flucht gehört zum Gepäck meines Lebens, ich bin damit aufgewachsen, Tochter von Flüchtlingen zu sein. Flüchtlingsgeschichten haben mich mein Leben lang nicht losgelassen.

Als “Ein Land so weit“ (Opens in a new window)im Jahr 2000 erschien, war mein Buch ein Vorläufer der Bücher der sogenannten „Enkelgeneration“: Bis dahin war das Thema Heimat, Flucht und Vertreibung ein Monopol nostalgischer Heimatdichter à la „Jauche und Levkojen“ oder der Ostpreußenromane eines Arno Surminski. Für meine Generation war schon das Wort Heimat ein Tabu. Man vermied tunlichst, es auszusprechen, weil man befürchtete, sofort mit den Ewiggestrigen, den Revanchisten gleichgesetzt zu werden.  Selbst Günter Grass entdeckte das Thema erst 2002, als er die Novelle „Im Krebsgang“ über den Untergang der Gustloff schrieb. Plötzlich hieß es, dass die Bücher der Enkelgeneration eine Sehnsucht nach Selbstversöhnung – und damit eine Debatte um die deutsche Kriegsvergangenheit ausgelöst hätten.

Für mich war mein Buch tatsächlich ein Wagnis, denn bis dahin hatte es keine Bücher dieser Art gegeben, von denen ich mich hätte inspirieren lassen können. Ich befürchtete, mit „Ein Land so weit“ in der Ostpreußenkiste zu landen, obwohl ich damit doch viel mehr wollte: zeigen, dass der Verlust der Heimat für einen Menschen ähnlich traumatisch ist wie der Verlust eines geliebten Menschen. Und daran zu erinnern, dass den Flüchtlingen ihr Recht auf Trauer lange versagt wurde. Von hartherzigen Kindern wie mir.

Bezeichnend auch für die Verdrängungsmechanismen jener Zeit war, dass man sich in meiner Familie immer als „Flüchtling“ bezeichnet hat, nie als „Vertriebene“, weil das ein Wort der Vertriebenenvereine war, der Revanchisten – und meine schlesische Mutter, die zu den progressiven Heimatfreidenkern gehört, sagte: Heimat ist für mich da, wo ich bin!, womit sie zielsicher ihre Schwester gegen sich aufbrachte, die zur Glaubensschule der orthodoxen Heimatverehrer gehört. Aber bis heute sagt meine Mutter: "Bei uns zu Hause", wenn sie von Schlesien spricht, und ihre Stimme wird weich.

Ich weiß noch, wie die Lektorin von „Ein Land so weit“, in den Klappentext schrieb, dass dieses Buch auch eines über die Suche nach Identität sei. Ich bestand darauf, diesen Satz zu streichen. War das nicht ein furchtbares Klischee? Hatte ich es nötig, auf staubigen polnischen Landstraßen nach meiner Identität zu suchen?

Dass ich ein Stück davon tatsächlich dort gefunden habe, konnte ich erst später zugeben: Als ich durch Deutschland reiste und aus meinem Buch las – vor alten, im Überlebenskampf erstarrten Flüchtlingen, vor Vertriebenen, die ihr Leben lang versucht hatten, ihr Leid durch exzessives Reden zu bewältigen, vor Enkeln und Kindern, die im Münsterland aufgewachsen waren, in Bayern oder in Norddeutschland und in deren Leben jenes ferne Land Spuren hinterlassen hat, über das ihre Eltern entweder ganz viel oder gar nicht gesprochen haben.

Bis heute werde ich auf „Ein Land so weit“ angesprochen, es hat die Herzen vieler Leser berührt, mit seinen in Deutschland lange verdrängten Fragen: Flüchtlinge personifizierten die deutsche Niederlage, sie waren eine ungeliebte Mahnung an den gemeinsam verlorenen Krieg – wie der Historiker Andreas Kossert in seinem lesenswerten Buch „Flucht. Eine Menschheitsgeschichte“ (Opens in a new window) schrieb.

Das Foto hier zeigt das Dorf, aus dem die Familie meines Vaters stammt: Ruś, Reussen, in der Nähe von Olsztyn, Allenstein: "Ostpreußische Schweiz".

In diesem Sinne grüßt Sie herzlich, Ihre Petra Reski - mit Dank an die stetig wachsende Gemeinschaft der Ehrenvenezianer, die meine Arbeit unterstützt!

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