In den Augen des venezianischen Bürgermeisters ist Venedig keine Stadt, sondern ein gigantisches Investitionsprojekt, folglich ist hier nichts wichtiger als gute Stimmung – für die Investoren. Das Mehr, Mehr, Mehr der touristischen Monokultur - von den venezianischen Bürgermeistern seit dreißig Jahren wie eine Staatsreligion gepredigt, darf nicht gefährdet werden. Kritischer Journalismus wurde schon lange ausgemerzt, bleibt noch die Satire zu bekämpfen, was sich der Chef von Alilaguna (Opens in a new window), dem „ersten öffentlichen Linienverkehr eines privaten Beförderers“ nun vorgenommen hat: Er verklagte (Opens in a new window) den oppositionellen Stadtrat Marco Gasparinetti (Vertreter von Terra&Acqua (Opens in a new window), der unabhängigen Bürgerinitiative, für die ich mich im Wahlkampf 2020 engagiert habe) als Betreiber des Blogs der Bürgerinitiative Gruppo 25 aprile auf 150 000 Euro Schadensersatz.
Im Oktober letzten Jahres führte der Blog alphabetisch die unendlichen Interessenkonflikte von Bürgermeister Brugnaro auf, (die ich auch in meinem Venedig-Buch (Opens in a new window) beschrieben habe, das in einer Woche in Italien erscheint (Opens in a new window), hey, hey, hey). Unter A wie Alilaguna (Opens in a new window) ist im Blog zu lesen, wie sehr die Zusammenarbeit zwischen Bürgermeister und dem privaten "Beförderer" Alilaguna gefruchtet hat: Alilaguna wurde Sponsor der bürgermeistereigenen Basketballmannschaft Reyer, hielt seine Firmentreffen in der Misericordia ab, die von einem Unternehmen des Bürgermeisters betrieben wird, beschäftigte Zeitarbeiter von Umana (Opens in a new window) (Mittelpunkts des bürgermeistereigenen Wirtschaftsimperiums) und wurde dafür belohnt: mit Direktverträgen für den öffentlichen Nahverkehr, mit der Ausweitung des Alilaguna-Imperiums und der Abschaffung der Anlegegebühren für Taxis und Granturismo. Win-Win-Situation für beide. Nur nicht für die Venezianer.
Mir sind solche Einschüchterungsklagen sehr wohl bekannt, die vornehmlich zum Instrumentarium von Mafiosi und korrupten Politikern gehören. Mit Gerichtskosten, Anwaltskosten und Schadensersatzklagen wird eine Drohkulisse für Journalisten, Autoren, Filmemacher, Verlage und Sender aufgebaut. In Italien nennt man das „querela temeraria“, in England „Slapp“: "Strategic lawsuit against public participation“. Um Öffentlichkeit zu vermeiden und Kritik an Missständen zu verhindern, schüchtert man Journalisten durch Klagen ein, wohl wissend, dass die Verteidigung nicht nur Geld kostet, sondern auch Energie bindet.
In Venedig werden Kritiker seit langem mit Klagen überzogen, wie Lidia Fersuoch von Italia Nostra (Opens in a new window), der grüne Stadtrat Gianfranco Bettin (Opens in a new window) und Vincenzo Di Tella (Opens in a new window), der Marineingenieur, der von Anfang an gegen das Projekt Mose kämpfte, bezeugen.
Wer seinen Namen auf die Liste der Unterstützer der Meinungsfreiheit (Opens in a new window) setzen lassen möchte, kann das tun, indem er eine Mail an diese Adresse schickt: 25aprilevenezia@gmail.com (Opens in a new window)
Ja, Pressefreiheit. Am 3. Mai wurde der Welttag der Pressefreiheit gefeiert – das italienische Fernsehen huldigte ihr mit einem "exklusiven" Interview (ohne Fragen) (Opens in a new window)mit dem russischen Außenminister Lawrow. Das Interview ohne Fragen ist in Italien nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Hier hatten sogar Mafiosi Gelegenheit, den Zuschauern ihre guten Absichten zu erklären (nicht zuletzt wurde dem Sohn des Bosses Totò Riina zur Hauptsendezeit Gelegenheit gegeben, sein Buch zu promoten (Opens in a new window)). Journalistische Fragen werden als Belästigung oder Majestätsbeleidigung angesehen - kein Journalist wagte es jemals, Draghi Fragen zu stellen. Inzwischen ist Italien auf der Rangliste der Pressefreiheit (Opens in a new window) auf Platz 58 zurückgefallen. Und Deutschland - das Land, in dem Bücher über die Mafia auf Antrag deutscher Gerichte geschwärzt werden - ist auf Platz 16 gesunken - auch wegen der ständigen Angriffe von No-Vax und rechten Verschwörungstheoretikern auf Journalisten. Kein schönes Bild. Vor allem nicht in Zeiten des Krieges.
Und falls Sie sich jetzt fragen: Wo bleibt das Positive?, kann ich Ihnen sagen: hier. Im letzten Stockwerk der Ca' Pesaro, in dem sich Venedigs Museum für orientalische Kunst (Opens in a new window)versteckt, dem einzigen besucherfreien Museum Venedigs und Schauplatz meines Romans Palazzo Dario (Opens in a new window). Neulich habe ich es nach vielen Jahren mal wieder besucht - und ich kann Ihnen versichern, dass es immer noch leer ist. Wenn das der Conte Bardi (Opens in a new window) gewußt hätte. Da überläßt er Venedig seine kostbare Sammlung, und keiner guckt hin, bemerkte meine Kunsthistorikerin Wanda: Dreitausend Bewerber hatten sich an der landesweiten Ausschreibung um die Stelle als Kuratorin am Museum für orientalische Kunst in Venedig beteiligt. Und Wanda hatte gewonnen.
Der Bestand des Museums ist seiner königlichen Hoheit Enrico Carlo Luigi Giorgio Abramo Paolo Maria di Borbone, Conte di Bardi zu verdanken, der zusammen mit seiner Frau Asien bereist hat. Praktisch eine adelige Einkaufsreise: Triest. Alexandria, Suezkanal, das Rote Meer, der Indische Ozean, Sumatra. Java. Malaysia, Birma, Vietnam, Kambodscha, China, Japan. Kaufen, verpacken, verschiffen, kaufen, verpacken, verschiffen. Helme mit geflügelten Drachen und Löwenköpfen. Phrygische Mützen. Der Conte und seine Frau – ein Paar im Kaufrausch. Achtundzwanzig Monate voyage de plaisir macht dreißigtausend Mitbringsel. Die Inventarliste ordnete alphabetisch: Affenschädel und Apothekerdöschen. Kassetten und Kriegerjacke. Sägefischteile und Sakeschalen. Pfeilspitzen und Pferdaufputze. Ziegenhäute und Zuckerdosen. All das überließ er der Stadt Venedig. Die bis heute nicht viel damit anzufangen weiß. Obwohl es in Italien wohl kaum eine zweite Stadt gibt, deren kulturelles Erbe so eng mit dem Orient verbunden ist.
In diesem Sinne grüßt Sie herzlich, Ihre Petra Reski - die sich über die stetig wachsende Gemeinschaft der Ehrenvenezianer freut, die ihre Arbeit unterstützen!
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