Von dicken Enten, Mafiajägern und sonstigen Märchen
Ferien? Was für Ferien? Ich habe nur kurz meinen Koffer in Venedig abgestellt, und mich am nächsten Tag sofort in den Zug nach München geworfen, um pünktlich in Pullach zu lesen:
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Und am nächsten Tag weiter nach Bremen zu fahren:
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Das Märchen von den vier Bremer Stadtmusikanten war als Kind mein Lieblingsmärchen: “Etwas Besseres als den Tod finden wir allemal!” (Ein besseres Leitmotiv für das Leben gibt es nicht.)
In Bremen war ich zu Gast bei den Wintergästen auf Bremen 2 (Opens in a new window). So weit ich sehe, ist das kurzweilige Gespräch noch nicht online, werde den Link nachreichen!
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In den Ferien habe ich versucht, mir den Irrsinn der Welt möglichst vom Leib zu halten. Ist mir nur so mittel gelungen. Auf jeden Fall habe ich jetzt alle Bücher von Meyerhoff gelesen. Aber kaum dreht man sich um, ballert ein durchgeknallter Trump-Abkömmling in Venedig auf Enten. Und angesichts der Tatsache, dass die Trumps ja die Buddys der Waffenlobby sind, können wir noch von Glück reden, dass es nur Enten waren.
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Da wo dieser Strolch herumballerte, habe ich neulich für eine Reportage über die Lagune von Venedig recherchiert, die demnächst in mare (Opens in a new window) erscheint: Am südlichen Rand der Lagune befinden sich die "Fischertäler”, valli di pesca, eingedeichte Abschnitte, die privat bewirtschaftet werden und einst für die Fischzucht dienten. Heute aber werden sie ausschließlich für die sehr elitäre und profitable Entenjagd genutzt: Die meisten gehören Industriellen, die von der Privatisierungswut der Regierung unter Mario Monti profitierten, als die letzten Fischertäler, die noch in Staatsbesitz waren, verkauft wurden: Neoliberalismus pur. Seitdem die intensive Fischzucht mit Käfigen im Meer betrieben wird, sind die Preise gesunken – weshalb die Besitzer der Fischertäler vor allem auf die Jagd setzen: Manch einer gibt bis zu 3000 Euro täglich aus, um hier im Winter Enten zu jagen. Die Enten werden dafür eigens gefüttert und sind extrem übergewichtig, wie uns Naturschützer verrieten: Mit Lockvögeln und akkustischen Lockrufen werden die dicken Enten vor die Flinten der Jäger getrieben, die sich in botti befinden, in Fässer genannten Unterständen am Rande einer Salzwiese, einst aus Holz, heute aus Beton. Wenn einer von der Trump-Truppe drinsteckt, sieht das so aus:
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Dass er dabei eine seltene und unter Naturschutz stehende Rostgans erlegt hat - kein Problem (Opens in a new window). Vor allem nicht für die italienischen Industriellen, die sich in der Lagune wie Hemingway fühlen, wenn sie von Mailand aus mit dem Hubschrauber in die Lagune anreisen, um hier Enten zu schießen.
Und weil Venedig nichts erspart bleibt, hat der italienische Kassationshof die Durchsuchungsbefehle gegen die beiden engsten Mitarbeiter des Bürgermeisters (Stabschef und Stadtdirektor und Mitarbeiter in Brugnaros Unternehmen) annulliert (Opens in a new window). Der Kassationshof ordnete der Staatsanwaltschaft an, die beschlagnahmten Daten zurückzugeben, ohne eine Kopie der Daten zurückzuhalten.
Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautet: Gemeinschaftliche Bestechung zusammen mit Bürgermeister Brugnaro, um die bürgermeistereigenen 41 Hektar Land am Rand der Lagune an den chinesischen Tycoon Ching Chiat Kwong zu verkaufen. Sollte sich auch diese Ermittlung gegen Brugnaro in Luft auflösen, würde es mich nicht wirklich wundern. Bislang sind staatsanwaltliche Ermittlungen gegen Politiker in Venedig immer zu Gunsten der Politiker ausgegangen.
Obwohl mir die Arte-Serie “Mafiajäger (Opens in a new window)” (ein originellerer Titel fiel leider keinem ein, obwohl man ganz, ganz lange darüber gegrübelt hat!) in den Socials praktisch ständig um die Ohren gehauen wurde, habe ich es lange geschafft, sie zu ignorieren. Meine Befürchtung war, nichts Neues zu erfahren, jedenfalls nichts, was ich nicht schon vor langer Zeit in meinen Büchern (Opens in a new window) beschrieben habe. Aber weil mich der Deutschlandfunk um ein Interview gebeten hat - anlässlich des in Düsseldorf stattfindenden Prozesses gegen einige Drogenschmuggler, die im Rahmen der Ermittlung “Eureka” 2023 (Opens in a new window)festgenommen wurden - habe ich mir die Serie angeschaut. Und sie war genau so, wie ich sie mir vorgestellt habe - die wesentlichen Fragen werden nicht gestellt: Wie ist es möglich, dass die italienische Mafia ungestört seit den 1960er Jahren in Deutschland ihre Geschäfte betreiben kann? Eine Antwort darauf wäre: Weil die Mafia der Öffentlichkeit gegenüber - auch in diesem Film wieder wie ein Fremdkörper dargestellt wird, als „Krebsgeschwür“. Aber solange die Mafia in Deutschland lediglich als eine Art lichtscheues Gesindel dargestellt wird, als eine Verbrechensorganisation, die irgendwo im gesellschaftlichen Unterholz ihr Unwesen treibt, anders als wir, die guten, ehrlichen, aufrichtigen Deutschen, werden die wirklichen Fragen weder gestellt, noch beantwortet. Und das ist um so erstaunlicher, als es bei der Ermittlung “Eureka” tatsächlich um einige - für Deutschland - wunde Punkte ging: Wie war es möglich, dass die Erfurter Gruppe ungehindert operieren konnte - und auch weiterhin kann? Wer hat ihre Geschäfte geschützt - wer hat die Ermittlungen erstickt? Im Interview
https://www.deutschlandfunkkultur.de/weltweite-anti-mafia-operation-eureka-prozessbeginn-in-duesseldorf-100.html (Opens in a new window)habe ich versucht, das klarzustellen. Aber sieben Minuten sind für ein so komplexes Thema viel zu kurz.
Ich würde mir aber für die Zukunft wünschen, dass Journalisten nicht jeden Prozess, wo Drogenschmuggler im Vordergrund stehen, als “Mafiaprozesse” bezeichnen. Schon aus dem einfachen Grund, dass nicht die Zugehörigkeit zur Mafia in den Prozessen verhandelt wird (die im Übrigen in Deutschland, anders als in Italien keinen Strafbestand darstellt), sondern allein der Drogenhandel. Und Kleinigkeiten wie die Tatsache, dass die Angeklagten der Siegener Eisdiele (die im Arte-Film eine tragenden Rolle spielt) in Dortmund freigesprochen wurden (Opens in a new window), fallen am Ende unter den Tisch. „Die Tatvorwürfe lassen sich nicht mehr aufrechterhalten“, sagte der Staatsanwalt: „Die Beweismittel reichen nicht aus, um die Schuld festzustellen, demzufolge sind die Angeklagten freizusprechen, was ich hiermit beantrage.“ Die Verteidiger feixten: Die drei Angeklagten hätten Eis verkauft und „vielleicht mal zu viel Sahne bestellt“. So gehen “Mafiaprozesse” in Deutschland aus.
Und dann kursierte noch die Nachricht, dass ein deutscher Spielentwickler ein „Mafiaspiel (Opens in a new window)“ entwickelt habe und sich darüber wundert, dass Italiener dagegen protestieren. Zumal er selbst in Italien gelebt habe und das Land liebe. Sollte der Erfinder dieses „Mafiaspiels“ tatsächlich in Italien gelebt haben, dann hat er unter einem Stein gelebt. Seit Jahrzehnten protestieren Italiener gegen die im Ausland betriebene Mafiafolklore, Danilo Sulis von Rete 100 (Opens in a new window) startete bereits 2015 die europaweite Petition „Ich bin kein Mafioso“ (Opens in a new window), die sich zum Ziel gesetzt hatte, zu verbieten „Mafia“ als Marke zu benutzen. Etwa bei der spanischen Restaurantkette "Mafia", die in ihren 37 Lokalen mit „Die Mafia setzt sich an den Tisch“ und dem „Familienzusammenhalt wie in Corleone“ wirbt. Wobei man sich natürlich fragt, warum in Spanien noch niemand auf die Idee gekommen ist, „ETA“-Restaurants zu gründen, als Werbespruch würde sich „Unsere Steaks sind unser Sprengstoff“ anbieten. In Danzig wurde das Restaurant "Sizilien: Haus der Mafia" eröffnet und in Österreich das (nach internationalem Protest geschlossene) "Don Panino" in Wien: Pizza, Pasta und belegte Brote – mit den Namen von Mafiosi und Mafiaopfern. Etwa „Don Falcone“, ein mit gegrillter Wurst belegtes Panino, benannt nach dem Antimafia-Staatsanwalt Giovanni Falcone, der 1992 zusammen mit seiner Frau und drei Leibwächtern von der Mafia in die Luft gesprengt wurde. In Deutschland gibt es die Mafiafolklore auf CD, als Mafiamusik, darunter das Loblied auf die Ermordung von Palermos Polizeipräfekten Dalla Chiesa: „Getötet ist der General/Getötet ist der Präfekt von Palermo/Ihm blieb nicht einmal Zeit für das letzte Gebet/So schnell wurde er ins Paradies gebracht.“ Die Mafiamusik ist wesentlicher Bestandteil des Propagandafeldzugs – an dessen Ende das Bild einer harmlosen Mafia steht, nichts anderes als eine etwas schräge Truppe, die singt, tanzt und sich hin und wieder umbringt. Denn schließlich weiß die Mafia, dass ihr Siegeszug in der Welt keineswegs allein auf Gewalt beruht, sondern vor allem auf guten Worten.
Dass Mafiafolklore vor allem Mafiapropaganda ist, müsste in Deutschland, wo der Kampf gegen den Nationalsozialismus einst als lächerlicher Kampf von bemitleidenswerten Gutmenschen belächelt wurde, ja eigentlich ganz besonders einleuchten - denn in Berlin wäre man vermutlich nicht begeistert, wenn an durchreisende Touristen Tassen mit SS-Runen oder CDs mit dem Horst-Wessel-Lied verkauft würden. Einerseits. Andererseits: Inzwischen findet man Hitler in Deutschland ja auch supersuperwitzig.
Und das erinnert mich daran, dass gestern in München zwischen 250 000 (sagt die Polizei) und 320 000 (sagen die Veranstalter) Menschen gegen Rechtsextremismus (Opens in a new window) protestiert haben. Wünschte mir, dass in Italien auch so viele auf die Straße gehen würden. Etwa um gegen die Auslieferung des libyschen Folterknechts per Regierungsflugzeug zu protestieren, einem weiteren Glanzstück der Meloni-Regierung. Und nicht nur das: Trump hat ja Sanktionen verhängt - gegen den in Rom (!) gegründeten Internationalen Strafgerichtshof, zu dessen Gründungsstaaten Italien (!) gehört, worauf sich 79 Staaten mit dem internationalen Strafgerichtshof solidarisch erklärten, nicht aber Länder wie Ungarn, Österreich, Tschechien und, natürlich, Italien.
Es sei unentschuldbar, dass der libysche Folterknecht, dem Mord und Vergewaltigung von Minderjährigen vorgeworfen wird, nicht von Italien an Den Haag ausgeliefert wurde, sagte Carla Del Ponte, Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag für Kriegsverbrechen in Ex-Jugoslawien sowie für den Völkermord in Ruanda: Justizminister Nordio habe offensichtlich nicht einmal die Artikel des Römischen Statuts gelesen. Insbesondere den Artikel, der die Übergabe eines mit internationalem Haftbefehl gesuchten Straftäters an den Gerichtshof regelt.
Meloni beruft sich auf ein wundersames “Staatsgeheimnis” - das im Grunde darin besteht, Migranten zu blockieren und Italiens Interessen am Öl zu wahren: die italienische Eni (Opens in a new window), eines der größten Mineralöl- und Energieunternehmen der Welt, ist in Libyen tätig.
Nach einem kurzen Schlenker über das Ruhrgebiet und München werde ich wieder nach Venedig zurückkehren. “Zehn ruhige Tage haben wir noch”, sagte meine Optikerin, als ich zu meinen Lesungen aufgebrochen bin. Die sind jetzt bald vorbei. Und dann wird die Venedigmaschinen mit dem Karneval wieder angeworfen werden. Und ich werde mein Boot von den Muscheln befreien lassen, die sich am Rumpf festgesetzt haben und in die Lagune flüchten.
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In diesem Sinne grüßt Sie herzlich, Ihre Petra Reski
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