Douçe France
Die Terrasse des Cafés ist fast leer. Eine der Kellnerinnen plaudert mit der Dame neben mir, die wohl jeden Tag kommt. Ihr Hund jedenfalls fühlt sich wie zu Hause und macht seine eigenen Regeln. Seine Halterin ruft ihm schrill zu, was er nicht machen soll, während er ungerührt unter Tischen und Sitzen herum wühlt, typisch Pariser Hund. Die Kellnerin hingegen blickt besorgt in die Ferne, bevor sie ihr die Tasse serviert. “Ich weiß gar nicht, was heute früh mit mir los ist. Zum ersten Mal habe ich - keine Lust. Ich wollte einfach nicht. Naja, im Laufe des Tages wird es sicher schon wieder. “ Eine ganz ähnliche Stimmungslage offenbart der tolle Historiker Patrick Boucheron in einer Talkshow: “ Ich habe zwei Töchter, die schon die Attentate erleben mussten, dann die Pandemie und nun diese Wahl…” Dann scheint er den Tränen nah und sagt: “Ehrlich, das haben wir nicht verdient!” Er meint die Schande einer rechtsextremen Regierung in der Heimat der Menschen- und Bürgerrechte.
Ich bin wegen einer Montaigne-Tagung in Paris. Solche Tagungen, abseits allen Weltenlärms im Untergeschoss der École Normale Supèrieure, sind der beruhigende Beleg dafür, dass sich nicht alle verrückt machen lassen, sondern beispielsweise konzentriert an einer Joachim DuBellay Gesamtausgabe arbeiten. Bald bei Classiques Garnier!
Ansonsten ist Paris leer. Ich bin gern mit dem elektrischen Mietfahrrad unterwegs, Helm kommt von zuhause am Rucksack mit, und nun sind gar keine Radwege nötig, alle fahren mitten auf dem Boulevard. Wenn ich an einer roten Ampel halte, beschimpfen mich andere Radfahrer als Spaßbremse.
Donnerstag Abend - große Versammlung der undogmatischen Linken an der Place de la République. Am Rande ist ein kleiner Stand mit den Leuten von Attac. Zu Beginn des Jahrhunderts waren die sehr angesagt und ich habe damals einige Veranstaltungen besucht und darüber geschrieben. Hätte man seinerzeit die Idee einer Tobin Tax, also einer milden Steuer auf Finanztransaktionen, realisiert und die Erträge für den Erhalt öffentlicher Infrastruktur, für Bildung und Innovation verwendet, säßen wir heute nicht dermaßen in der Patsche. Kein vermögender Mensch hätte hungern müssen.
Ansonsten ist es ruhig. Politveteranen, verirrte Touristengruppen und die üblichen Verdächtigen. Weniger Menschen als bei der Anti-AfD Demonstration in Wiesbaden. Von der Bühne verlesen vernünftige Menschen mit ovalen Brillen ewig lange Papiere mit vielen Unterpunkten wie auf einem Cartoon von Sempé. Es gibt auch andere – Eine Rednerin erwähnt den Präsidenten: Cet enculé de Macron. Kann man schlecht übersetzen.
Nach und nach kommen rollende Merguez-Stände auf den Platz. Gemüse grillen sie auch. Plötzlich bekommt das Meeting etwas von einem südfranzösischen Ferientag. Eigentlich bereitet sich Frankreich längst auf die Sommerferien vor und die Menschen haben Paris verlassen. Fatalismus macht sich breit. Zwar bekommen die extremen Rechten nur 35% in den Umfragen, aber wenn sich die anderen alle untereinander zanken, genügt es für eine parlamentarische Mehrheit. Dann wird durch regiert, ein Alptraum für alle Menschen mit dunkler Haut, für Muslime und für alle, die in den Augen der Rechten anders sind. Die deutsch-französische Zusammenarbeit dürfte dann erstmal ruhen, jedenfalls was die Regierungsebene angeht. Und doch ist es soweit. Alles andere wäre ein Wunder.
Kleiner Trost: Jedes mögliche Ergebnis der Wahl, jede Regierung kommt mit einer beschränkten Laufzeit. In einem Jahr darf der Präsident laut Verfassung das Parlament wieder auflösen. Macht er dann wohl auch. Dann ist übrigens auch wieder Montaigne-Tagung!
Leider geht es auch in diesem französischen Wahlkampf wieder darum, wer ein echter und wer ein falscher Franzose ist, wieder geht es um die richtigen und die falschen Vornamen. Darauf kann es nur eine Antwort geben und der große François Morel hat sie schon 2018 gegeben oder besser: abgeliefert.
https://www.radiofrance.fr/franceinter/podcasts/le-billet-de-francois-morel/vive-la-france-l-eclatante-reponse-de-francois-morel-a-eric-zemmour-3098119 (Opens in a new window)Mit vielen Filmen von Werner Herzog, zumal seinen bekanntesten, kann ich wenig anfangen. Aber ich greife immer zu, wenn ein neues Buch von ihm im Regal steht. Sein Reisebuch Vom Gehen im Eis ist eines meiner liebsten Bücher überhaupt. Dieses Mal veröffentlicht er kurze Essays, die sich lose um das Thema Wahrheit fügen. Er handelt es aber nicht wissenschaftlich ab, sondern rein erzählend. Dann steht er in der Tradition der Causeurs und der alten Achtundsechziger, die - damals natürlich als junge Achtundsechziger - das Sofa meiner Eltern bewohnten und stundenlang erzählten.
Herzog hat zum Beispiel eine Abmachung mit Elon Musk bezüglich einer Reise ins All getroffen. Und sich mit Mike Tyson über die römischen Kaiser unterhalten. Er geht in diesem Buch auch historischen Fake News auf den Grund und klettert auf entlegene, immer unerwartete Standpunkte, von denen sich Perspektiven bilden, die man in meiner Jugend postmodern nannte. Es ist kein Zufall, dass er im vergangenen Jahrhundert noch ein Freund des britischen Schriftstellers Bruce Chatwin wurde. Auch bei ihm, so berichten es seine Biografen und seine Ehefrau Elisabeth, hörten alle stundenlang zu und wussten hinter nicht genau, was sich Chatwin ausgedacht hatte und was wirklich zutraf.
Eine von Chatwins wirkmächtigsten Stories ist die von den Notizheften aus Wachstuch, den Moleskine (nach Mole skin, der Maulwurfshaut, wie man das schwarze, wasserfeste Tuch im Einband der Notizbücher in ihrer ursprünglichen, nautischen Verwendung nannte) . Die letzten Exemplare bekam er, schreibt Chatwin, in einer alteingesessenen Papeterie in der Rue de l’Ancienne Comédie im Pariser 6ten Arrondissement. Ich hielt das immer für eine Erfindung. Und nun habe ich genauer hingesehen und tatsächlich solch einen Laden in dieser Gasse entdeckt. Um die Ecke ist nun auch eine Moleskine Boutique - diese Marke ist längst viel einträglicher als alle Chatwin Bücher zusammen. Und wirbt mit Hemingway und natürlich mit Chatwin. Die große Hilary Mantel schwor auf Ringbücher, hielt also nicht viel von den teuren schwarzen Heften und schrieb über deren Eigenwerbung ebenso unabweisbar wie kühl: “Hemingway. Chatwin. Hat die Welt je größere Poser gesehen?”
Das Schöne an meinem Lieblingsvogel ist seine kulinarische Anpassungsfähigkeit. Früher wurden die Traumata des Weltkriegs im Wienerwald bewältigt, heute geht es um andere Themen. Auf der ganzen Welt und in allen Temperaturen huldigt man dem Huhn, etwa mit diesem Bang Bang -Rezept:
https://www.theguardian.com/food/article/2024/jun/26/how-to-make-the-perfect-bang-bang-chicken-recipe-felicity-cloake (Opens in a new window)Neulich habe ich bedauernd festgestellt, dass ich kaum noch grille. Vermutlich bin ich einfach zu busy mit vielen anderen Sachen oder schlicht zu faul geworden. Aber eigentlich ist es eine tolle Sache, hier also einige fleischlose Anregungen von Zuckerjagdwurst (Opens in a new window):
https://www.zuckerjagdwurst.com/de/rezepte/7-rezepte-fuers-vegane-grillen (Opens in a new window)Kopf hoch,
ihr
Nils Minkmar
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