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Politische Predigt, ja – was soll man denn sonst predigen?

Habt ihr es mitgekriegt, wie da eine Predigt viral ging? Die Rede der Bischöfin Marion Edgar Budde der Washingtoner Episkopal-Kirche: Eine Bischöfin als Prophetin (vgl. Die Eule). (Opens in a new window) Sehr anregend auch die Kontext-Analyse des REFLABS: Anleitung zum Mutigsein. (Opens in a new window) Ihre schon längere Geschichte mit Donald verarbeitet sie u.a. in ihrem Buch: «How We Learn to Be Brave» . Sie versucht dabei, das Gegenteil deutlich zu machen: Dass man keine besonderen Voraussetzungen mitbringen muss, um in entscheidenden Momenten aufzustehen und etwas Tapferes zu tun.

Bischof Marion Budde (Opens in a new window)
Die episkopale Bischöfin als Prophetin


Warum sie soviel Aufmerksamkeit bekam? Nun, der prominenteste Zuhörer war der Präsident Donald mit Anhang und sie wagte es, ihn direkt zu bitten, ob er nicht gnädig, barmherzig und geduldig regieren könnte, ganz wie Gott es vormachte.

Der Donald fand das eine UNVERSCHÄMTHEIT und interpretierte die Bitte als einen „links-grün-versifften” politischen Angriff (meine Worte). Einige seiner Kumpels wollten die Bischöfin gleich auf die Deportationsliste der illegalen Ausländer in den USA packen. Dabei war es eine Bitte, dem eigenen Anspruch als „göttlicher Beauftragter” gerecht zu werden.

Weitere Reaktionen in den sozialen Medien (ich fand sie in Facebook):

  • Schuster bleib bei deinen Leisten (misch dich nicht in Politik ein, bleibe spirituell)

  • Geh mit dem Bruder Donald biblischer um, indem du ihm privat (bitte keine „öffentliche Beschämung”) als Bruder ermahnst (Liebe, „du willst ihn doch gewinnen!” vs. aburteilendes, vernichtendes Gericht)

  • Oder: Ordne dich dem von einer Mehrheit gewählten Präsidenten unter und entschuldige dich öffentlich für deine Worte (was die Bischöfin schon dankend abgelehnt hat).

Ich fand die ganze Rede (man muss die ganze Rede hören, um das Anliegen zu verstehen und die Anwendung im letzten Teil entsprechend einzuordnen) sehr berührend und mutig. Und spirituell-theologisch war sie ein klassisches Beispiel der politischen Predigt (ganz im Sinne von Martin Luther King, auf dessen Gedenktag auch die Einsetzung des Präsidenten fiel).

Metamodernes Christentum

Wenn ich die Methode des Problem-Lösungs-Schemas (Opens in a new window) jetzt auf diesen Fall anwende, schaue ich mal, was dabei an erweiterten, neuen Erkenntnissen und Praktiken heraus kommen könnte.

Problem definieren: ungeschminkt wahrnehmen , was weh tut

In Europa ist das Christentum seit der sogenannten Aufklärung (französische Revolution) im Zerfall begriffen. Seine bisherige friedlich-schiedliche Zusammenarbeit mit den Herrschenden wurde brüchig und am Ende aufgelöst. In Frankreich früher, in Deutschland später, nämlich 1918 mit dem Beginn der Weimarer Republik. (Opens in a new window) Nach dem Ende des 2. Weltkriegs wurden die Landeskirchen bis in die 70er Jahre noch einmal als staatstragende Institutionen gebraucht, verlieren seitdem aber kontinuierlich an Mitgliedern und Einfluss. Und dieser Weg scheint unumkehrbar zu sein, bis 2070 aus dem staatstragenden Christentum eine Minderheitenkirche von 10% geworden ist.

Pro/Kontra der Ursachenanalyse:

Wie geht man bisher klassisch damit um, das Evangelium zu verkündgen? Wie verstehen wir das Problem dieser Redeform bisher? Gibt es andere Deutungen?

Es gab in Deutschland 2 Richtungen, das Predigen des Evangeliums zu verstehen:
a) die rein spirituelle, (scheinbar) unpolitische Rede: die Botschaft von der Rettung der Seele von der Verdammnis (wegen der individuellen Sünden). Kirche ist Rettungsinsel für die Glaubenden. Scheinbar politisch sage ich, weil diese Predigenden die politischen Umstände kritiklos stehen lassen (nicht anfassen), und somit politisch konservieren, was ist. Also den Status Quo legitimieren.
b) die politische Rede: die Botschaft von oder die Erwartung der Gesellschaftstransformation durch konsequente „Nachfolge Jesu Christi” a la Bonhoeffer z.B. oder als Vortrup des Lebens a la Gollwitzer. Kirche ist gegenkulturelles Modell für eine bessere Gesellschaft. In dieser Tradition sehen sich die „politisch” predigenden Verkünder:innen oft.

Metamoderner Lösungsvorschlag?

Wie verstehe ich mit meiner historisch-narrativen Brille das Ganze und wie wird daraus eine metamoderne „Lösung?

Ich lese die Botschaft Jesu (anders als beide Gruppen oben) zuerst als eine Botschaft eines jüdischen Propheten (Stimme Gottes) an sein jüdisches Volk.

Markusevangelium 1, 1 ff: „Dies ist der Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, dem Sohn Gottes. Im Buch des Propheten Jesaja heißt es:»Ich sende meinen Boten vor dir her; er wird dein Wegbereiter sein.« »Hört, eine Stimme ruft in der Wüste: ›Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet seine Pfade!‹«”

Jesus sagte: »Die Zeit ist gekommen, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt diese gute Botschaft!« (V.15)

Das Reich Gottes war in jüdischen Ohren die Ansage, dass Gott politisch-praktisch regiert in Israel (durch seinen menschlichen Vertreter, König, Messias oder so), also die politische Königsherrschaft Gottes. Und Jesus hat nichts anderes erwartet. Es ging ihm eben nicht um eine ominöse Einflusssphäre Gottes, wie es „vorpolitisch” heute gerne von einige gelesen wird. Es ging um die lokale, konkrete Politik Jesu (aber eben nicht um die für eine erlöste Menschheit, sondern für sein konkretes Volk Israel).

Das bedeutet historisch-narrativ zu lesen: Hier haben wir ein Narrativ, wie Gott sein Volk (wieder einmal) aus den Fängen einer imperialen Übermacht erlösen will (vgl. Luk. 1, 74f: „dass er uns aus den Händen unserer Feinde befreien wird und dass wir ihm unser ganzes Leben lang ohne Furcht in Heiligkeit und Gerechtigkeit in seiner Gegenwart dienen werden.”)

Damit entzaubern wir alle Versuche, der Botschaft Jesu eine einfache, eindeutige oder direkt anwendbare politische Message für die gesamte Menschheit (und für alle Zeiten) zu entlocken.


Ich fasse zusammen:
- Ja, Jesus hat vor allem politisch gepredigt (unter Einbezug der Wirkungen dieser göttlichen Wende auch für Einzelne).
- Nein, Jesus hatte nicht die Erlösung der Menschheit vor Augen, seine Botschaft ging nur „an die Schafe Israels”.
- Und Paulus erweiterte diese Sicht auf Menschengruppen aus nicht-jüdischer Herkunft (die Teil der messianisch-jüdischen Bewegung werden durften!). Seine Kirche (griech. ecclesia, was übersetzt: politische Volksversammlung heißt) war Vorzeichen oder Modell eines jüdischen Imperiums durch Übernahme des heidnischen Imperium der Römer, indem Paulus Rom ankündigte: Der Messias (den ihr gekreuzigt habt), wird die Macht der Kaiser übernehmen und regieren (wahrscheinlich in Rom als „neuem Jerusalem”).

So in Phil. 2, 11: „Alle werden anerkennen, dass Jesus Christus der Herr (griech: kyrios = Kaiser) ist, und werden damit Gott, dem Vater, die Ehre geben.” Politischer geht es nicht. Kein Wunder, dass Paulus im römischen Gefängnis wegen Aufruhrs landet.

Und gemäß dieser Vision entwickelte sich die Geschichte dann auch. 313 n. Chr. beugte der Kaiser Konstantin vor dem Kyrios Christus seine Knie… (aber das ist eine andere Geschichte).


Lösungsverstärkung (Bewertung der Lösung)

Ich versuche, an unserem konkreten Fallbeispiel plausibel machen, wie die neue Lesart der sich andeutenden metamodernen (Opens in a new window) Gesellschaftsordnung nützt.

Ist es schlau, die politischen Ansagen Jesu direkt auf Donald in den USA anzuwenden?
- Anwendbar ist ein Muster: Ein politischer Prophet widersteht einem Imperium (Jesus stellt das Unrechtsregime der jüdischen Kollaborateure bloß! Er adressiert nur indirekt die Römer. Er richtet sich gegen die Hohenpriester und König Herodes).
- Anwendbar ist sicher auch: Gott, wie er sich im Umgang mit seinem Volk und aufgrund seiner Gesetze in der Thora für das jüdische Volk gezeigt hat, führt zum Narrativ, Gott sei „barmherzig, geduldig und gerecht”. Die spannende Frage ist, wen oder was meinen wir heute, wenn wir „Gott” sagen? Meinen wir JHWH der Geschichte mit seinem Volk – oder haben wir ein griechisch-philosophisches (trinitarisches) abstraktes Gottesverständnis?
- Eher nicht anwendbar sind allgemeine Tugenden oder Prinzipien wie Barmherzigkeit, Demut, Sanftmut oder ähnliches, die in der Bergpredigt (Mt. 6f) als Motive auftauchen (Seligpreisungen). Da diese Botschaft im jüdischen Kontext der damaligen Situation ihren konkreten und prophetischen Sinn bekommt (dazu vielleicht ausführlich später mehr). Sie sind historisch wahr, könnten in anderen Kontexten aber falsch sein (vgl. mein Buch über die 7 Todsünden) (Opens in a new window).
- Nicht vorausgesehen in der Bibel ist der heutige Kontext: Kein biblischer Prophet hat so weit geschaut, (Opens in a new window) dass er wüsste, was 2000 Jahre nach ihm für eine Gesellschaftsordnung, welche Mächte und Politiken dort herrschten.

Demokratie gab es in der Bibel als Vision auch nicht. Die Bibel endet mit einer theokratischen Vision (Gott regiert durch einen König auf Erden). Darum bleibt die spannende Frage für die heutigen Stimmen Gottes ( aka Prophet:innen) in demokratischen Zeiten:

Was ist die Ansage Gottes für sein Volk, für welch ein Volk? Welche politische Ansage (weil eben nicht individuell!) ist das heute „erlösende” Evangelium in welchen genauen Kontexten?

Angesichtes einer Menschen gemachten Klimakatastrophe geht es kaum noch um persönliche Tugenden (wie Barmherzigkeit und Demut), auch wenn die nicht völlig egal sind, sind sie doch nicht der Hebel für eine Lösung.

Doch es geht um machtvolle Kartelle der Superreichen und zerstörerische Geschäftspraxen der überindividuellen globalen Konzerne. Der Gott eines heutigen Messias müsste also diese Übermächte ansprechen und denunzieren (ihre Machenschaften enthüllen und ihnen ihre Macht absprechen).
In dieser größeren Perspektive ist der mutige Aufstand der Bischöfin respektabel, aber fast noch harmlos, weil es die theokratische Perspektive unhinterfragt lässt:

Donald, wenn du der göttliche Beauftragte (König) Präsident der USA sein willst, dann bitte tugendhaft und im Geist göttlicher Thora: demütig!

Ja, richtig. Und nervend für den MAGA-Donald. Aber immer noch nicht das ganze Bild. Schriller und angriffiger wäre diese prophetische Ansage:

Donald, du und deine Reichenclique, ihr seid das Problem. Ihr werdet von Gott vom Thron gestürzt, damit diese Welt zurück auf einen besseren Weg finden kann, wenn überhaupt noch… eventuell ist die Axt schon am Baum angesetzt.

Im Sinne von Lukas 1, 50-53 (Lobgesang der Maria) ist für die USA oder unsere gesamte westliche Regierungswelt (und hier müssen die Kontexte genau angeschaut werden) die Ansage zu aktualisieren, die damals an die Reichen des Volkes Israel erging:
„…und von Generation zu Generation gilt sein Erbarmen denen, die sich ihm unterstellen.Mit starkem Arm hat er seine Macht bewiesen; er hat die in alle Winde zerstreut, deren Gesinnung stolz und hochmütig ist.

Er hat die Mächtigen vom Thron gestürzt und die Geringen emporgehoben. Den Hungrigen hat er ´die Hände` mit Gutem gefüllt, und die Reichen hat er mit leeren Händen fortgeschickt.”

Also gut gebrüllt, Marion Edgar Budde, im Ansatz sehr gut. In der Konseqenz noch sehr verhalten und zahm. Wenn sich der Donald darüber schon aufregt, wie rasend wird er werden, wenn ihm der Lobgesang der Maria präsentiert würde?

Die Frage an mich: was hätte ich geprddigt, wäre ich so mutig und souverän aufgetreten? Und mit welcher Gewissheit glaube ich, dass JHWH diese Systeme stürzen wird? Hier habe ich eher große Zweifel. Noch. Überzeuge mich eines Besseren. Ich stoppe hier mal und freue mich auf deine Nachfragen oder über einen Kommentar.

Mit prophetisch-apokalyptischen Grüßen

Helge

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Topic Texte-Verstehen

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