“Windräder der Schande”, oder: who the fuck is Alice?
Queere Windräder, die designed sind, brave Heterodeutsche zu beschämen und klein zu halten. Quelle? Was ne altmodische Frage ;)
13.01.2025
Liebe Leute,
heute, zwei Tage nach dem von über zehntausend Antifaschist*innen blockierten und dadurch verzögerten AfD-Parteitag in Riesa, geht's zum ersten Mal auf diesem Blog um Alice “für Deutschland” Weidel, die ich – wie viele politische Kommentator*innen, aber damit will ich mich nicht rausreden – bisher total unterschätzt habe, in meinem patriarchal strukturiertem Starren auf den Thüringer Geschichtslehrer aus Westfalen. Außerdem geht es mal wieder um eines meiner Lieblingsthemen: Scham, und wie der Umgang damit die faschistische Offensive antreibt.
Wieso ist die erste offen lesbische “Kanzlerkandidatin” eine Faschistin?
Bevor ich aber zur Analyse des Satzes komme, um den es mir heute hauptsächlich geht – Ihr wisst schon: die “Windräder der Schande”, die Weidel in einem fast schon göbbels'sch anmutenden Furor versprach, allesamt abzureißen. Wow. Was für ein weirdes politisches Statement, there's just so much there to unpack, aber zuerst möchte ich noch versuchen, eine logisch und zeitlich vorgelagerte Frage zu beantworten: wie kommt es eigentlich, dass eine Partei, die gerade auf eben diesem Riesaer Parteitag ihr Bekenntnis zur “traditionellen Familie aus Vater, Mutter, Kind” nochmal bestätigte und in die Satzung schrieb, völlig ohne Reibungsverluste von einer Lesbe in den Wahlkampf geführt wird, die mit einer aus Sri Lanka stammenden Frau verheiratet ist, und mit ihr zwei Kinder großzieht, also in einer fast klischeeartig anmutenden “Regenbogenfamilie” lebt?
Überhaupt: wie kommt es, dass es seit über 40 Jahren oft konservative bis hart rechte Parteien sind, die zuerst von Frauen, dann von offen queeren Menschen, und seit einigen Jahren auch im immer noch sehr “weiß”-rassistischen Europa von People of Colour geleitet werden, während links von der Rechten immer Gerhards und Olafe, Keirs und Joes, Jean-Luc und Joschka am Start waren? Margaret Thatcher. Pim Fortuyn. Giorga Melloni. Rishi Sunak. Und jetzt an der Spitze der Tories? Kemi Badenoch, a young black woman. Woher, wie kommt das? Man müsste ja meinen, dass es eher die progressiven Parteien sind, die solche Menschen fördern, wie kommt es, dass die auf Rechts so viel leichter gewinnen zu können scheinen?
Antwort: weil sie direkt die stärkste Triebkraft des rechten Projektes ansprechen, nämlich Scham, und den Wunsch, von ihr befreit zu werden.
Wer kann die Arschlochgesellschaft führen?
Spätestens seitdem ich das “Coming Out der Arschlochgesellschaft (Opens in a new window)” diagnostiziert habe, aber eigentlich schon seit den Auseinandersetzungen um die Kohlejobs im Rheinland und der Lausitz (2016, das Jahr, in dem auch Trump zum 1. Mal gewann) ist mir klar, dass Menschen, die hart rechts ticken, sehr, sehr oft vom zentralen Wunsch getrieben werden, sich nicht schämen zu wollen für sich selbst oder was sie sind oder was sie denken und wen und was sie verdammt nochmal wirklich scheiße finden, weil es verdammt nochmal wirklich scheiße ist, und das auch immer schon scheiße war (z.B. zwei küssende Männer auf der Straße). Diesen Wunsch sollte wirklich jede nachvollziehen können.
Was aber, wenn man in einer Gesellschaft lebt, in der zumindest in dem, was der Ethnograph James Scott als das “official transcript” bezeichnete (quasi die offizielle Erzählung, die der gesellschaftliche Mainstream von sich selbst hat, im Gegensatz zum “hidden transcript (Opens in a new window)”), von sich selbst erzählt wird, man sei wahnsinnig aufgeklärt, inklusiv, tolerant, multikulturell, queerfreundlich, hätte den Rassismus hinter sich gelassen, etc.? Und was, wenn man in so einer Gesellschaft trotzdem denkt, “Weiße” seien besser als “die Anderen”, cis besser als trans, hetero besser als homo, Mann besser als Frau, etc? Dann lernt man durchaus, das in “polite company” zu verstecken, nur in “einschlägigen Establishments” traut man sich dann, seine echte Wahrheit zu leben.
Und das bedeutet wiederum, dass genau die Person diese Leute am besten führen kann, die es ihnen am besten ermöglicht, sich nicht dafür zu schämen, wer und was sie sind. Die gesamte Trump I-Kampagne basierte darauf, dito der intellektuelle und ethische Unterbietungswettbewerb, den wir gerade im “Wahlkampf” erleben. Aber Trump war ein alter weißer Mann, der sagte den Leuten “seht her, ich bin wie ihr, und ich schäme mich nicht”. That's already pretty powerful. Aber stellt Euch mal vor, Trump wäre ne Frau gewesen, die den Kerlen gesagt hätte “hey, it's OK to grab us by the pussy, because, you know, that's what we're there for”, die hätte NOCH VIEL HÄRTER abgeräumt. Warum? Weil es in dieser Situation das Objekt des eigenen schamvollen Hasses selbst ist, das dem hassenden, dem sich dafür schämenden Subjekt, die Absolution erteilt.
Thatcher war berühmt dafür, ein sexistisches Arschloch zu sein, war immer wieder on record mit der Aussage, dass Frauen wegen ihrer zu hohen Emotionalität nicht wirklich für Führungspositionen geeignet seien. Sie war also die Frau, die es den Männern erlaubte, weiterhin sexistisch zu sein, sie darin sogar bestärkte, was angesichts der Tatsache, dass Männer normalerweise (sagen wir mal: ab den 80ern oder so) erwarten müssten, von einer politischen Frau für solche Aussagen kritisiert zu werden, eine doppelte Erleichterung, sprich, Befreiung darstellt. Obama konnte nur gewinnen, weil er bewusst als “postracial candidate” antrat. Hätte er gesagt “I'm a proud black man” hätte er auch bei der demokratischen weißen Wähler*innenschaft viel zu viel Angst und Scham und Schuld ausgelöst.
In short: Alice Weidel kann die AfD als Lesbe gerade deswegen führen, weil sie sagt “hey, ich bin Lesbe, und Euer Hass auf alles Queere ist total ok, wisst ihr, ich teile den sogar selbst.” Auch Kemi Badenoch bedient laufend die rassistischen Vorurteile ihrer hart rechten Tory-Basis. Politiker*innen wie Thatcher, wie Weidel, wie Badenoch, die sind die wandelnde Absolution für reaktionäre Hater und Arschlöcher, und der Katholizismus hat die stabilste Institution der Welt auf der Wucht dieser Erfahrung aufgebaut. I hope you see my point.
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Und warum “Windräder der Schande”?
So far we've established: “Entschämung” ist eine der stärksten rechten Produktivkräfte, denn rechte Politik basiert in erheblichen Teilen, wie gesagt, auf der Erfahrung von Scham, und dem Wunsch, sie nicht zu fühlen. Was mich zurückbringt zu diesem total crazy Satz von den “Windrädern der Scham”. What the fuck is going on there?
Wir wissen nicht erst seit Trump, dass Rechte an einem Windrad-Derangement-Syndrome leiden, they lose their shit, wenn die so ein Ding sehen, schreien rum, wie die Landschaft verschandeln (Tagebauverdrängung much?) und allemöglichen Tiere töten oder wahnsinnig machen (Trumps Favorit: Waale (Opens in a new window)). Ihr wisst, ich bin kein Riesenfan des Elektrokapitalismus, aber der rechte Kampf gegen diese Dinger war immer schon härter, als ihre reale Verbreitung oder ihr energiewirtschaftlicher Transformationseffekt das erklären könnte (außerdem ist es oft so, dass die Installation von Windrädern, wenn halbwegs gut organisiert, lokalen Akteuren oft ökonomische Ressourcen zufließen lässt, weshalb auch viele Konservative im Angesicht realer Windräder als Profitmöglichkeiten gerne mal zwei fossilistische Augen zudrücken.
Ich hatte es bis diesen Samstag, bis Alice diesen Satz herausbrüllte, nie ganz verstanden, woher dieser Hass, but now I get it, dank Alice. Erster Move: der Satz “XYZ der Schande” evoziert sofort die Debatte um Höckes Statement über das Holocaust-Denkmal in Berlin, dass er als “Denkmal der Schande” bezeichnete. Die Punkte hier sind klar, faschistisches Winseln über den ihnen angeblich auferlegten “Opferkult” (dabei sind doch die Schuldgefühle und die Scham ihre eigenen und die ihrer Familie), an den sie das Denkmal angeblich ständig erinnern soll. Das war ein sehr cleverer Anschluss eines weiteren Elements an die rechte “Äquivalenzkette (Opens in a new window)” jener Dinge, die allesamt gleich schlecht sind, weil sie alle selben Wesens sind – alle sollen Die Deutschen beschämen, und dadurch klein halten.
Windräder erinnern an Fossilismus erinnern an Klimakatastrophe erinnert an Scham, seit 40 Jahren zu wissen, aber zu verdrängen, dass man was machen sollte, und natürlich, weil sie einen beschämen, und weil für Affekte erstmal gilt: das selbe Gefühl fühlt sich gleich an, egal, wovon es ausgelöst wurde, aber daraus folgt, dass auch die verschiedenen Auslöser als äquivalent gesetzt werden können (Windrad = Holocaustdenkmal, weil beides Scham auslöst, also ist beides da, um Doitschland klein zu halten). So ungefähr funktioniert das im rechten rabbit hole, and we haven't been in rational Kansas for ages, Dorothy.
So who the fuck is Alice?
Alice Weidel ist, erheblich mehr, als Höcke, die politische Führungsfigur in Deutschland, die es schafft, den Affekt der Schambefreiung am allerstärksten zu mobilisieren, was bedeutet, dass sie fürderhin zu unterschätzen brandgefährlich wäre. Dieses Mobilisierungskunststück gelingt ihr, glaube ich, auf der selben Basis, die es mir erlaubte, das Coming Out der rechten Arschlöcher zu verstehen: wir Queers kennen uns unglaublich gut mit Scham aus, mit ihrer Macht, und vor allem mit der Wucht der Befreiung davon. DAS ist der Grund für die vielen faschistischen Homos, von Röhm über Kühnen über Fortuin zu Weidel. Wir wissen: wer von der Scham einmal befreit wurde, die wird ALLES tun, um sich nicht wieder schämen zu müssen.
In dem Sinne ist Alice eine dieser Homos, für die ich – und das sage, das fühle ich, fast nie – mich zutiefst schäme.
Mit von meinen rechten Mithomos zutiefst beschämten Grüßen,
Euer Tadzio