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Ein ganz normaler Tag

Ein ganz normaler Morgen in Casa Edda. Ich wache auf, wie jeden Tag: etwas wirr und müde. Ich gehe in die Küche und Edda stellt mir sofort Fragen. Ich kann noch kein großes Interesse für ein Gespräch aufbringen. Ich zücke mein Handy und öffne Google: „immer müde trotz ausreichend schlaf“. Edda sagt, dass ich etwas essen muss. Und das, obwohl sie weiß, dass ich morgens nie hungrig bin. Ich google „morgens nie hunger normal“ und stelle meine erste Gegenfrage. Dann plaudern wir etwas. Gut geschlafen? Ja. Was geträumt? Nein. Ach, die Nachbarin ist schon am Rasenmähen? Angeberin. Ich breche auf zu meinem Spaziergang während Edda laut eigenen Angaben diverse Aufgaben im Haus erledigen muss. Welche genau, habe ich mich nicht getraut, zu fragen. Als ich losgehe, klingelt plötzlich mein Handy. Ein Freund. Mein Herz schlägt sofort wie wild. Ich drücke instinktiv weg und sage mir, dass ich später zurückrufe. Ich google „angst bei sozialen Kontakten“, dann spaziere ich los. Zwischendurch mache ich ein Foto vom See und google aus einer spontanen und mir unfassbar wichtig erscheinenden Eingebung heraus „ständig innere unruhe“. Als ich vom Spaziergang heim komme, beginnt Edda wieder, zu erzählen. Mir ist es so egal, wovon der Konflikt zwischen Inge und ihrer Tochter handelt, denke ich insgeheim. Dann hört Edda auf zu erzählen. Ohje, hat sie jetzt meine Gedanken gelesen? Ich google „bin ich zu egoistisch“. Abends gucken wir eine Quizshow im Ersten und lachen. Mein Lachen fühlt sich halbherzig an. Lache ich immer so? Sieht das angestrengt aus? Bevor ich was googlen kann, fragt Edda mich, wie mein Tag war.
„Ach“, sage ich, „es war ein ganz normaler Tag“.

Als ich dann wieder mein Handy nehme, weil ich mich bei der Quizshow langweile (ich notiere im Kopf, dass ich „kurze aufmerksamkeitsspanne“ noch googlen will) und Instagram öffne, merke ich, wie erschöpft ich bin. Von den ganzen online und offline Google-Recherchen, die in meinem Kopf unzählig viele Tabs einnehmen. Und die alle sinnbildlich für irgendeinen schlimmen Zweifel stehen, der widerlegt werden will. Diese ewige Suche nach Antworten, ja wonach suche ich da eigentlich? Vielleicht nach einem Begriff, oder Wort, das mich endlich erklärt? Ein Begriff, der sich anfühlt, als würde mir jemand sagen „du bist okay“? Vielleicht auch einfach jemand, der mir aus dem Handy entgegenspringt und mir einmal liebevoll in die Fresse schlägt, um meinem energiereichsten Organ mal für einen erholsamen Moment etwas von ebenjener Energie zu entziehen.

Instagram ist mir heute keine Hilfe. Die Zeiten der süßen Hundebilder und Selfies sind längst vorbei. Jetzt, wo wir alle reflektieren und die Psychologie unseren Alltag erreicht hat, scheint es auch dort immer um irgendwas zu gehen. Auf einmal hat alles doppelten Boden oder zumindest irgendeinen Tiefgang. Da ist keine Eindeutigkeit mehr und schon gar kein Stillstand. Bist du im Reinen mit dir, hast du einfach noch nicht tief genug gegraben, oder? In meinem Lieblingsbuch von Claudia Schumacher, las ich den Satz: „Woher kommt dieser Wunsch nach Eindimensionalität“? Und ich möchte schreien: „Claudia, es ist Überforderung“!

Im Vergleich zu mir, offenbart sich mir Edda oft in radikaler Eindeutigkeit, so als hätte sie den doppelten Boden eigenhändig entfernt. So als hätte sie jegliche Unsicherheit und Überforderung der Welt Hausverbot erteilt. In ihrer Welt existieren keine Analysen, nur Gefühle. Und Edda ist immer bereit, mir davon etwas abzugeben, wenn ich es brauche. Oft, wenn ich Edda erzähle, was mich an mir beschäftigt, sagt sie, es muss am Wetter liegen. Und ich glaube ihr. Ob das heute wieder klappt? „Ich bin richtig unruhig heute“, versuche ich mein Glück. Und Edda schaut aufs Thermostat neben sich und sagt dann: „Ja, hast du mal rausgeguckt? Da kann man ja nur unruhig werden“! Da ist sie, meine kleine Antwort. Meine kleine Absolution. Dann google ich noch schnell „einfluss wetter stimmung“ und gehe schlafen.

Topic Die "Edda"-Kolumne

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