"Wir" - oder weshalb rechte Politik oft so grauslich ist
Orban, Trump, Ron deSantis, Kickl. Der Grund, weshalb sich gerade viele rechte Regierungen und rechte Parteien gerne durch perfide Grausamkeiten gegen diverse Minderheiten, Immigranten, Flüchtlinge oder sozial Schwache auszeichnen – je rechter desto grauslicher – liegt meines Erachtens vor allem in der Definition des Pronomens „Wir“.
Kurz gesagt, das Wir der Linken ist inklusiv, dass Wir der Rechten exklusiv.
Um ein wenig auszuholen. Die Linke verstand sich schon von jeher als international. Nicht umsonst heißt ihre Hymne „Die Internationale“. Ihr Wir-Begriff bezieht sich auf alles, das zwei Beine hat. Manchmal auch vier. Es geht um das Wohl aller. Also, aller Menschen dieser Erde. Insbesondere auch aller Verdammten dieser Erde, siehe erneut „Die Internationale“, Zeile eins.
Ob sich die Linke selbst immer an diesen Anspruch hält, kann man natürlich diskutieren. Siehe weiter unten. Aber der Anspruch per se ist vorhanden. „Wir“ sind wir alle. Möglicherweise ausgenommen „die da oben“, die 1 %, der Klassenfeind (solange er noch nicht enteignet ist). Aber der ganze Rest sind das Wir. Egal von welcher Nationalität, Hautfarbe, Geschlecht, geschlechtlicher Orientierung usw.
Die Rechte und vor allem die Rechtsextreme, pauschal gesagt, fasst den Begriff Wir deutlich enger. „Unser Geld für unsere Leute“ plakatierte einst Jörg Haider. Aber, wer sind die denn nun genau, diese „unseren Leute“?
Das ist gar nicht so einfach zu sagen und wird meistens eher ex negativo definiert: „Unsere Leute“, das sind ganz sicher nicht „die Ausländer“, „die Flüchtlinge“, „die Sozialschmarotzer“, „die Emanzen“ usw.
Aber wer dann?
Nun, wenn man die konservative Agenda genauer betrachtet, besteht sie aus konzentrischen und zunehmend egoistischer werdenden Wir-Kreisen. Im äußersten Kreis finden sich die Wähler. Die sogenannten „anständigen Leute“, „die kleinen Leute“, „die patriotischen Österreicher (Ungarn, Franzosen, Schweden, Amerikaner…)“. Diese werden gerne als solche an- und ihnen wird auch gerne alles Mögliche versprochen. Vor allem Grauslichkeiten gegen „die anderen“. Damit es „uns“, also ihnen, angeblich besser geht. Der äußerste Kreis, der „Kreis der Wählerschicht“, sind also jene, die sich von solchen Parolen und Konzepten angesprochen fühlen.
Im selben Kreis befindet sich auch noch „das Volk“. Also jene, die so aussehen wie wir, so denken wie wir, so handeln wie wir oder so essen wie wir: „Isst du Schwein, darfst du rein“. Dazu zählen auch jene, die nicht rechts gewählt haben, aber potentielle Wähler darstellen.
Weiter innen folgen Sympathisanten, Mitstreiter und Partei-Mitarbeiter, deren tatsächliche Anliegen sich bereits nicht immer mit denen der breiten Wählermasse decken.
Dann die Finanziers der Partei, meist aus den höchsten Kreisen der Wirtschaft.
Später die Partei im engeren Sinne, gefolgt von den obersten Parteifunktionären und deren Familien … Und ganz in der Mitte zerspragelt das Wir in viele kleine Ichs. Man könnte auch sagen, das Ich ist das ultimative Wir der Rechten.
Was übrigens sowohl für die Parteigranden als auch für die Wählerschaft gilt: Im Zweifelsfall ist man sich selbst der Nächste und betreibt seinen eigenen Wir-Kreis mit dem eigenen Ego als Zentrum.
Wie gesagt, hier wird pauschaliert. Wenn jemand etwa das Christlich in christlich-konservativ wirklich ernst meint und somit Nächstenliebe und den Dienst an anderen als Tugend pflegt, mag das individuell Denken und Handeln gegebenenfalls anders aussehen.
Grundsätzlich ist jedenfalls das ausgesprochene Wir bei konservativen und rechtsextremen Parteien daher meist ambivalent. Es ist das breiteste mögliche Wir, wenn es im Wahlkampf geäußert wird, es ist aber deutlich enger, wenn deren Vertreter das Wir im verrauchten Hinterzimmer gegenüber ihren Sponsoren aussprechen.
Dort erhält der Slogan „Unser Geld für unsere Leute“ dann eine ganz andere Bedeutung.
Das soll nicht heißen, dass linken Parteien die Freunderlwirtschaft fremd ist. Ganz im Gegenteil, gerade der österreichischen Sozialdemokratie hängt der Ruf der Verhaberung nicht grundlos nach.
Aber es gibt einen Unterschied. Wenn linke Parteien an der Macht sind, gönnen sie sich und ihren Freunden und Parteigenossen (und auch ihre eigenen Finanziers) zwar durchaus gerne ein großes Stück vom Kuchen. Vielleicht sogar das größte Stück, gerne deutlich mehr als die Hälfte. Aber auch für das ganze Volk, gibt es dann doch noch immer eine gehörige Portion! In Form von Sozialhilfe, Arbeitslosenunterstützung, Bildungsangebot und anderen sozialen Maßnahmen, die einen gesellschaftlichen Aufstieg ermöglichen sollen, etc. Die Verdammten bekommen also vielleicht nicht das größte Stück vom Kuchen, aber doch immerhin den einen oder anderen gehörigen solidarischen Bissen.
Bei rechten Parteien ist das doch anders. Hier wird der Kuchen für ein deutlich enger definiertes „Wir“ gebacken. Garniert mit der (oft sogar völlig unzynisch) geäußerten Behauptung: Wenn wir für uns einen großen Kuchen backen, fallen immer noch genug Brösel für die anderen ab.
Auch bekannt als Trickle-Down-Ökonomie. Die nachweislich genauso wenig funktioniert wie andere heilige Kühe des Neoliberalismus, sagen wir, die unregulierte, unsichtbare Hand des Marktes, unregulierte Finanzmärkte, stark restriktive bis abschreckende Einwanderungspolitik und einiges mehr. Oft läuft die tatsächlich ausgeübte Realpolitik sogar den Interessen der eigenen Wähler am äußeren Rand des Kreises diametral entgegen.
Was die Oberen der Rechten durchaus alle wissen, sie aber nicht weiter stört, denn ihr Fokus ist auf das exklusive Wir gerichtet. Soll heißen, der engere oder bei Bedarf sogar engste Kreis rund um das eigene Ich. Siehe oben.
Apropos: darum gibt es auch keine „Rechtsextreme Internationale“. Zwar haben gerade die extrem rechten Parteien in Europa immer wieder versucht, irgendwie eine funktionierende Verbindung untereinander herzustellen, aber ungarische Orbans glauben nun einmal einfach, dass Ungarn die Krone der Schöpfung sind und alle anderen minderwertig, französische Le Pens, egal welchen Geschlechts oder Vornamens, denken dasselbe über Franzosen, ebenso deutsche AfDler über Deutsche. Das geht sich einfach nicht aus. Darum sind auch die Versuche eine internationale Bewegung der Idiotären (oder wie die auch immer heißen) zu schaffen gescheitert. Trotz plakativem und grauslichem, vor allem anti-islamischem Aktionismus.
Oder wie es der amerikanische YouTuber Beau of The Fifth Column formuliert: "Nationalism is politics for basic people".
Eine letzte Anmerkung noch. Ein Disclaimer, wenn man so will.
Dieser Text ist per se kein Angriff oder Vorwurf gegen Konservativismus. Vermutlich braucht es für ein funktionierendes Zusammenleben und auch die weitere Entwicklung der Menschheit immer ein Spiel der Kräfte zwischen konservativ und progressiv, zwischen egoistisch und altruistisch. Damit die Konservativen (Rechten) nicht im Status quo versteinern und die Progressiven (Linken) nicht ungebremst in vollkommen neue, unerprobte utopische Richtungen davon galoppieren.
Allerdings lohnt es sich vielleicht das nächste Mal ein wenig darüber nachzudenken, was ein gegebener Politiker denn nun genau meint – wenn er „Wir“ sagt.
Selbsttest: Was ist hier zu sehen?
Menschen wie wir? Oder “Die Flüchtlinge”, “Die Ausländer”?
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