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Noltes Notizen | 6. Januar 2023

Liebe KLup-Freund:innen,

ob ich es wagen kann, hier noch einmal etwas zu Benedikt XVI. zu schreiben? Selten gehen die Meinungen derart auseinander darüber, wo unsere Leser:innen sich einerseits gegen einen ihrer Wahrnehmung nach übertriebenen Personenkult verwahren oder sich andererseits über Informationen, Einordnungen, Bilder und Bewertungen freuen. Auf Facebook jedenfalls bekommen wir es von beiden "Seiten" ganz ordentlich um die Ohren: Die einen beklagen sich zudem über eine angeblich unkritische Verherrlichung Benedikts, die anderen über eine ungebührliche, gar pietätlose Kritik an einem soeben gestorbenen Papst. 

Nicht zuletzt auf meinen Kommentar vom vergangenen Dienstag, in dem ich eine Bewertung des Experiments "Emeritierter Papst" (Opens in a new window) unternommen habe, gab es schon recht harsche Rückmeldungen, mitunter auch mit ziemlich persönlichen Angriffen. Eine kleine Auswahl gefällig?

  • "Wie  pietätlos, die Diskussion zu führen, während Papst emeritus aufgebahrt  im Petersdom liegt. Anstand, Sitte und Manieren sind in den katholischen  Medien wohl völlig auf der Strecke geblieben."

  • "Herr Nolte sollte sich schämen und die Klappe halten.. wie pietätlos, besonders zu diesem Zeitpunkt."

  • "Wieder einer jener vergifteten Kommentare, die die Deutsche Kirche für ihren Papst übrig hat und für die ich mich schäme."

  • "Und wieder einmal fühlt sich ein deutscher Journalist berufen, Probleme zu thematisieren, die  keine sind."

Ich kann mit solchen Rückmeldungen umgehen, zumal aus vielen von ihnen eher Affekt als ernsthafte Lektüre meines Kommentars spricht (es ging natürlich nicht um eine Abrechnung mit Benedikt XVI., sondern darum, wie künftig das Dasein eines zurückgetretenen Papstes gestaltet sein sollte). Überdies gab es neben solchen negativen Äußerungen in überschaubarer Zahl über den "Like"-Button knapp 70 mal Zustimmung. Auf Facebook wir haben mit unserem Post rund 6.500 User:innen erreicht, im Magazin selber haben ihn knapp 3.000 Menschen gelesen. Das sind großartige Zahlen.

Dennoch, zum Vergleich: Unsere Meldung über das angekündigte "Enthüllungsbuch" des langjährigen Benedikt-Sekretärs Georg Gänswein (Opens in a new window) hat mit 16.000 Klicks die meisten Leser:innen in dieser Woche gefunden. Darunter werden sicherlich nicht nur Anhänger des nunmehr arbeitslosen Kurienerzbischofs gewesen sein. Längst gibt es erste Vorabmeldungen, noch bevor das Werk auf den Ladentheken liegt. In Italien hat das heute für ordentlich Aufruhr gesorgt. Wir halten uns weiter zurück. 

Fakt ist - und das zeigen sowohl die Aktivismen von Gänswein als auch die Affekt-Äußerungen auf meinen Kommentar überdeutlich: Eine Ära ist zu Ende gegangen. Mit Benedikt XVI. haben nicht wenige Gläubige ihre Identifikations- und Vertrauensfigur verloren, die "ihre" Kirche auf dem falschen, weil zu modernen Weg sehen. Das muss massiv sein, denn hier geht es nicht nur um den Verlust eines verehrten, womöglich geliebten Menschen - nämlich Benedikt XVI. -, sondern um den Verlust von Heimat, Zugehörigkeit, womöglich sogar Wahrheit. Ein solcher Verlust kann leichterdings traumatische, allemal tiefgreifend krisenhafte Reaktionen auslösen.

Ich mache kein Hehl aus meiner Meinung, die ich aber positiv wenden möchte: Mit Papst Franziskus ist eine grundlegend anderer Atmosphäre in die katholische Kirche eingezogen. Ich habe das an dieser Stelle schon oft geschrieben: Wie und worüber wir heute denken, kritisieren, sprechen - das wäre vor zehn Jahren nicht möglich gewesen. Die Zeit des Denunziantentums, der Anschwärzerei, der Angst und der Einschüchterung ist vorbei. Endlich. Ich weiß, wovon ich schreibe. Ich habe aufgrund des einen oder anderen Artikels zwischen 1995 und 2013 mehr als einen Brief aus der Glaubenskongregation in Rom erhalten. Diese Briefe "mahnend" zu nennen, soll von meiner guten Erziehung künden.

Einmal mehr jedenfalls zeigt sich an den Reaktionen mancher Leser:innen - ganz gleich, ob sie Benedikt-Fans oder Benedikt-Kritiker sind: Es ist immer noch schwierig, im kirchlichen Kontext professionellen Journalismus zu ertragen, zu erwarten, zu würdigen. Einige etwa echauffierten sich darüber, dass wir über das Requiem für Benedikt XVI (Opens in a new window). auf dem Petersplatz und auch über die Grablegung in den Grotten des Petersdoms (Opens in a new window) (ebenfalls mit einer Reihe beeindruckender Fotos) - allerdings ihrer Meinung nach  "völlig unkritisch", weil wir dabei die ganzen dunklen Seiten in der Biographie des Verstorbenen verschwiegen hätten. Dabei ist klar: Hier haben wir schlichtweg einigermaßen sachlich und objektiv berichtet, was geschehen ist. Nachrichtlich, in einem Bericht, zugegebenermaßen mit Reportage-Elementen, die etwa die Stimmung einzufangen versuchten. Die geforderte kritische Auseinandersetzung gehört nicht hierhin, sondern in einen Nachruf, in einen Kommentar. Natürlich gab es auch das. - Das allerdings war anderen wiederum zu früh, pietätlos, unverschämt, weil der Verstorbene ja nicht einmal beigesetzt war. 

Man hat es wahrlich nicht immer leicht als Journalist. Aber wir bemühen uns zu erklären, warum wir wann und zu welchem Anlass wie arbeiten, wann welches journalistische Genre dran ist, wann Meinung und Einordnung, wann Bericht und Reportage. Auf Facebook ist das manchmal in den Kommentaren möglich, hier in unserem Newsletter genauso. Das ist wichtig. Gut.

Nun geht das Jahr weiter. Im Hintergrund klingt das Vollgeläut des Paulusdoms in unser "kleine Großraumbüro" am Horsteberg: In wenigen Minuten beginnt die feierliche Messe zum Hochfest der Erscheinung des Herrn. Ich freue mich auch über diese schöne Nähe: einfach nach getaner Arbeit Gottesdienst zu feiern.

Ihnen und euch auch von mir ein gesegnetes neues Jahr. Und überhaupt:

Guet goahn!

Markus Nolte (Chefredakteur Online)

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