Folge #4 - Duality - Teil 2
Von Dubai nach Mexiko.
Im April 2022 wurde ich für eine Auftragsarbeit nach Dubai und Abu Dhabi eingeladen. Genauer gesagt zur Expo ’22. Mein Job war es, eine Gruppe der erfolgreichsten mexikanischen Unternehmer fotografisch bei ihren Erkundungen zu begleiten.
Der Job war anständig bezahlt. Ich habe jedoch zusätzlich einen viel wertvolleren Bonus erhalten: ich hatte die Möglichkeit, die Personen, die ich fotografisch porträtierte, auch persönlich kennenzulernen. Dies führte dazu, dass ich mehr wollte: nämlich mehr über diese Menschen erfahren. Mehr Einblicke in deren Herkunft Mexiko erhalten. Mir mehr Wissen aneignen, wie sie zu dem wurden, was sie waren: nämlich außerordentlich erfolgreiche Menschen.
Nicht nur aus einem rein künstlerischen Interesse, sondern weil sich durch die Auseinandersetzung, die weit tiefer ging, als nur eine Basis für fotografische Ergebnisse zu schaffen, auch Freundschaften bildeten. Wodurch ein erster Anknüpfungspunkt für die Auseinandersetzung mit dem Land Mexiko entstand. Der eine sehr wichtige Grundlage für die Bilder der Duality-Serie sein sollte.
Die Basis für das Projekt
Wieder zurück aus Dubai beschäftigte ich mich sehr intensiv mit dem Thema. Ich recherchierte und fokussierte mich auf alles, was es über das Land und die Menschen dort zu finden gab. Ich setzte mich auseinander mit der Geschichte des Landes. Mit den kulturellen Besonderheiten. Mit den offensichtlichen und den weniger offensichtlichen Dingen. Lernte Spanisch. Und plante eine Reise nach Mexiko.
Ungefähr ein halbes Jahr später, kurz vor Jahresende 2022, war es dann so weit. Ich hatte meine Ausrüstung so zusammengestellt, dass ich in jeder Situation sämtliche Eindrücke bestmöglich festhalten konnte. Ich war in der Lage, mich auf spanisch zu verständigen. Ich wusste, wen ich treffen würde und hatte einen Plan, wann ich was sehen und vor Ort erkunden wollte. Ich hatte den Rahmen, in dem ich mich fotografisch bewegen sollte.
Und ein Thema, das ich behandeln wollte: Die aus europäischer Sicht ungewöhnliche, aber sehr markante Verbindung von Leben und Tod in Mexiko. Die sich überall in der mexikanischen Kultur widerspiegelt. Sei es im Dia de los Muertes, sei es in der Dualität von Xochipilli und Xochiquetzal oder selbst in den Geschichten von Carlos Fuentes. Einfach überall. Ich wollte wissen, woher das kam. Warum dieses für Europäer eher düstere Thema so alltagsverwoben in Mexiko war.
Diese Reise sollte mich einerseits sehr nah mit dem ‚Leben‘ in Mexiko verbinden, so dass ich fast zu keinem Zeitpunkt die damit kontrastierende Komponente ‚Tod‘ bewusst wahrnehmen sollte, andererseits brachte sie mich näher genau an den Tod, als ich es mir hätte vorstellen können: Kurz vor Ende dieses, für die Dauer von rund einem Monat angesetzten Trips wurde ich per Rettungswagen in die Notfallambulanz eines Krankenhauses auf Cozumel gebracht.
Ich hatte mir irgendwo das Coronavirus eingefangen. Das letztendlich bei mir zu mehreren epileptischen Anfällen führte. Und eine medizinische Notversorgung erforderlich machte. Ich selber habe davon nichts mitbekommen. Es fühlte sich für mich zunächst einfach nur nach Erschöpfung an, vielleicht kombiniert mit einem Sonnenstich und Überanstrengung. Ich war jeden Tag meiner Reise von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang im Freien unterwegs und habe fotografiert oder recherchiert.
Da ich mehrfach gegen Corona geimpft war, hatte das Virus nicht allzu viele Möglichkeiten, sich in meinem Körper auszubreiten. Dennoch ist es ihm gelungen, die Blut-Hirn-Schranke zu passieren, von dort noch weiter nach oben zu gelangen und eine weitere Gehirnentzündung auszulösen, die mich dann erneut in den Zustand des klinischen Todes beförderte.
Das passierte ohne mein Wahrnehmen. Ich wusste beim Aufwachen ein paar Tage später, weder, wo ich war, noch wer ich war, warum ich im Krankenhaus lag und was überhaupt geschehen ist. Ich war einfach wieder da. Meine Fähigkeit zu klaren Gedanken, zu Sprechen und mich auszudrücken, lag allerdings noch eine Weile brach. Ich war erstmal wieder zurück im Leben.
Meine Aufmerksamkeit galt zunächst den ganz profanen, aber für mich sehr relevanten Fragen: Wie komme ich von hier weg? Wie komme ich wieder nach Deutschland? Wie geht es weiter? Was sind die nächsten Schritte? Kein Gedanke daran, wo ich mich vom ‚Einschlafen‘ bis zum Aufwachen befand. Wenn ich überhaupt darüber nachdenken konnte, dann eher daran, dass das nur ein Traum sein konnte. Auch wenn dieser alles andere als vergleichbar war mit dem, was ich üblicherweise im Schlaf erlebe. Außer halt bei den ‚Träumen‘, die ich während der zwei Komas in den Jahren davor hatte.
Ich kümmerte mich darum, meinen Mietwagen zum Ausgangspunkt zu bringen, ohne selber fahren zu dürfen, mit meinem ganzen Gepäck und der Fotoausrüstung zur Fähre zu gelangen, um von der Insel zu kommen, von dort weiter zum Flughafen und mit Umsteigeverbindungen wieder zurück nach Deutschland. Ohne auch nur eine Sekunde über das Projekt ‚Duality‘ nachzudenken und wie sehr ich selber damit verwoben war.
Erst wieder zurück zuhause war es mir möglich, mich mit dem auseinanderzusetzen, was dort geschehen ist. Auch wieder: sehr skeptisch und äußerst selbstkritisch.
Wieder in Deutschland
Also galt es, weiterzurecherchieren. Nicht nur vom Schreibtisch aus - sondern ich musste wieder nach Mexiko. Sobald es mir möglich war. Theoretisch kannte ich den Bezugspunkt zum Tod. Ich sah ihn in unzähligen Symbolen und in den Sujets meiner Fotografien. Nur der Bezug zu meiner ganz eigenen Erfahrung war mir verborgen. Wie ein versperrter Raum, zu dem mir der Schlüssel fehlte. Deshalb musste ich wieder zurück nach Mexiko. Und zwar so bald wie möglich…